dodis.ch/30665
Der Vorsteher des Politischen Departements, F. T. Wahlen, an den Bundesrat1

Freundschaftsvertrag mit Liberia

Anlässlich eines Staatsbesuches, den der liberische Präsident William V. S. Tubman im Jahre 1956 unserem Lande abstattete2, wurde erstmals die Frage des Abschlusses eines Freundschaftsvertrages zwischen der Schweiz und Liberia erwogen. Die Anregung dazu war ursprünglich von der Union Handels-Gesellschaft AG in Basel ausgegangen, die in Liberia umfangreiche Investitionen besitzt. Unser Vorstoss bezweckte, das gute Klima, das die schweizerisch-liberischen Beziehungen in jenem Zeitpunkt kennzeichnete, für die Schaffung eines staatsvertraglichen Rahmens zu nützen und damit auch die Zukunft unserer relativ bedeutenden Kolonie in Liberia (etwa 200 Personen) und deren wirtschaftliche Interessen möglichst zu sichern. Nachdem unser Vorschlag zunächst kein konkretes Echo gefunden hatte, konnten die Verhandlungen seit 1960 in mehreren Phasen entscheidend gefördert werden.

Der heute vorliegende Vertragstext3, der am 13. Februar 1963 in Mon rovia vom Verweser unseres dortigen Generalkonsulates, Vizekonsul Wolf, und Unterstaatssekretär Wilmot Davis paraphiert worden ist4, unterscheidet sich vom ursprünglichen Textentwurf in mehrfacher Hinsicht. Einerseits konnte auf schweizerischen Wunsch, nachdem hiefür vorerst erheblicher Widerstand von liberischer Seite überwunden werden musste, eine Investitionsschutzklausel eingebaut werden, wie sie in ähnlicher Weise bereits in mehreren Verträgen mit anderen afrikanischen Staaten Aufnahme gefunden hat5. Ein Vorbehalt, auf dem die liberischen Behörden beharrten, wonach sich im Falle allgemeiner nationaler Stabilisierungsmassnahmen in Bezug auf den freien Kapitaltransfer Einschränkungen als notwendig erweisen könnten, bei denen aber die Meistbegünstigung aufrecht erhalten bliebe, wurde in einen Briefwechsel verwiesen6 (Beilage). Anderseits wurde auf liberischen Wunsch ein ausführlicher Artikel über die gegenseitigen diplomatischen und konsularischen Vertretungen, der uns annehmbar erschien, eingebaut. Schliesslich fanden wir uns bereit, eine Bestimmung aufzunehmen, wonach sich keine der beiden Parteien in die inneren Angelegenheiten der anderen einmischen werde. Dieses Anliegen, das von unserem Standpunkt aus als selbstverständlich erscheint, das aber von der liberischen Seite mit besonderer Insistenz verfochten wurde, lässt sich nur aus dem antikolonialen Reflex der afrikanischen Staaten verstehen. Auf die im Freundschaftsvertrag ursprünglich vorgesehene Schiedsklausel konnte verzichtet werden, da die Verhandlungen über den Abschluss eines separaten Vergleichs- und Schiedsvertrages zwischen der Schweiz und Liberia so weit fortgeschritten sind, dass mit der gleichzeitigen Unterzeichnung beider Verträge gerechnet werden kann.

Der vorliegende Vertragstext, der die Zustimmung sämtlicher interessierten Bundesstellen gefunden hat, umfasst acht Artikel:

Art. 1 stellt fest, dass zwischen den beiden Vertragspartnern dauernder Friede und immerwährende Freundschaft herrschen sollen;

Art. 2 stipuliert hinsichtlich der den Staatsangehörigen des Partnerlandes eingeräumten Rechte (Niederlassung, Verfügungsgewalt usw.) die Reziprozität; vorbehalten bleiben bestehendes und künftiges Verfassungs- und Gesetzesrecht. Für Rechts- und Verwaltungsverfahren gilt das «traitement national». Auf die Ausfuhr von Vermögenswerten und persönlicher Habe wird die Meistbegünstigung angewandt;

Art. 3 regelt den Austausch diplomatischer und konsularischer Vertretungen;

Art. 4 enthält die Nichteinmischungsklausel;

Art. 5 unterstellt Handels-, Transit-, Zoll- und Zahlungsangelegenheiten der Meistbegünstigung. Ausgenommen bleiben die im Rahmen bestehender oder künftiger Zollunionen, Freihandels- oder Währungszonen geltenden Präferenzen;

Art. 6 bestimmt hinsichtlich der Behandlung alter und neuer Investitionen – je nachdem sich das eine oder andere günstiger auswirkt – entweder das «traitement national» oder die Meistbegünstigung. Die freie Transferierbarkeit aller Erträge wird zugesichert. Expropriationen und Nationalisierungen dürfen nur im Öffentlichen Interesse und gegen angemessene Entschädigung vorgenommen werden;

Art. 7 erstreckt die Anwendbarkeit des Artikels 5 für die Dauer der schweizerisch-liechtensteinischen Zollunion auf das benachbarte Fürstentum;

Art. 8 enthält den Ratifikationsvorbehalt, regelt die Inkraftsetzung und stipuliert eine einjährige Kündigungsfrist. Nach einer allfälligen Kündigung soll die Investitionsschutzklausel (Art. 6) noch weitere 10 Jahre für die vor der Kündigung vorgenommenen Investitionen wirksam bleiben. Das Politische Departement beehrt sich, dem Bundesrat zu beantragen:

1. dem am 13. Februar 1963 paraphierten Entwurf eines Freundschaftsvertrages (samt Briefwechsel) zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Liberia wird zugestimmt;

2. der schweizerische Botschafter in Akkra, Herr Guy von Keller, wird ermächtigt, den Vertrag unter Ratifikationsvorbehalt, möglichst gleichzeitig mit dem Vergleichs- und Schiedsvertrag, zu unterzeichnen und den ergänzenden Briefwechsel vorzunehmen7.

1
Antrag: E 1001(-)1967/125/15. Dieser Antrag wurde von R. Probst und A. Hohl verfasst und von F. T. Wahlen unterzeichnet.
2
Zu diesem Besuch vgl. E 2001(E)1970/217/81.
3
Nicht abgedruckt.
4
Für diesen Vertragstext vgl. den Anhang zum Schreiben Liberia; Freundschaftsvertrag von H. Taverna an P. Micheli vom 13. Februar 1963, E 2001(E)1976/17/525.
5
Für eine Übersicht über die afrikanischen Staaten, mit denen die Schweiz bis zu diesem Zeitpunkt Verträge abgeschlossen hatte vgl. Nr. 132, Anm. 4, in diesem Band.
6
Nicht abgedruckt.
7
Der Antrag des Politischen Departements wurde vom Bundesrat in seiner Sitzung vom 30. April 1963 angenommen. Vgl. das BR- Prot. Nr. 820, E 1004.1(-)-/1/672.2.Der Freundschafts- und Handelsvertrag zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Liberia wurde am 23. Juli 1963 abgeschlossen. Vgl. BBl 1963, II, S. 1329–1332.