dodis.ch/1697
Der schweizerische Delegierte für die Rückführung von Schweizerbürgern, F. de Diesbach, an die Abteilung für Auswärtiges des Politischen Departements1

Vertraulich

Als ich am 11. Dezember v. J. von Hof kommend in Berlin eintraf2, habe ich mich u.a. bei der Dienststelle von Sir William Strang gemeldet und eine Visitenkarte für ihn hinterlassen. Letzten Samstag, den 9. Februar, erhielt ich nun von seinem Sekretariat die telefonische Mitteilung, Sir William Strang würde mich am Mittwoch, den 20. d. M. um 10 Uhr empfangen.

Soeben komme ich von dieser Audienz zurück. – Sie hat eine Viertelstunde gedauert.

Ich habe dem Botschafter den Grund meines Hierseins mitgeteilt und unsere Tätigkeit geschildert. Ich sagte, wir hätten seit September 1945 über 4000 Schweizer aus Berlin und der Sowjetzone in die Heimat zurückgebracht3 und schafften gegenwärtig noch monatlich rund 200 Landsleute heim. Möglicherweise werde die Rückwanderung im kommenden Frühjahr und Sommer wieder zunehmen, wenn die Reiseverhältnisse wieder günstiger seien und sich z. Zt. noch Unentschlossene über die weitere Existenzmöglichkeit an ihrem jetzigen Wohnsitz im klaren sein werden. Im übrigen versorgten wir die Zurückgebliebenen mit Lebensmitteln und behandelten Bürgerrechts-, Pass- und Zivilstandsangelegenheiten.

Sir William Strang zeigte für meine Ausführungen Interesse und stellte Fragen über die Einzelheiten unserer Aufgabe. Er sagte, er sei dankbar, dass ich ihm ein Bild über unsere Aktion, von der er im wesentlichen bereits unterrichtet zu sein schien, vermittelt habe, und erklärte, in Beantwortung meiner Frage, ob Einwendungen gegen die Tätigkeit unserer Delegation bestünden, er sehe seinerseits keine. Auch personellen Veränderungen innerhalb der Delegation – ich deutete an, dass es sich nunmehr werde als notwendig erweisen, einen Personalwechsel vorzunehmen und Beamte aus der Schweiz kommen zu lassen, die entsprechend der Natur unserer Arbeit mit konsularischen Geschäften vertraut seien – stünde wohl nichts im Wege. Die Frage der Zusammensetzung der Delegation könne als eine technische Angelegenheit betrachtet werden. Im übrigen wollte Sir William Strang wissen, in welchem Verhältnis ich zu den Russen stünde. Ich erklärte, meine Delegation sei im letzten Herbst von der Sowjetregierung nach Hof-Plauen angefordert worden4, und nach meiner Dislokation nach Berlin hätte ich mich hier bei Generalleutnant Smirnow, dem russischen Stadtkommandanten, vorgestellt und stünde vor allem mit dem Repatriierungskommissariat (Generalmajor Werschinin und Filatow in Potsdam) in Verbindung. Damit, meinte Sir William, sei unsere hiesige Tätigkeit vom britischen Standpunkt aus betrachtet, auch in dieser Richtung in Ordnung, selbst wenn ich, wie Ihnen bekannt ist und ich ihm mitteilte, keine schriftliche sowjetrussische Bewilligung zur Durchführung meiner Aufgabe besitze. – Die Russen seien bekanntlich Gegner von generellen und grundsätzlichen Lösungen, fänden sich aber mit Tatsachen leicht ab, wenn und solange ihnen eine praktische Notwendigkeit zu Grunde liegt.

Diese Bemerkung führte mich zur Frage der Vertretung der Schweiz beim Kontrollrat5. Der Botschafter antwortete, die Russen hätten ihre Zustimmung hierzu immer noch mit aller Entschiedenheit verweigert. Sie vertreten den Standpunkt, die Neutralen könnten erst dann berücksichtigt werden, nachdem alle Vereinten Nationen in Berlin zugelassen seien. Der ihnen entgegengehaltene Einwand, die Schweiz und Schweden seien an einer Vertretung beim Kontrollrat stärker als gewisse derzeit hier noch nicht akkreditierte Alliierte interessiert, habe leider bis heute noch nicht durchgesetzt werden können.

In diesem Zusammenhang darf ich noch melden, dass ich vor wenigen Tagen eine interne britische streng vertrauliche Notiz zu Gesicht bekam, wonach neulich wieder in der 35. Sitzung des Koordinationskomitees, in dem letztinstanzlich alle Angelegenheiten beraten werden, die dem Kontrollrat zum Entscheid vorzulegen sind, die Frage der Vertretung Schwedens und der Schweiz beim Kontrollrat erörtert worden sei. Eine Einigung sei indessen nicht erzielt worden, da der Vertreter der Sowjetunion seine Zustimmung verweigerte. Der britische Wortführer habe sich mit Nachdruck für die Zulassung eingesetzt und darauf hingewiesen, dass der Stillstand (deadlock) in dieser Frage auf die Dauer untragbar werde.

Abschliessend sei zur Unterredung mit Sir William Strang noch erwähnt, dass dieser, wie alle Briten, mit denen ich hier zusammenkam, ungezwungen freundlich war und alles Verständnis für unsere Tätigkeit zeigte. Er hat nicht die geringsten Einwendungen dagegen erhoben.

1
Schreiben: E 2001 (D) 3/395.
2
Zur Mission F. de Diesbachs in Berlin siehe E 2001 (D) 3/394.
3
Zur Lage der Schweizer in Berlin siehe ebd., E 2001 (E) 1/111 sowie die Notiz F. Schnyders zur Lage der Schweizer in Berlin vom 9. August 1945, dodis.ch/1746.
4
Vgl. das Protokoll über die Orientierung der schweiz. Delegation für die Heimschaffung von Schweizern aus der russische besetzten Zone vom 18. Oktober 1945, dodis.ch/1740.
5
Zur Frage der Zulassung einer schweizerischen Delegation beim AKR in Berlin siehe E 2001 (E) 1/261, DDS, Bd. 16, Dok. 85, dodis.ch/1698. Zur selben Problematik vgl. die Notiz von R. Bindschedler an A. Huber vom 8. November 1946, dodis.ch/1741, sowie die Notiz von F. de Diesbach an das EPD vom 8. Februar 1946, dodis.ch/1742.