dodis.ch/14893
Der schweizerische Botschafter in Buenos Aires, O. Seifert, an den Generalsekretär des Politischen Departements, R. Kohli1

In der Angelegenheit der Compañia Italo-Argentina de Electricidad

(CIAE) beehre ich mich Bezug zu nehmen auf meinen eingehenden Bericht vom 12. Mai2.

Glücklicherweise hatte die Unterschrift des Vertrages3 dank dem von

Energiewirtschaftssekretär Ing. Branca angeordneten Beschleunigungsverfahren schon am Freitag abend stattfinden können, was ich Ihnen sofort meldete.

Als Ing. Zamboni mich vom glücklichen Abschluss der von ihm mit ebenfalls anwesend war. Der Wirtschaftsminister schien selbst überrascht, dass es gelungen war, die Ausfertigung des Vertrages so zu beschleunigen, dass er noch am Freitag abend unterzeichnet werden konnte. Er erklärte sich höchst befriedigt und fügte etwas verbittert hinzu, die Schweizer hätten seinem Versprechen, die leidige Angelegenheit raschestens zu lösen, mehr

Vertrauen entgegenbringen dürfen. Ich darf in diesem Zusammenhang vielleicht nochmals daran erinnern, dass ich tatsächlich schon in meinem politischen Brief vom 28. April4 mitgeteilt hatte, Dr. Ernesto Alemann habe mich sofort nach dem Amtsantritt seines Sohnes wissen lassen, dieser betrachte die rasche Bereinigung des Italo-Argentina-Vertrages als eines seiner wichtigsten Anliegen.

Wir standen an jenem Abend unter dem Eindruck des am Vortage vom berüchtigten Boulevard-Blatt «La Rezon» veröffentlichten Angriffs auf die

Regierung, in dem unter dem Titel «Neuer Elektrizitätsskandal» ein vom ehemaligen argentinischen Finanzminister Dr. Federico Pinedo zuhanden des Energiesekretariats ausgearbeiteter Bericht auszugsweise, entstellt und falsch ausgelegt zu polemischen Zwecken ausgeschlachtet wurde. In diesem

Presseelaborat wurde u. a. insinuiert, die Regierung sei im Begriff, das projektierte Elektrizitätswerk «Dock Sud», ein Objekt erster Grössenordnung, wofür Argentinien noch keine geeignete Finanzierungsgrundlage gefunden hat, den beiden Gesellschaften SEGBA5 und ITALO zu verkaufen. Wirtschaftsminister Dr. Roberto T. Alemann machte kein Hehl aus seiner Befürchtung, die

Unterzeichnung des Italo-Vertrages werde nunmehr ein Neuaufflackern der

Polemik um die Elektrizitätsversorgung von Buenos Aires mit sich bringen, was der Regierung, die sich auf ihre neuen wichtigen Aufgaben zu konzentrieren habe, sehr lästig fallen könnte.

Der unüberlegte Angriff hatte seinen Ursprung, und dies ist für die hiesigen

Verhältnisse bezeichnend, in von untreuen Beamten illegal in Umlauf gesetzten gekürzten Exemplaren des vertraulichen Pinedo-Berichts, die gegen Bezahlung von 100 Pesos gekauft werden konnten.

Es zeigte sich am darauffolgenden Tag, dass die Befürchtungen nicht begründet waren. Dr. Pinedo stellte geschickt die tendenziöse Darstellung richtig, und seine Erklärungen erhielten angemessene Publizität. Andererseits wurde die Unterzeichnung des Italo-Vertrages von einer einzigen Zeitung, dem «Argentinischen Tageblatt», am Samstag früh gemeldet, alle andern

Blätter waren anscheinend nicht informiert worden. Der Wirtschaftsminister und der Energiesekretär Ing. Branca bereiteten sich nun ruhig auf eine

Pressekonferenz vor, welche sie auf Montagabend den 15. Mai einberiefen.

Sie verlief in überraschend freundlicher Atmosphäre. Herr Alemann hatte es sich nicht nehmen lassen, persönlich zu erscheinen und die technischen Erläuterungen und Darlegungen des Energiewirtschafts-Sekretärs selbst einzuleiten.

Mit sichtlicher Genugtuung verlas er die Nachricht der Unterzeichnung des

Vertrages, womit ein schon mehrere Jahre dauernder Streitfall seine auch für

Argentinien befriedigende Schlichtung erfahren habe. Anders als im Falle

CADE6SEGBA sei es gelungen, die CIAE zu Kapitalinvestierungen in der Höhe von 80 Millionen USA $ zu verpflichten. Auch die nachfolgenden

Ausführungen mehr technischer und juristischer Art des Energiewirtschaftssekretärs wurden von den rund fünfzig anwesenden Journalisten mit Interesse und ohne Zwischenfragen angehört.

Ich darf mir erlauben, auf die komplizierte technische Seite dieser Darlegungen nicht näher einzugehen. Noch am gleichen Abend hat der Handelskorrespondent der Neuen Zürcher Zeitung, Dr. Hillekamps, eine fachmännisch einwandfreie Wiedergabe nach Zürich gesandt, von der er mir Kenntnis gegeben hatte und die Ihren Diensten alle wünschenswerten Aufklärungen bereits gebracht haben wird.

Keine der hiesigen grossen Tageszeitungen hat sich in polemischer oder aggressiver Weise mit dem Vertragsabschluss befasst. Eine Ausnahme bilden nur die zwei sozialistischen kleinen Wochenzeitungen, von denen ja kaum zu erwarten war, dass sie sich anders als kritisch und antiprivatwirtschaftlich

äussern würden.

Für unsern Gebrauch dürfte es m. E. genügen festzuhalten, dass die Italo-Argentina, im Gegensatz zur CADE, ein 100% privatwirtschaftlich geleitetes Unternehmen bleibt und dass ihr diese Eigenschaft ermöglichen wird, sollten die schweizerischen Geldgeber ausbleiben, sich mit Aussicht auf Erfolg um Kredite bei der Weltbank zu bewerben. Ferner kann daran erinnert werden, dass den bisherigen Aktionären ein durchschnittlicher Ertrag von 7½% in Aussicht steht und dass der ITALO nunmehr eine Konzession auf unbegrenzte Zeit erteilt worden ist, die allerdings von der argentinischen Regierung ab 31. Dezember

1962 jederzeit mit einer Frist von drei Jahren gekündigt werden kann. Nach deren Ablauf muss der Staat die Gesellschaft auf Grund der neuaufgewerteten

Anlagen in frei konvertiblen Devisen übernehmen. Die Neuinvestierungen bezwecken eine Kapazitätssteigerung um 250’000 Kilowatt.

Es ist auffallend, mit welcher Genugtuung in allen der Schweiz nahestehenden hiesigen Kreisen die Regelung der Italo-Sache aufgenommen worden ist.

Mit grosser Erleichterung ist auch konstatiert worden, dass der erste Versuch einer demagogischen Hasskampagne, die in Elektrizitätsfragen eigentlich zu gewärtigen war, im Keime erstickt worden ist. Die Italo-Argentina erfreut sich auch wegen ihres heute immer noch viel besseren Dienstes im Vergleich zur SEGBA eines beachtenswerten Goodwills, und es dürfte die feste Absicht ihrer Leitung sein, nun besondere Anstrengungen zur baldigen Normalisierung ihrer Anlagen zu machen, die stark erneuerungsbedürftig sind.

Es wird nun allerdings eine bedeutende Anstrengung seitens der schweizerischen Lieferanten erwartet, die nicht nur ihre Lieferfristen so weit als möglich verkürzen sollten, sondern auch in Bezug auf Zahlungsbedingungen dem argentinischen Wiederaufbauwillen tatkräftige Unterstützung verleihen sollten.

In dieser Beziehung stehen baldige Besuche in der Schweiz des Präsidenten Zamboni und anderer leitenden Herren der ITALO in Aussicht.

Ich möchte an dieser Stelle festhalten, dass der neue Wirtschaftsminister

Dr. Alemann und der Energiesekretär Ing. Branca sich in dieser Sache ausserordentlich mutig und energisch benommen haben. Es kann nicht bezweifelt werden, dass es der Regierung, die im Begriffe steht auf dem Gebiet des staatlichen Transportwesens zur Ausmerzung des Defizits von 19 Milliarden Pesos der Staatsbahnen äusserst unpopuläre und drastische Massnahmen zu ergreifen, vielleicht besser gepasst hätte, die Unterzeichnung des Italo-Vertrages noch etwas hinauszuschieben. Das geschickte Vorgehen des Wirtschaftsministers und das umsichtige Verhalten Ing. Zambonis, der einige der ärgsten Fanatiker zu beschwichtigen vermochte sowie vielleicht nicht zuletzt das unangetastete

Prestige der Schweiz, deren Interesse an der ITALO bekannt ist, haben die befürchtete Reaktion der ultranationalistischen Kreise glücklicherweise aufgehalten.

Der Vertrag – Convenio – wird nun noch dem Nationalen Energierat zur

Vernehmlassung unterbreitet. Dessen Vorsitzender ist Ing. Branca. Präsident

Frondizi hat es selber übernommen, einigen der einflussreichsten Mitglieder dieses Rates die rasche Behandlung nahezulegen. Es wird mir aber versichert, dass der Staatspräsident entschlossen ist, sich auch über eine etwaige negative

Stellungnahme hinwegzusetzen, was konstitutionell nicht unmöglich wäre, hat doch der Energierat nur beratende Funktion.

Diese Vernehmlassung wird einige Tage mehr in Anspruch nehmen, als ursprünglich angenommen. Auf Grund der erhaltenen Zusicherungen, dürfen wir aber bestimmt hoffen, das Dekret noch im Laufe der ersten Hälfte Juni unter Dach and Fach zu bringen.

Angesichts des uns erwiesenen guten Willens und besonders im Hinblick auf den Umstand, dass Wirtschaftsminister Alemann an der Pressekonferenz vom vergangenen Montag sich persönlich in dieser Sache stark exponiert hat, möchte ich Sie angelegentlichst ersuchen, ihm nunmehr das geforderte

Vertrauen entgegenzubringen. Er verdient es bestimmt, und ich glaube, dass wir die hier gemachte Geste, die wie gesagt innenpolitisch mit konkreten Gefahren verbunden war denen mutig begegnet worden ist, mit ebenso offener

Freundlichkeit beantworten sollten.

Entgegen der auf Seite 8 meines Berichts vom 12. Mai7 gemachten Empfehlung, möchte ich Sie ersuchen, alles in Ihrer Macht stehende zu tun, damit wird, behördlicherseits das weitestmögliche Entgegenkommen gezeigt werde.

Er wird zwischen dem 1. und 5. Juni einen Besuch in Bern machen, und ich werde Ihnen mit dem nächsten Kurier8 sein näheres Programm bekanntgeben, das mit den schweizerischen Grossbanken, die Schweizerische Kreditanstalt an der Spitze, annähernd definitiv festgelegt worden ist.

Dass sich die Atmosphäre in den schweizerischen Bankkreisen zum bessern für Argentinien gewendet hat, beweisen die Telegramme, welche Herr Gonzalez del Solar aus der Schweiz erhalten hat, in denen Argentinien zur Regelung der Italo-Angelegenheiten in höchsten Tönen gratuliert wird. Besonders entgegenkommend und aussichtsreich für den bevorstehenden Besuch äusserte sich Generaldirektor Schulthess, der Gonzalez del Solar telegraphierte, nunmehr stehe der Weg zu einer fruchtbaren und erspriesslichen Zusammenarbeit offen, und man freue sich sehr auf seinen Besuch in Zürich.

Ich muss mich wegen Zeitmangel, nach einer in jeder Beziehung sehr anstrengenden Woche, auf diese vorläufige Mitteilung beschränken, behalte mir aber vor, Ihnen mit einem am Dienstag abgehenden Sonderkurier über den bevorstehenden Besuch der Delegation der argentinischen Zentralbank näher zu berichten9.

Ich darf wohl annehmen, dass in Anbetracht der erfolgten Regelung eine

Beantwortung der Kleinen Anfrage Kurmann10 sich erübrigt.

1
E 2001(E)1976/17/335.
2
Vgl. das Schreiben von O. Seifert an R. Kohli vom 12. Mai 1961, nicht abgedruckt.
3
Es handelt sich um einen Verständigungsvertrag zwischen der CIAE und der argentinische Regierung. Vgl. Anm. 1.
4
Vgl. das Schreiben von O. Seifert an M. Petitpierre vom 28. April 1961, E 2300(-)1000/ 716/101.
5
Es handelt sich dabei um eine argentinische Elektrizitätsgesellchaft, welche aus dem privaten Unternehmen CHADE entstanden und zu einer halb-privaten Gesellschaft geworden ist. Vgl. DDS, Bd. 21, Dok. 80, dodis.ch/14897.
6
Compañia Argentina de Electricidad. Vgl. DDS, Bd. 21, Dok. 1, dodis.ch/14947, insbesondere Anm. 2.
7
Vgl. Anm. 1.
8
Vgl. das Schreiben von O. Seifert an R. Kohli vom 20. Mai 1961, nicht abgedruckt.
9
Vgl. das Schreiben von O. Seifert an R. Kohli vom 22. Mai 1961, nicht abgedruckt.
10
Zu dieser Anfrage vgl. BR-Prot. Nr. 361 vom 1. März 1960, E 1004.1(-)1000/9/635.1.