dodis.ch/15089
Interne Notiz des Politischen Departements1

Bestellung der Brennstoffelemente für den DIORIT-Schwerwasserreaktor

Gemäss Vertrag vom 23. April 19552 hat der Bund der Reaktor AG die

Brennstoffelemente für den Schwerwasserreaktor zu liefern. Dafür wurden ursprünglich die in England bestellten sogenannten kurzen Springfieldelemente in Aussicht genommen, doch erwiesen sich diese infolge von Konstruktionsänderungen als nicht geeignet. Es wurde daher beschlossen, die Brennstoffelemente in Kanada auf Grund unseres Abkommens3 mit diesem Lande zu bestellen. Die Reaktor AG wurde dementsprechend ermächtigt, diesbezüglich

Verhandlungen mit den kanadischen Behörden für die Lieferung von 6,6 t natürlichen langen Uranstäben mit Aluminium-Umhüllung und von 4 t blanken

Uranstäben, die für den Exponentialversuch benötigt werden, aufzunehmen.

Der Kaufvertrag ist indessen vom Bund, als Eigentümer dieser Brennstoffe, mit den kanadischen Behörden abzuschliessen.

Die kanadischen Behörden verlangen nun, als Voraussetzung für die Bestellungsannahme, die Zustimmung der schweizerischen Regierung zu einer

Garantieverpflichtung des Bundes, die im Kaufvertrag aufzunehmen ist. Danach hat der Bund die kanadischen Behörden schadlos zu halten für irgendwelche

Schadensforderungen, die gegen sie als Lieferantin der fraglichen Brennstoffe rechtswirksam geltend gemacht werden könnten. Gegen die ursprüngliche sehr allgemeine Formulierung dieser Klausel haben wir Bedenken geäussert, und es ist den Vorstellungen von Herrn Botschafter Nef in Ottawa gelungen, die kanadischen Behörden dazu zu bewegen, dass diese die Verschuldenshaftung für Vorsatz und Grobfahrlässigkeit übernehmen. Der Text der Klausel lautet nun wie folgt:

Englischer Originaltext

The Government of Switzerland shall indemnify and hold harmless the Government of Canada and Atomic Energy of Canada Limited against any and all liability (including third party liability) from any cause arising (otherwise than by reason of wilful default or gross negligence on the part of the Government of Canada or Atomic Energy of Canada Limited) out of the production or fabrication, the supply, the ownership or the possession or use of the DIORIT reactor fuel elements or the exponential experiment uranium slugs supplied under this contract after delivery to the Government of Switzerland or to any individual or private or state organization authorized by that Government.

Wörtliche deutsche Übersetzung

Die schweizerische Regierung wird die Regierung von Kanada und die Atomic Energy of Canada Limited entschädigen und schadlos halten für alle und jede Verantwortlichkeit (einschliesslich der Verantwortlichkeit gegenüber Dritten), die sich aus irgendwelchen Gründen (ausgenommen böswillige Absicht oder aus dem Eigentum, dem Besitz oder der Verwendung der auf Grund dieses

Vertrages gelieferten Brennstoffelemente für den DIORIT-Reaktor und der

Uranstäbe für den Exponentialversuch nach der Ablieferung an die schweizerische Regierung oder an Einzelpersonen, private oder staatliche Organisationen, die von dieser Regierung dazu ermächtigt wurden, ergeben könnte.

Es stellt sich nun die Frage, ob der Bundesrat bereit ist, diese Garantieverpflichtung zu übernehmen und Herr Botschafter Nef ermächtigt werden kann, den kanadischen Behörden unsere Zustimmung dazu bekanntzugeben.

Unser Entscheid in dieser Frage ist sehr dringend, da ein Teil der Brennstoffelemente bereits Ende August und der Rest vor Ende dieses Jahres zur Ablieferung gelangen sollte, weil sonst mit ernsthaften Verzögerungen im Bauprogramm der Reaktor AG zu rechnen wäre.

Die rechtliche Tragweite dieser Garantieverpflichtung lässt sich, insbesondere was die Haftung gegenüber Drittpersonen anbetrifft, nicht mit Bestimmtheit voraussagen. Im Falle eines Reaktorunfalles, der nachweisbar auf fehlerhafte Brennstoffelemente zurückzuführen ist, könnten Drittgeschädigte unter

Umständen direkt Schadenersatzklage gegen den schuldbaren kanadischen

Lieferanten beim zuständigen kanadischen Gericht führen, und der Bund hätte auf Grund der Klausel für die finanziellen Folgen einzustehen. Unabgeklärt ist, welches Recht der kanadische Richter in einem solchen Falle zur Anwendung bringen würde. Nach den Grundsätzen des internationalen Privatrechts wäre das Recht des Unfallortes, d. h. schweizerisches Recht anwendbar. Wir haben die kanadischen Behörden um ihre Ansichten zu diesem Punkt ersucht, doch machen diese geltend, dass es sich hierbei um Ermessensfragen des kanadischen Richters handle, zu denen sie nicht Stellung nehmen könnten.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass dieser nach dem kanadischen Recht bzw. der kanadischen Judikatur urteilen würde. Unter diesen Umständen müsste möglicherweise mit weitergehenden Schadenersatzurteilen gerechnet werden, als wenn schweizerisches Recht Anwendung fände. Insbesondere dürfte die in unserem Atomgesetz4 vorgesehene Beschränkung der Verschuldenshaftung des

Lieferanten vom kanadischen Richter (als gegen den Ordre public verstossend) nicht anerkannt werden. Der ganze Fragenkomplex der Lieferantenhaftung für

Atommaterialien im internationalen Verkehr steht zur Zeit in Fachkreisen zur

Diskussion. Es wird voraussichtlich einer internationalen Rechtsvereinbarung bedürfen, um eine klare Lösung dieser Haftungsprobleme herbeizuführen.

Nach Ansicht der Fachleute der Reaktor AG sind ernsthafte Gefahren bei den hier in Frage stehenden natürlichen Uranelementen sehr gering. Auch wird der Verschuldensnachweis des kanadischen Lieferanten im konkreten

Falle, welcher das Rückgriffsrecht auf den Bund zur Voraussetzung hat, nicht leicht zu erbringen sein. Es handelt sich hierbei jedoch um eine grundsätzliche

Frage5, und die Zustimmung des Bundesrates zu dieser Klausel erscheint daher notwendig. Ein Antrag6 für den Vertragsabschluss wird dem Bundesrat in der

Folge unterbreitet werden müssen.

Es sei beigefügt, dass auch die englischen und amerikanischen Lieferanten von Uranbrennstoffen eine derartige Schadloshaltungserklärung der Rgierungen der Bezugsländer verlangen. Wir befinden uns also in einer Zwangslage, denn ohne Bundesgarantie ist die Beschaffung von Brennstoffen zur Zeit nicht möglich7.

1
E 2003(A)1978/29/241. Paraphe: SG. Diese Notiz für den Chef des Politischen Departements, M. Petitpierre, wurde von O. Zipfel unterzeichnet.
2
Vgl. den Vertrag zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Reaktor AG betreffend die Errichtung und den Betrieb eines Atomreaktors vom 23. April 1955, E 8210(A)1992/30/21.
3
Vgl. das Abkommen über die Zusammenarbeit zwischen der schweizerischen und der kanadischen Regierung auf dem Gebiete der friedlichen Verwendung von Atomenergie vom 6. März 1958 (Inkrafttreten: 7. Juli 1958), AS, 1958, S. 691, 694–700. Zur Frage dieses Abkommens vgl. die Schreiben von V. Nef an O. Zipfel vom 22. August 1956 und von V. Nef an M. Petitpierre vom 23. August 1957, E 2003(A)1970/115/105 (dodis.ch/11553 und dodis.ch/11557) und den Antrag des Politischen Departements vom 3. Februar 1958, E 1004.1(-)1000/9/610 (dodis.ch/11317).
4
Vgl. dazu die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Entwurf zu einem Bundesgesetzes über die friedliche Verwendung der Atomenergie und den Strahlenschutz vom 8. Dezember 1958, BBl, 1958, Bd. II, S. 1521 ff.
5
Vgl. die Notiz von H. R. Zoelly für M. Petitpierre vom 14. Juli 1958, nicht abgedruckt (dodis.ch/15090).
6
Vgl. den Antrag des Politischen Departements an den Bundesrat vom 12. August 1958, E 1001(-)1000/6/107.
7
Am 12. September 1958 wurde der schweizerisch-kanadische Lieferungsvertrag für Brennstoffmaterial in Ottawa unterzeichnet, vgl. das Schreiben von V. Nef an O. Zipfel vom 12. September 1958 und die Pressemitteilung vom 15. September 1958, E 2200.30(-)1978/63/26.