dodis.ch/30985
Notiz für den Vorsteher des Politischen Departements, W. Spühler1

Kuba

Sie haben gewünscht, im Zusammenhang mit dem Brief von Botschafter Schnyder vom 12. Mai2 (amerikanische Besorgnis wegen der Wahrung der USA-Interessen durch unsere Botschaft in Kuba) über die sich für uns in Havanna stellenden Probleme orientiert zu werden. Nachstehend, im Einvernehmen mit dem Dienst für fremde Interessen und der Verwaltungsabteilung, die Hauptpunkte.

I. Wahrung der fremden Interessen

Die Wahrung der fremden, namentlich der amerikanischen Interessen bildet den Hauptanteil der Tätigkeit unserer Botschaft. Wir vertreten in Havanna insgesamt 10 Staaten, nämlich, neben den USA, die meisten lateinamerikanischen Länder (Argentinien, Brasilien, Guatemala, Honduras, Chile, Equador, Venezuela, Kolumbien, Haiti).

Weitaus am meisten beansprucht uns dabei das amerikanische Mandat3. Dies hängt schon rein äusserlich mit der auch weltpolitisch bedeutsamen amerikanisch-kubanischen Spannung zusammen. Unsere Botschaft in Havanna, an ihrer Spitze Herr Stadelhofer4, hat sich dieser schwierigen Aufgabe in den mehr als fünf Jahren, seitdem sie uns obliegt, ausgezeichnet entledigt (Höhepunkte: Landung in der «Schweinebucht» im April 19615, Kubakrise im Herbst 19626, diverse Spionageprozesse gegen Amerikaner7, vereitelte Versuche zur Nationalisierung der amerikanischen Botschaftskanzlei8 etc.).

Im Herbst 1965 ist unserer Interessenvertretung eine neuartige, sehr umfangreiche Aufgabe zugefallen: die Emigration der kubanischen Oppositionellen nach den USA9. Ausgangspunkt war eine offenbar improvisierte Rede Fidel Castros, worin er sich bereit erklärte, alle Regimegegner, die sich nach dem Yankee-Paradies absetzen wollten, abreisen zu lassen10. War diese Ankündigung anfänglich eher als propagandistische Rhetorik erschienen, so wurde Fidel Castro von den Amerikanern, die sich politisch und psychologisch nicht in die Defensive drängen lassen wollten, schon bald beim Wort genommen. Aus den Verhandlungen, die sich daraus unter aktivster Assistenz unseres Botschafters ergaben, ging am 6. November 1965 die bekannte kubanisch-amerikanische Vereinbarung (memorandum of understanding11) über die Emigrationsaktion hervor. Mit der eigentlichen Durchführung (Luftbrücke zwischen Varadero und Miami unter Aufsicht unserer Botschaft) wurde am 1. Dezember v. J. begonnen. Dabei war vorgesehen, zunächst mit Auswanderern der sog. Kategorie A zu beginnen (Kubaner mit nächsten Verwandten in den USA), um hernach auch Auswanderer der Kategorie B (andere auswanderungswillige Kubaner) nachfolgen zu lassen.

Bisher konnten insgesamt 21’243 Kubaner der Kategorie A evakuiert werden. Damit scheint diese Kategorie weitgehend erschöpft zu sein, sodass man nunmehr zur Emigration von Kubanern der Kategorie B übergehen könnte. An dieser Nahtstelle ist nun aber eine wichtige Frage akut geworden. Neben den emigrationswilligen Kubanern leben in Kuba immer noch rund 700 USA-Staatsbürger, die, begleitet von ihren Familienmitgliedern (zumeist Kubanern), ebenfalls heimzukehren wünschen. Diese Gruppe, Amerikaner und Familienmitglieder zusammen, macht rund 2000 Personen aus. Während Botschafter Stadelhofer auf Grund seinerzeitiger mündlicher Anspielungen des kubanischen Premiers annehmen zu können glaubte und dies auch in Washington mitteilte, dass innert nützlicher Frist die Amerikaner (samt Familien) ebenfalls in die Aktion eingeschlossen werden könnten, stellt man sich heute kubanischerseits auf den formellen Standpunkt, dass hierüber in der unterzeichneten Vereinbarung nichts gesagt ist12. Die kubanische Verhärtung wird von Botschafter Stadelhofer hauptsächlich auf gewisse amerikanische Indiskretionen und eine zugegebenermassen oft recht sensationell aufgezogene amerikanische Presse- und Radio-Berichterstattung über die Emigrations aktion, auf die Fidel Castro sehr empfindlich zu reagieren pflegt, zurückgeführt13. Anderseits ist aber auch der amerikanischen Regierung ihr Unmut nicht zu verargen, da es für sie innenpolitisch immer schwieriger wird, die kostspielige Evakuation zu finanzieren und Zehntausende ausländischer Flüchtlinge bei sich aufzunehmen, wenn die amerikanischen Staatsangehörigen in Kuba gleichzeitig von der Aktion ausgeschlossen bleiben sollen.

Wenn es schon so bald zur Krise gekommen ist, so dürfte dies auch damit zusammenhängen, dass, durch die spontanen seinerzeitigen Erklärungen Castros ausgelöst, beide Regierungen, die kubanische wie die amerikanische, in eine Aktion hineingeglitten sind, für die eigentlich keine Seite besondern Enthusiasmus empfindet: die Kubaner nicht, weil sich die Emigrationswelle zusehends verstärkt und für das Regime propagandistisch negative Auswirkungen zeitigt (man spricht bereits von bis zu 200’000 Emigrationskandidaten); die Amerikaner auch nicht, weil sie auf wachsende Schwierigkeiten stossen, eine so grosse Masse teils recht unruhiger Elemente zu absorbieren. Es ist denkbar, dass im Grunde uneingestanden jede der beiden Regierungen froh wäre, das Experiment beendet zu sehen, wobei aber keine Seite nach aussen politisch für den Bruch einstehen möchte und jede deshalb versucht, den Gegenspieler in die Verantwortung hineinzumanövrieren. Unsere Sorge dabei ist, schliesslich nicht selbst mit dem schwarzen Peter sitzen zu bleiben.

II. Bilaterale schweizerisch-kubanische Probleme

Nachdem sich unsere Interessen in Kuba im Gefolge der kubanischen Revolution sukzessive von selbst abbauten, besteht faktisch nur noch ein gewichtiges Problem: jenes der Entschädigung für die drei von Kuba im Oktober 1960 nationalisierten Nestlé-Betriebe14 (unsere totalen Ansprüche hieraus: ca. 10 Mio. USA-Dollar). Wir bemühen uns, mit Unterstützung von Herrn Stadelhofer, schon seit Jahren um eine Regelung. Anfangs 1966 schien es, dass wir uns einer möglichen Lösung näherten. Sie sollte, auf eine einfache Formel gebracht, darin bestehen, dass Nestlé, über unsere normalen schweizerischen Zuckerbezüge hinaus, für den Bedarf ihrer westeuropäischen Fabrikationsstätten jährlich 30’000 To. kubanischen Zuckers übernehmen würde (Wert rund 2 Mio. Fr.), wovon die eine Hälfte «cash» bezahlt und die andere auf die Entschädigungsforderungen der Nestlé gegenüber Kuba angerechnet würde. Indessen ist auch dieses Projekt in den letzten Wochen aus Gründen, die noch nicht recht klar ersichtlich sind, kubanischerseits wieder im Versanden begriffen. Der ganze Plan war bisher noch zu ungewiss und zu unausgereift, um bereits dem Bundesrat vorgelegt werden zu können.

Es hängt dies möglicherweise u. a. auch mit dem Umstand zusammen, dass Herr Stadelhofer durch die Amerika-Interessenvertretung so stark beansprucht war, dass er sich seines eigenen «Zuckerplanes» für Nestlé nicht mehr mit seinem ganzen persönlichen Einsatz annehmen konnte. Wir haben ihm bereits in dieser Richtung geschrieben15. So wichtig unsere «guten Dienste» auch sind, sollte die Verfechtung der eigenen Interessen dadurch nicht tangiert werden. Ein neuer Impuls könnte hier von Nutzen sein.

III. Die amerikanische Kritik

Die gegenüber der Botschaft im Staatsdepartement geäusserte Kritik ist zur Hauptsache zweierlei Art:

Materiell wird die Frage aufgeworfen «si M. Stadelhofer n’a pas eu l’ambition de se faire l’instrument d’une détente entre Cuba et les Etats-Unis». Dieser Eindruck ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Zwar ist es verdienstlich und liegt durchaus im Rahmen der schweizerischen Friedensmission, wenn sich unser Botschafter um eine Versöhnung bemüht. Indessen ist gleichzeitig darauf zu achten, dass wir in erster Linie als Mandatare der USA, wenn auch mit Selbständigkeit und unabhängigem Urteil, die Schutzmachttätigkeit ausüben. Eigene politische Initiativen sind dabei nicht ausgeschlossen, aber heikel, namentlich wenn sie mit den Intentionen des Mandanten nicht ganz in Einklang stehen. Wir sahen uns in dieser Hinsicht schon gelegentlich, so erst diesen Monat wieder, veranlasst, Herrn Stadelhofer eine gewisse Zurückhaltung nahezulegen. Dazu kommt, dass unser Botschafter zwar die lateinamerikanische Mentalität wie selten ein anderer kennt, aber der angelsächsischen und namentlich der nordamerikanischen Art weniger vertraut gegenübersteht. Die amerikanische Kritik sollte indessen auch nicht ausser Acht lassen, dass es gleichzeitig weitgehend dem Enthusiasmus, der unermüdlichen Einsatzbereitschaft, dem Erfindungsreichtum und der Subtilität unseres Botschafters zu danken ist, wenn so viele Schwierigkeiten erfolgreich überwunden wurden und auch das Emigrationsprojekt überhaupt in Gang kam. In gewissem Sinne werden Herr Stadelhofer heute amerikanischerseits «les défauts de ses qualités» angekreidet.

Daneben lassen die Amerikaner einige Zweifel an der Zweckmässigkeit gewisser organisatorischen und personellen Massnahmen durchblicken. In diesem Punkte dürften sie nicht ganz unrecht haben. Das Administrative war – verglichen mit seinem brillanten politischen und diplomatischen Können – nie die stärkste Seite unseres Botschafters (vgl. als Beispiel die Behandlung der Affäre Quendoz16). Er hat vielleicht auch die Tendenz, zu viel in den eigenen Händen behalten zu wollen, was an sich verständlich ist, wenn man weiss, dass der Schlüssel zu seinen Erfolgen sehr oft das gute persönliche Einvernehmen mit Fidel Castro gewesen ist. Wahrscheinlich hat man seinen Sorgen und Bedürfnissen früher auch bei uns administrativ zu wenig Rechnung getragen, wenngleich hier in letzter Zeit grosse Verbesserungen eingetreten sind (Errichtung einer Telex-Verbindung mit Washington17, Zuteilung eines Konsuls18 samt vier tüchtigen Mitarbeitern19 für die Emigrationsaktion etc.). Dieser Aspekt sollte gründlich überprüft werden, da ein gutes Funktionieren des Apparates wesentlich ist.

IV. Entsendung einer Delegation nach Kuba20

Die Idee von Botschafter Schnyder21 in Washington, den Unterzeichneten sowohl zur Abklärung der Situation wie auch zur Beruhigung der Amerikaner nach Havanna zu entsenden, erscheint in der heutigen Situation zweckmässig22. Wir konsultieren natürlich vorher noch hinsichtlich des besten Zeitpunktes (wir denken an die Woche nach Pfingsten) Herrn Stadelhofer. Die Reise sollte gleichzeitig dazu dienen, unsere Nestlé-Verhandlungen möglichst zu reaktivieren. Dies war schon vorher geplant, was wir den Kubanern bereits im Frühjahr mitgeteilt hatten, und wurde lediglich durch die seitherigen Schwierigkeiten verzögert.

Da sich neben den grundsätzlichen noch zahlreiche administrative Fragen technischer Natur stellen, schlagen wir vor, dass der Unterzeichnete von Herrn Ludwig Meier, Sektionschef Ia in der Verwaltungsabteilung, begleitet wird. Ausserdem erscheint es angebracht, dass der Leiter des Dienstes für fremde Interessen, Sektionschef Roger Campiche, aus Gründen der Zuständigkeit an der Mission teilnimmt. Die Kosten der beiden Begleiter würden, wie dies normal ist, den USA belastet. Dagegen würden die Auslagen des Unterzeichneten, der auch bilaterale Geschäfte (Nestlé) behandeln und die Lage von schweizerischer Warte aus prüfen soll, richtigerweise auf Kosten des Bundes gehen.

Es ist unsere Absicht, die Reise nach Havanna via Washington zu unternehmen, um dort zusammen mit Botschafter Schnyder auf dem Staatsdepartement die letzte Entwicklung persönlich zu überprüfen. Der Einflug nach Kuba würde dann entweder via Mexiko oder Nassau (britisch Bahamas), wenn nicht allenfalls sogar über die Luftbrücke Miami-Varadero, erfolgen. Vielleicht wird es sich als zweckmässig erweisen, auch die Rückreise mit einer Vorsprache in Washington zu verbinden.

1
Notiz: E 2001(E) 1978/84 Bd. 434 (B.24). Verfasst und unterzeichnet von R. Probst.
2
Schreiben von F. Schnyder an W. Spühler vom 12. Mai 1966, Doss. wie Anm. 1.
3
Zur Übernahme der amerikanischen Interessenvertretung in Kuba vgl. DDS, Bd. 21, Dok. 116, dodis.ch/15005.
4
E. Stadelhofer.
5
Zur Ausreise von Gefangenen von Playa Giron vgl. DDS, Bd. 22, Dok. 141, dodis.ch/30238.
6
Zur Kuba-Krise vgl. DDS, Bd. 22, Dok. 106, dodis.ch/19007; DDS, Bd. 22, Dok. 107, dodis.ch/30223, und DDS, Bd. 22, Dok. 113, dodis.ch/30390.
7
Zum Fall F. C. Emmick vgl. dodis.ch/P39268.
8
Vgl. DDS, Bd. 22, Dok. 164, dodis.ch/18955, und DDS, Bd. 23, Dok. 2, dodis.ch/30978.
9
Zur Luftbrücke Varadero- Miami vgl. den Reisebericht von R.- E. Campiche vom 7. Juni 1966, dodis.ch/30987 und Doss. E 2003-01(A) 1978/47 Bd. 47 (o.841.513).
10
Zur Diskussion des amerikanisch-kubanischen Abkommens im Bundesrat vgl. das BR-Verhandlungsprot. der 78. Sitzung vom 9. November 1965, E 1003(-) 1994/26 Bd. 3, S. 5–6.
11
Zum Notenwechsel zwischen der amerikanischen und der kubanischen Regierung durch die schweizerische Botschaft in Havanna vom 6. November 1965 vgl. Doss. E 2003-01(A) 1978/47 Bd. 47 (o.841.513). Vgl. dazu auch das White House Announcement vom November 1965, E 2003-01(A) 1978/47 Bd. 1 (o.817).
12
Vgl. das Telegramm Nr. 191 von E. Stadelhofer an die schweizerische Botschaft in Washington vom 2. April 1966, Doss. wie Anm. 1.
13
Zur Frage der Ausreise amerikanischer Bürger aus Kuba vgl. Doss. wie Anm. 1.
14
Zu den Verhandlungen betr. Verstaatlichung von Nestlé Firmen vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 145, dodis.ch/30968, bes. Anm. 2.
15
Vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 145, dodis.ch/30968.
16
Vgl. dazu Doss. E 2003-01(A) 1978/47 Bd. 27 (o.832.1).
17
Vgl. dazu Doss. E 2003-01(A) 1978/47 Bd. 27 (o.831s/d).
18
E. A. Steiner.
19
Vgl. dazu Doss. E 2003-01(A) 1978/47 Bd. 27 (o.832).
20
Vgl. den Reisebericht von R. Probst vom 14. Juni 1966, dodis.ch/30986.
21
Vgl. Anm. 2.
22
Vgl. dazu die Stellungnahme von W. Spühler im BR-Verhandlungsprot. der 35. Sitzung vom 3. Juli 1966, E 1003(-) 1994/26 Bd. 4, S. 5: Inspektionsreise nach Kuba. Im Zusammenhang mit der Ausreise von Amerikanern und Kubanern aus Kuba, haben sich Schwierigkeiten und neue Störungen in den Beziehungen ergeben. Botschafter Stadelhofer sei etwas stark belastet. Das EPD habe es deshalb für nötig erachtet, eine Delegation nach Kuba zu schicken unter Leitung von Herrn Probst. In Kuba herrsche nun der Belagerungszustand. Herr Stadelhofer sei deshalb der Meinung gewesen, die Delegation solle nicht weiter reisen. Das EPD sei aber gegenteiliger Meinung gewesen und die Delegation ist nun, ohne Aufsehen zu erregen, in Kuba eingetroffen.