dodis.ch/1719
Der schweizerische Gesandte in Bukarest, P. A. von Salis, an den Chef der Abteilung für Rechtswesen, Finanz- und Verkehrsangelegenheiten des Politischen Departements, R. Hohl1

Wie Ihnen bekannt ist, hat die rumänische Regierung bisher, ausgenommen die Rumänische Nationalbank, von sogenannten Nationalisationen von Privatbetrieben abgesehen. Die rumänischen Regierungsmitglieder legen sogar Wert darauf, dies immer wieder kund zu geben und geltend zu machen, wie sehr das gegenwärtige Regime das Privateigentum schone2! Vom Gesetz über die «offices industriels» ist bisher nur für die Kautschuk- und Zementindustrie und dieser Tage auch für die Holzindustrie Gebrauch gemacht worden. Die Konsequenzen dieser Gesetzgebung sind allerdings stark in den Hintergrund getreten im Verhältnis zu den andern illegalen Mitteln, die die kommunistische Partei im Einverständnis mit ihren Vertretern in der Regierung ergriffen hat, um unliebsame Persönlichkeiten aus der Leitung von Industrieunternehmungen zu entfernen. Mittels der Wirtschaftskontrolle des nationalen Industrieministeriums ist es immer möglich, namentlich wenn der bestimmte Wille dazu vorliegt, Verfehlungen festzustellen, die unverzüglich die Verhaftung der zu entfernenden Person nach sich zieht. Gelingt es auf diesem Wege nicht, so setzt die kommunistische Partei ein, indem sie die fraglichen Personen faschistischer Gesinnung anklagt und sie somit der politischen Polizei in die Arme treibt. Schon mit der Drohung mit solchen Massnahmen gelingt es sehr oft, die leitenden Personen eines Unternehmens zur Demission zu veranlassen, was dieser Tage namentlich bei der rumänischen Telephongesellschaft geschehen ist, wo sämtliche Direktoren der technischen und kommerziellen Abteilungen in globo demissionierten und unverzüglich durch der kommunistischen Partei genehme Leute ersetzt wurden.

Da die Partei über keine qualifizierten Personen verfügt, so liegt es auf der Hand, dass durch dieses System die Unternehmen früher oder später zu Grunde gerichtet werden, und man kann sich diese Taktik nur mit dem Wunsche der Partei erklären, unter allen Umständen dem Kapitalismus zu Leibe zu rücken, selbst wenn dabei das Unternehmen untergeht und der Wirtschaft im allgemeinen grosse Werte verloren gehen.

Was die schweizerischen Belange betrifft, so hat sich bis jetzt diese Taktik in zwei Richtungen bemerkbar gemacht.

1. Schweizerische Betriebsleiter oder höhere Beamte von rumänischen Unternehmen werden durch derartige Schikanen veranlasst, sich vom Geschäft zurückzuziehen. Da in dieser Kategorie von Landsleuten schon viele nach der Heimat zurückgekehrt sind, dürften diese Fälle verhältnismässig vereinzelt bleiben.

2. Bekämpfung der Betriebsleitungen von Gesellschaften, an denen schweizerisches Kapital mehrheitlich interessiert ist. Hier werden die gleichen Taktiken gegenüber den rumänischen Leitern zur Anwendung gebracht. Ist dies überwunden, so kann man sicher sein, dass nach neuen Mitteln und Wegen gesucht wird, um der Leitung neue Schwierigkeiten zu machen. Diese Entwicklung wird früher oder später zum Ziel gelangen, es sei denn, es trete im politischen Regime Rumäniens in absehbarer Zeit eine Änderung ein. Bei diesen Unternehmen muss unter allen Umständen versucht werden, die schweizerischen Interessen zu wahren, selbst wenn nach der heutigen Lage zu beurteilen, die Aussichten für eine Änderung des Regimes nicht gerade hoffnungsvoll erscheinen.

Auf diesem Gebiete sieht man, wie richtig die Auffassung meines Vorgängers, Herr von Fischer, war, der bereits seit 1944 immer wieder darauf hingewiesen hat3, dass man nichts versäumen dürfe, um schweizerische Kapitalien in Rumänien frei zu machen und zu rapatriieren. Es ist auch zu bedauern, dass anlässlich der letzten wirtschaftlichen Verhandlungen mit Rumänien4 nicht versucht wurde, eine gewisse Tranche der gewährten Vorschüsse für eine solche Kapitalrapatriierung zu reservieren, da damals die rumänische Regierung unbedingt auf die Anleihe der Schweiz angewiesen war, während sich inzwischen die Lage wirtschaftlich und politisch geändert hat und voraussichtlich die zukünftige Entwicklung eine Darlehen- oder Anleihegewährung durch die Weststaaten nicht mehr erforderlich machen wird5.

Eine weitere Schwächung der Privatwirtschaft erfolgt gegenwärtig durch die Regierungspolitik in Verbindung mit der Stabilisation des Leu. Bekanntlich hat sich dieser in den letzten Wochen im Vergleich zu den harten Währungen stark entwertet, was in erster Linie auf Käufe von Devisen durch die rumänische Regierung zurückzuführen ist. Da die Preissteigerung auf dem Innenmarkte dieser Devisenentwertung bis jetzt noch nicht in vollem Umfange nachgefolgt ist, profitiert nunmehr die Regierung, um auf allen Gebieten Waren und Güter zusammen zu kaufen, also Sachwerte zu billigen Preisen sich anzueignen. So hat beispielsweise die Holzindustrie die Weisung erhalten, 125’000m2 Exportware der Regierung in 4 Wochen zu liefern, zahlbar am 1. August. Das gleiche geschieht mit der Ernte.

Aus verschiedenen Äusserungen in der Presse scheint hervorzugehen, dass man für die Stabilisierung des Leu auf die Relation $ – Leu im Jahre 1938 zurückgreifen will. Alle Untersuchungen über Währungsentwertung, Lebenskosten und Anpassung des Budgets gehen auf dieses Jahr 1938 zurück, in welchem Jahre 1 $ ungefähr 500 Lei wert war. Selbstverständlich wird man auch da die Relation vom alten zum neuen Leu so günstig wie möglich für die Regierung festsetzen und so ungünstig wie möglich für die Besitzer dieser Lei, um auch auf diesem Wege die Privatpersonen und die Privatwirtschaft zu schwächen. Vorläufig geht somit der Kommunismus in der Weise vor, um zur endgültigen wirtschaftlichen Macht zu gelangen, indem er Privatpersonen und Privatwirtschaft in ihrer Substanz nach Möglichkeit schwächt. Die Voraussetzungen für die Stabilisation des Leu sind nicht gerade glänzend. Die noch zur Verfügung stehende Goldreserve ist klein, die Aussichten für eine Aussenanleihe ebenfalls, dafür käme nur Sowjetrussland in Frage, der Aussenhandel ist gegenwärtig ebenfalls ohne Bedeutung. Eine Stabilisation wäre sachlich gesprochen kaum in Frage gekommen, wenn nicht ganz unvorhergesehenermassen starke Regenfälle im Monat Juli eine bedeutende Änderung der Erntelage verursacht hätten. Für den Weizen war es bereits zu spät, doch nimmt man an, dass 2/3 bis 4/5 des Inlandsjahresbedarfes gedeckt sind. Dagegen wird die Maisernte so gross ausfallen, dass sie genügen dürfte, um die Inlandbedürfnisse zu decken, wobei vielleicht sogar ein kleiner Exportüberschuss vorhanden sein wird. Desgleichen werden vielleicht in andern Getreidearten kleinere Überschüsse vorliegen. Allein man darf nicht vergessen, dass Sowjetrussland die vor wenigen Wochen geliehenen 8000 Waggons Getreide und Mais zurückerstattet werden müssen, und dass weitere Bezüge durch Sowjetrussland alle Kalkulationen über den Haufen werfen können. Wie dem auch sei, darf auf dem landwirtschaftlichen Sektor auf keinen Fall mit grossen Exportüberschüssen gerechnet werden6.

1
Schreiben: E 2001-07(-)1970/349/1.
2
Für die Akten der KNE zu Rumänien vgl. E 2001-07(-)1970/349 sowie E 9500.2-04(A)1970/ 356.Vgl. auch die Notiz des EPD über eine interne Besprechung zu Fragen betreffend die schweizerischen Interessen in Rumänien vom 24. Oktober 1947, E 2001-07(-)1970/349/1 (dodis.ch/1735), sowie die Notiz betreffend den Schutz des schweizerischen Eigentums in Rumänien vom 9. Dezember 1947, ebd. (dodis.ch/1739).
3
Vgl. DDS, Bd. 15, Dok. 321, dodis.ch/47925.
4
Zu den Wirtschaftsverhandlungen zwischen der Schweiz und Rumänien im Frühjahr 1946 vgl. E 2001(E)-/1/337 sowie E 7110(-)1973/119/37.Ein Abkommen über den Warenund Zahlungsverkehr wurde am 29. Juni 1946 abgeschlossen; vgl. AS, 1947, Bd. 63, I, S. 165–169 (dodis.ch/1803).
5
Vgl. DDS, Bd. 17, Dok. 47, dodis.ch/277.
6
Randbemerkung F. Schnyders vom 19. August 1947: Vgl. unsern letzten Brief an Handel. Handel und Finanzsektion unterrichten. Schon jetzt abklären, ob wir gegenüber Rumänien irgendein wirtschaftliches Druckmittel besitzen (ich bin skeptisch). S. [iehe]meine Notiz vom 31. 7. Zu den schweizerischen Druckmitteln in der Nationalisierungsfrage vgl. DDS, Bd. 17, Dok. 97, dodis.ch/5400.