dodis.ch/31701
Der Delegierte für Fragen der Atomenergie, U. Hochstrasser, an den Vorort des schweizerischen Handels- und Industrievereins1

Zur Zukunft der schweizerischen Reaktorentwicklung2

[…]3

IV. Schlussbetrachtungen

Angesichts der grundsätzlichen Tragweite der Wahl zwischen der privatwirtschaftlichen Mitfinanzierung in Verbindung mit privatwirtschaftlicher Organisation der Reaktorentwicklung oder der wesentlich staatlichen Finanzierung verbunden mit einer verantwortlichen staatlichen Organisation dieses Gebietes und in Anbetracht der heutigen Krisensituation in der schweizerischen Reaktortechnik wird es wichtig sein, dass die Wirtschaft möglichst bald und eindeutig Stellung bezieht. Die Erfahrungen mit der Eurochemic AG4, dem Dragon- und Halden-Unternehmen, sowie mit der NGA, die immer wieder gezeigt haben, dass die tatsächlichen Spenden der Industrie enttäuschend unter den in Aussicht gestellten freiwilligen Beiträgen blieben, erfordern an der Schwelle von neuen Aufwendungen, die in die Hunderte von Millionen Franken gehen, langfristig bindende Zusicherungen der beteiligten Kreise. Misslingt es hier, unseren Verhältnissen angepasste Lösungen zu finden, so wird der schweizerischen Wirtschaft nicht nur der ihrem Potential und ihren Interessen entsprechende Zugang zur Reaktortechnik verschlossen bleiben, sondern es wird ihr auch in Zukunft eine zunehmende Zahl von Gebieten der modernen Technik versperrt werden. Der heutige enorme wissenschaftliche und technische Fortschritt vergrössert immer mehr die Belastung durch eine angemessene Entwicklungsanstrengung, welche für die Aufrechterhaltung eines modernen, konkurrenzfähigen Angebotes von Erzeugnissen notwendig ist. Die Zahl der Entwicklungen, welche nicht mehr im Rahmen der heutigen Struktur der schweizerischen Wirtschaft in Angriff genommen werden können, wird aller Voraussicht nach in Zukunft noch wesentlich ansteigen. Wenn für solche Fälle keine schweizerische Lösung besteht, bleibt nur der Anschluss an meistens viel grössere ausländische Unternehmungen, hinter denen zudem eine oft sehr starke staatliche Unterstützung und Lenkung stehen. Die so herbeigeführte individuelle Integration mit andern Wirtschaftsräumen, bevor ein vernünftiger Zusammenschluss im schweizerischen Rahmen erreicht ist, kann für unsere Wirtschaft bedenkliche Folgen zeitigen. Auch aus diesen Überlegungen heraus sollte im Falle der Reaktorentwicklung ein zeitgemässer, unseren Verhältnissen angepasster solidarischer Zusammenschluss aller Kreise durchgeführt werden. Wenn dies ohne eine überwiegende Mithilfe des Staates nicht realisiert werden kann, so müssen auch bei uns neue, den veränderten Gegebenheiten angepasste Formen der Partnerschaft zwischen Staat und Industrie entwickelt werden.

1
Bericht: E 2807(-) 1974/12 Bd. 73 (16-03).
2
Vgl. dazu auch das BR-Prot. Nr. 743 vom 14. April 1964, dodis.ch/31595; die Notiz Die Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern auf dem Gebiete der Reaktorentwicklung von U. Hochstrasser vom 8. Juli 1965, dodis.ch/31962; die Notiz von U. Hochstrasser an W. Spühler vom 17. Dezember 1965, dodis.ch/31966; das Protokoll von U. Hochstrasser vom 27. Dezember 1965, dodis.ch/31961; das BR-Prot. Nr. 40 vom 4. Januar 1966, dodis.ch/31965 und das Schreiben von W. Spühler an R. Gnägi vom 19. Dezember 1966, dodis.ch/31963.
3
Für das vollständige Dokument vgl. dodis.ch/31701.
4
Vgl. DDS, Bd. 21, Dok. 94, dodis.ch/16053; DDS, Bd. 22, Dok. 128, dodis.ch/30474, und die Notiz La collaboration scientifique sur le plan intergouvernemental von S. F. Campiche vom 31. März 1964, dodis.ch/30236.