dodis.ch/31416
Der schweizerische Botschafter in London, B. von Fischer, an den Generalsekretär des Politischen Departements, P. Micheli1

Gespräche mit Lord Longford2, Mr. Erroll und Mr. Marjoribanks

Ich hatte dieser Tage Gespräche mit Lord Longford (L.) Lord of the Privy Seal im Labour-Kabinett, Mr. Erroll (E.), dem ehemaligen Präsidenten des Board of Trade und Minister of Power (Tory), und Mr. Marjoribanks (M.), Assistant Under-Secretary of State im Foreign Office, sei es bei mir, sei es bei Freunden, über die Auswirkungen der 15%igen Importabgabe, und möchte Ihnen hiernach die Substanz davon wiedergeben.

L[ongford] meinte, innerhalb der EFTA3 und auch sonst in der Welt sei die Reaktion der Schweiz gegen die 15%ige Importabgabe die heftigste4 gewesen; sie sei noch heftiger ausgefallen als diejenige der Iren, deren Abkommen mit England ja auch tangiert worden sei. Die Schweiz müsse aber verstehen, dass das V. K. nicht anders habe handeln können. In einer Notlage könne man sich nicht vorher mit seinen Partnern konsultieren. Dass Washington früher als die EFTA-Partner von der 15%igen Importabgabe gewusst habe, sei ein Zufall. Die Welt müsse Verständnis für die Notlage Englands aufbringen.

Was die Krise des Pfund Sterlings5 betrifft, so sei sie wohl dadurch ausgelöst worden, dass die britischen Delegierten in Genf die Wirtschafslage Englands zu schwarz gemalt hätten. Die schweizerischen Bankiers wie andere in Amerika, Deutschland, Frankreich und anderswo hätten aber Vertrauen in das £ haben und sich in die Lage versetzen sollen, in welcher sich England befindet. Es gehe nicht an, dass sie durch ihre Spekulationen einem Land das Gesetz des Handelns aufzwingen. Durch die £-Krise müsse nun das vorzeitige Inkrafttreten der Erhöhung der Altersrenten rückgängig gemacht werden. Diese fremde Beeinflussung der Politik sei für England unerträglich. Wenn heute Neuwahlen – vielleicht sogar schon vor Weihnachten – ausgeschrieben würden, so würden sie unter dem Motto geführt werden: «England darf sich sein Schicksal nicht von fremden Bankiers aufzwingen lassen», und sie würden wohl eine schöne Mehrheit für Labour bringen.

Die Schweiz und England hätten immer freundschaftliche Beziehungen gepflogen; England brauche diese Freundschaft jetzt besonders.

Soweit L[ongford]. Wie sie sehen, geht er davon aus, dass England auf das Verständnis seiner Vertragspartner rechnen darf, auch wenn es die Bestimmungen der geltenden Verträge6 missachtet, und er kann es kaum begreifen, dass man anderer Meinung sein kann. Auch kann er nicht verstehen, dass das Ausland sich eigene Gedanken über die englische Wirtschaft und die Möglichkeiten macht, das Defizit der Handelsbilanz wett zu machen.

Ich fragte E[rroll] wie er sich diese Einstellung Labours erkläre. Er gab verschiedene Gründe an: die fast völlige Unerfahrenheit Labours in internationalen Dingen und im diplomatischen Prozedere, Umstand, der damit zusammenhänge, dass Labour sehr lange in der Opposition gestanden sei; die ungenügende Erfahrung im praktischen Management wirtschaftlicher Probleme, die wohl daher komme, dass die meisten Labour Minister Theoretiker und doktrinär seien; Harold Wilson und manche seiner Mitarbeiter hätten sich vielleicht persönlich zu viel zugetraut; endlich sei es wohl so, dass die Labour-Regierung dem alten Vorurteil huldige, Foreigners verstünden nichts von englischen Problemen und ihr Urteil sei deshalb nicht massgebend.

Ein weiterer Hinweis von der Civil Service-Seite her gab mir M[arjoribanks]. Er sagte folgendes: einer der zwingenden Gründe für die sofortige Einführung der 15%igen Importabgabe sei das enorme Engagement Englands im internationalen Peace Keeping. Die vielen Militärbasen von Gibraltar bis Hongkong sowie die militärischen Committments in Malaya, Aden und in Afrika kosten ungeheure Summen und liegen im Interesse der ganzen freien Welt. Dies müsse bei der Beurteilung der strittigen Massnahme einbezogen werden.

Ich möchte persönlich hinzufügen, dass Mr. Wilson heute einen Zweifrontenkrieg führt, d. h. gegen weite Teile des Auslands, das durch seine ersten Regierungshandlungen auf internationalem Boden brüskiert worden ist, und gegen den linken Flügel seiner eigenen Partei, die ihm vorwirft, in verschiedenen Punkten (Erhöhung der Bank Rate, Verschiebung des Inkrafttreten der Erhöhung der Altersrenten usw.) das Parteiprogramm verraten zu haben. Dieser linke Flügel verlangt nun eine erhöhte Kontrolle über die Regierungstätigkeit, die ihm jedoch Wilson nicht zugestehen will.

Andererseits ist hervorzuheben, dass die vermeintliche Rolle der «Gnoms of Zurich»7 überall, wo ich hinkomme, das Gesprächsthema bildet und die Schweiz im gegenwärtigen Moment unter Laien und in manchen Kreisen des Publikums nicht gut angeschrieben ist; gewisse Blätter sowie auch das Fernsehen haben sich Bemerkungen über uns erlaubt, die sonst nicht möglich wären.

1
Schreiben: E 2300(-) 1000/716 Bd. 253 (096). Visiert von F. T. Wahlen. Kopie an die Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements.
2
F. A. Pakenham.
3
Zur EFTA vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 172, dodis.ch/31640, bes. Anm. 10.
4
Vgl. dazu DDS, Bd. 23, Dok. 65, dodis.ch/31417. Zur schwedischen Haltung vgl. die Notiz von P. Micheli vom 17. November 1964, dodis.ch/31633.
5
Zur Währungshilfe der Schweiz an Grossbritannien vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 128, dodis.ch/31415.
6
Übereinkommen zur Errichtung der Europäischen Freihandels-Assoziation (EFTA) vom 4. Januar 1960, AS, 1960, S. 590–792.
7
Vgl. dazu das Telegramm Nr. 208 von B. von Fischer an F. T. Wahlen und H. Schaffner vom 16. Dezember 1965, dodis.ch/31440.