1. Die Entwicklung der Beziehungen bis heute
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Mit dem Abzug der Regierung Tschang Kai-Shek nach Taiwan wurde im Oktober 1949 auch unsere Gesandtschaft in Nanking geschlossen4; der Einladung an die diplomatischen Vertretungen, die nationalchinesische Regierung nach Taiwan zu begleiten, leisteten wir keine Folge. Vielmehr sprach der Bundesrat im Januar 1950 – nachdem eine Reihe europäischer Staaten (worunter Grossbritannien und Skandinavien) ihm dabei vorangegangen waren – durch Telegramm5 die Anerkennung der Regierung Mao Tse Tungs aus. In der Folge haben sich die Beziehungen zwischen der Schweiz und der Volksrepublik China normal entwickelt, wenngleich mit einer verständlichen Zurückhaltung. Eine leichte Spannung hat sich Anfang dieses Jahres ergeben, als wir kurz hintereinander dem Nachfolger von Botschafter Li das Agrément verweigerten – bei diesem Nachfolger handelt es sich um einen führenden chinesischen Nachrichtenoffizier, der u. a. die chinesische Subversion in Indonesien geleitet hatte6 – und anschliessend gegen einzelne weitere Angehörige der Botschaft Chinas in Bern einschreiten mussten, die auf Schweizerboden und unter Mithilfe nationalchinesischer Doppelagenten politischen Nachrichtendienst zum Nachteil Taiwans ausübten7. Eine gewisse nervöse Gereiztheit uns gegenüber war in den darauffolgenden Monaten unverkennbar8.
Soeben haben nun die Chinesen wieder um ein Agrément für einen neuen Botschafter nachgesucht, dem der Bundesrat wird entsprechen können (bzw. entsprochen hat)9. Dies dürfte beweisen10, dass die Turbulenzen der «Kulturrevolution» bisher nicht auf die chinesische Aussenpolitik übergegriffen haben, wenigstens gegenüber Westeuropa.
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3. Die wirtschaftlichen Beziehungen
Der Handel mit China, der sich in den zwanziger- und dreissiger Jahren recht gut entwickelte, kam infolge der Kriegs- und Bürgerkriegsereignisse in China immer mehr zum Erliegen. 1945–1949 war zwar nochmals ein leichter Anstieg zu verzeichnen, doch mit der kommunistischen Machtübernahme erfolgte wieder ein Rückgang auf ganz unbedeutende Quantitäten. (Genaue Zahlen lassen sich nicht geben, da die schweizerische Aussenhandelsstatistik die Exporte nach China, Formosa und Hongkong bis 1959 in einer einzigen Rubrik zusammenfasste und sie erst seit 1960 getrennt aufführt.)
Entsprechend gingen auch die Geschäfte der in China ansässigen Schweizerhäuser immer mehr zurück. Die chinesische Taktik ging dabei darauf aus, Kenntnisse und Erfahrung der Firmen sich zunutze zu machen, ihnen aber die Einkünfte praktisch zu verunmöglichen; sie wurden also nicht nationalisiert, sondern sollten einfach eingehen. Es bedurfte zahlreicher Interventionen unseres Vertreters in China12, um den wenigen noch existierenden Schweizerfirmen die Liquidation ihrer Aktiven zu ermöglichen. Diese Periode ging 1960/61 zu Ende13.
Nach den Auseinandersetzungen mit Moskau 1962, die zum Rückzug der russischen Experten und zur Drosselung der wirtschaftlichen Beziehungen geführt hatten, änderte sich die Lage: die Chinesen wandten sich für ihre Käufe14 wieder vermehrt nach dem Westen, wobei sie allerdings – wie alle kommunistischen Staaten – nur an Investitionsgütern Interesse zeigten, im Falle der Schweiz speziell an Präzisionsmaschinen, Uhren und Apparaten. Sie beklagten sich zwar gelegentlich über unsere langen Lieferfristen und über unsere Preise, haben aber doch in zunehmendem Masse gekauft. 1965 z. B. haben wir für 78,3 Mio. Fr. nach China exportiert, was einem Exportüberschuss von 23,8 Mio. Fr. und einer rund 5-fachen Zunahme gegenüber 1962 entspricht. Die «Kulturrevolution» brachte eine Stagnation, von der man nicht wusste, ob sie lediglich eine vorübergehende Störung war oder ob sich dahinter die Absicht verbarg, den Aussenhandel systematisch abzubauen. Heute lassen indessen die Chinesen erkennen, dass der bisherige Trend des chinesischen Aussenhandels von den internen Umwälzungen unberührt bleiben soll: es haben verschiedene ausländische, westliche Fachmessen stattgefunden, und die chinesischen Behörden haben ausdrücklich einen Vertreter unserer Botschaft in Peking zu einem Besuch der Messe in Kanton eingeladen15.
Auch eine schon seit einiger Zeit geplante Ausstellung der Fédération Horlogère, der sich in der Folge zwei auf den Gebieten Feinmechanik und Apparate spezialisierte Schweizer Exporthäuser (TettexAG und Siber Hegner) anschlossen, schien in Frage gestellt16, soll nun aber doch zustande kommen: dieser Tage sind Vertreter der F. H. und der beiden Exporthäuser nach China abgereist, um die Ausstellung zu organisieren17. Zudem haben die Chinesen uns zu verstehen gegeben, sie seien gewillt, noch mehr Waren als bisher von der Schweiz zu beziehen18. Die Aussichten für unsern Handel mit China dürfen deshalb mit einem vorsichtigen Optimismus beurteilt werden.
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6. Die Aussichten20
Heute lassen sich die Beziehungen zu Peking trotz allem als normal, allerdings bei einer gewissen Reserviertheit und Skepsis, charakterisieren. Die anfangs des Jahres verzeichnete und schon erwähnte Spannung scheint, nachdem nun das Gesuch um das Agrément für einen neuen chinesischen Botschafter vorliegt, behoben. Eine sowohl in Peking wie hier in Bern während der «Kulturrevolution» zur Schau getragene militante Haltung scheint nicht gegen uns persönlich sondern gegen Ausländer im allgemeinen gerichtet gewesen zu sein, wobei der bisherige Geschäftsträger21 offenbar Peking gegenüber sicherheitshalber zu beweisen trachtete, dass auch in ihm das Feuer der Kulturrevolution brenne. Er wurde indessen kürzlich plötzlich abberufen, was ebenfalls auf eine Entschärfung hindeutet.
Die Entwicklung in China und unsere Beziehungen werden vom Departement mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt.