dodis.ch/31207
Der Direktor der Militärverwaltung des Militärdepartements, A. Kaech, an den Vorsteher des Politischen Departements, F. T. Wahlen1

Arbeitstagung mit dem schwedischen Aussenminister2 am 30. März 19653; Militärfragen

Vorbemerkung

Die Verstärkung unserer militärischen Zusammenarbeit mit Schweden bildet Gegenstand eines Beschlusses des Bundesrates vom 29. November 19634, dessen Ziffer 2 lautet:

«Das Militärdepartement, das Volkswirtschaftsdepartement und das Justiz- und Polizeidepartement werden ermächtigt, im Hinblick auf eine Verstärkung der Zusammenarbeit mit Schweden auf dem Gebiete der totalen Landesverteidigung mit den zuständigen schwedischen Stellen die erforderlichen Kontakte zu pflegen. Diese Ermächtigung bezieht sich auch auf die Atomwaffenfrage.»

Der Besuch des schwedischen Aussenministers bietet Gelegenheit, unseren Wunsch nach einer Verstärkung der Zusammenarbeit5 zum Ausdruck zu bringen sowie festzustellen, ob er von schwedischer Seite geteilt wird und ob die schwedische Regierung bereit ist, ihren in Frage kommenden Dienststellen ebenfalls eine entsprechende «Ermächtigung» zu erteilen. Über die Erörterung dieser Grundsatzfrage dürften die Gespräche anlässlich der Arbeitssitzung schon deshalb nicht hinausgehen können, weil Herr Torsten Nilsson nicht von Verteidigungssachverständigen begleitet ist. Immerhin scheint ein kurzer Hinweis auf die Sachgebiete, bezüglich derer eine Verstärkung der Zusammenarbeit besonders nützlich erscheinen würde, angebracht.

1. Atombewaffnung6

Stand dieser Frage, soweit Kontakte mit dem Ausland zur Diskussion stehen:

– Am 11. Juli 19587 hat der Bundesrat seine bekannte Erklärung veröffentlicht, deren (in diesem Zusammenhang) wichtigster Passus lautet:

«Der Bundesrat hat infolgedessen das EMD beauftragt, die mit der Einführung von Atomwaffen in unserer Armee zusammenhängenden Fragen weiter zu verfolgen und ihm zu gegebener Zeit Bericht und Antrag zuhanden der eidgenössischen Räte zu unterbreiten.»

– Mit Beschluss vom 23. Dezember 19588 beauftragte der Bundesrat das

EMD formell mit der Abklärung der Möglichkeiten zur Beschaffung von Atomwaffen. Ziffer 3 des Beschlusses lautet:

«Abklärungen, die bei ausländischen Stellen durchgeführt werden müssen,

haben unter Wahrung der neutralitätspolitischen Gesichtspunkte und in enger Zusammenarbeit mit dem Eidg. Politischen Departement zu erfolgen.»

– Am 5. April 19609 präzisierte der Bundesrat, dass die Abklärungen bei ausländischen Stellen gemäss obenstehender Ziffer 3 erst auf Grund eines späteren Bundesratsbeschlusses vorgenommen werden dürfen.

– Der Bundesrat bestätigte diese Weisung mit Beschluss vom 5. Juni 196410,

dessen Ziffer 2 wie folgt lautet:

«Das Militärdepartement wird ermächtigt, die im Zusammenhang mit der Frage der Beschaffung von Atomwaffen notwendigen Abklärungen bei ausländischen Stellen im Rahmen des Bundesratsbeschlusses vom 23. Dezember 1958 vorzunehmen. Vor Einleitung der hiefür erforderlichen Schritte hat es jedoch die Zustimmung des Bundesrates einzuholen.»

– Die Ermächtigung zur Zusammenarbeit mit Schweden

– auch in Bezug auf die Atomwaffenfrage – (siehe «Vorbemerkung») wurde nicht aufgehoben.

Von Seiten des Militärdepartements besteht ein eminentes Interesse daran, mit Schweden auf diesem Gebiet ins Gespräch zu kommen.

Da die Haltung des Bundesrates nicht ganz eindeutig ist (am 29. November 196311 ermächtigte er das EMD ausdrücklich zur Zusammenarbeit mit Schweden auf dem Gebiete der Atomwaffen, am 5. Juni 1964 verlangt er vor Einleitung von Schritten zur Abklärung der Beschaffung von Atom waffen bei ausländischen Stellen das Einholen seiner Zustimmung), dürfte es angezeigt sein, ihn über das beabsichtigte Gespräch zu orientie ren12. Das Militärdepartement kann wohl davon ausgehen, dass die Tagesordnung der Arbeitssitzung ohnehin dem Bundesrat zur Kenntnis ge bracht wird, sodass von einem besonderen Antrag abgesehen werden kann.

2. Materielle Rüstung

Es bestehen eine Anzahl gleicher oder ähnlicher Probleme in den beiden Ländern; z. B. Modernisierung der Artillerie, Boden-Boden- und Boden-Luft-Lenkwaffen, Fliegerabwehr, um nur wenige zu nennen. Nahziel ist ein Erfahrungsaustausch; Fernziel sind allenfalls gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsarbeiten.

3. Bauten und Befestigungen

Die Schaffung eines Forschungsinstitutes für militärische Bautechnik (7. März 1964) bei der Abteilung für Genie und Festungswesen hat die Wünschbarkeit eines Erfahrungsaustausches besonders deutlich werden lassen. Die Tätigkeit dieses Institutes kommt nicht nur der Armee, sondern auch dem Schutz der Zivilbevölkerung zugute. Es besteht die Ansicht, dass die Schweiz und Schweden aus einer Koordination ihrer Anstrengungen Nutzen ziehen könnten.

4. Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Erprobung neuen

Kriegsmaterials und neuer Waffensysteme sowie deren Kontrolle.

Unsere geographischen Verhältnisse setzen der Erprobung und Kontrolle gewisser Waffen (z. B. Raketen) enge Grenzen. Schweden ist in dieser Beziehung in einer wesentlich besseren Lage. Sofern Waffen und Geräte nicht im eigenen Lande ausprobiert werden können, bietet die Zusammenarbeit mit einem neutralen Staat offenkundige Vorteile.

Dessen Interesse könnte in einer Zugänglichmachung der Erprobungsresultate, allenfalls in Beiträgen für die Benützung des Versuchsgeländes und dessen Einrichtungen liegen.

5. Totale Landesverteidigung13

Schweden hat – begünstigt durch den zentralistischen Staatsaufbau – die Organisation der Totalen Landesverteidigung folgerichtiger und straffer durchgeführt als wir. Ein Erfahrungsaustausch ist im Gang. Informationsmissionen EMD, EVD, JPD wurden 1963 durchgeführt und sind für 196514 geplant.

Nachdem der Bundesrat Studienaufträge in Bezug auf die Totale Landesverteidigung erteilt hat, ist der Fortgang der diesbezüglichen Kontakte von besonderem Nutzen.

Nota bene: Die vorstehende Aufzählung ist eher ein Katalog schweizerischer Wünsche als eine Nennung von Gebieten, auf denen ein einigermassen fairer Beitrag von beiden Seiten möglich wäre.

Es hat sich bis jetzt gezeigt, dass es äusserst schwer hält, auf dem Gebiete der Forschung und materiellen Entwicklung den Schweden konkrete Vorschläge für einen schweizerischen Beitrag zu machen.

Schweden setzt wesentlich höhere Mittel für die Planung und die Forschung zugunsten der Landesverteidigung ein als wir. Allein das «Institut für Wehrforschung» beschäftigt über 1200 Personen, davon gegen ¼ Akademiker. Die schwedischen Stäbe sowohl für Verwaltung wie für Truppenführung sind wesentlich umfangreicher als die unsern, die Möglichkeiten zur Erprobung neuen Kriegsmaterials und neuer Waffensysteme – u. a. des stehenden Heeres wegen – besser.

Diese Verhältnisse, welche ja den Schweden weitgehend bekannt sein müssen, sollten von Anfang an in aller Offenheit dargelegt werden.

Die Schweden wären aufzufordern, ihrerseits Wünsche auf positive schweizerische Beiträge bekanntzugeben. Das dürfte auch der Auffassung unseres Botschafters in Stockholm entsprechen, der am 24. November 196415 in einem Brief an den Generalsekretär des Politischen Departements u. a. schrieb: … «Vielleicht wäre jedoch bei Gelegenheit doch wieder eine besondere Geste, im Sinne einer Erkundigung an hoher Stelle nach allfälligen schwedischen Wünschen angebracht?»

Der Besuch von Herrn Torsten Nilsson wäre eine gute Gelegenheit hiefür.

1
Notiz: E 2001(E) 1978/84 Bd. 324 (C.41.775). Kopie an P. Chaudet.
2
T. Nilsson.
3
Vgl dazu die Notiz von P. R. Jolles vom 25. März 1965, dodis.ch/31222; das Protokoll der Arbeitssitzung vom April 1965, dodis.ch/31273; die Notiz von P. Micheli an F. T. Wahlen vom 21. April 1965, dodis.ch/31529; die Notiz von A. Janner an F. T. Wahlen vom 11. September 1965, dodis.ch/31099 und das Exposé von W. Spühler vom 23. Juli 1966, dodis.ch/31844, S. 38.
4
BR-Prot. Nr. 2227 vom 29. November 1963, dodis.ch/30312.
5
Zur militärischen Zusammenarbeit mit Schweden vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 160, dodis.ch/31211; das Schreiben von E. von Graffenried an P. Micheli vom 18. Februar 1964, dodis.ch/31214; die Notiz von P. Micheli vom 21. April 1965, dodis.ch/31529; das Schreiben von R. Bindschedler an F. Gygax vom 25. Oktober 1965, dodis.ch/31203; das BR-Verhandlungsprot. der 30. Sitzung vom 10. Mai 1966, dodis.ch/32028, S. 1 f. und das BR-Prot Nr. 1134 vom 13. Juni 1966, dodis.ch/31208 und das BR-Prot Nr. 933 vom 10. Mai 1966, E 1004.1(-) 1000/9 Bd. 709.1. Zum Meinungsaustausch des Bundesrats dazu vgl. das BR-Verhandlungsprot. der 24. Sitzung vom 30. März 1965, E 1003(-) 1994/26 Bd. 3, S. 5 f.
6
Zur Frage der Atombewaffnung der Schweizer Armee vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 15, dodis.ch/31971, bes. Anm. 3.
7
Mitteilung des Bundesrats Erklärung zur Frage der Beschaffung von Atomwaffen für unsere Armee vom 11. Juli 1958, dodis.ch/16065.
8
BR-Prot. Nr. 2252 vom 23. Dezember 1958, dodis.ch/31898.
9
BR-Prot. Nr. 585 vom 5. April 1960, E 1004.1(-) 1000/9 Bd. 636.1. Vgl. ferner das BR-Verhandlungsprot. vom 5. April 1960, dodis.ch/16077.
10
Geheimes BR-Prot. vom 5. Juni 1964, E 1005(-) 1976/205 Bd. 2.
11
Vgl. Anm. 4.
12
Vgl. den gemeinsamen Antrag des Politischen Departements und des Militärdeparte ments an den Bundesrat vom 20. April 1966, E 2807(-) 1974/12 Bd. 23 (043.2-02).
13
Vgl. die Studie von Ch. Folletête vom Mai 1964, dodis.ch/32055.
14
Vgl. z. B. den Bericht über die Mission in Schweden vom 13. bis 16. Juni 1965 der Abteilung für Territorialdienst und Luftschutztruppen des Militärdepartements, E 5560(D) 1996/188 Bd. 143 (241.3.31).
15
Schreiben von E. von Graffenried an P. Micheli vom 24. November 1964, E 2001(E) 1979/28 Bd. 12 (B.51.13.09)