dodis.ch/32847
Vortrag des Vorstehers des Politischen Departements, W. Spühler, vor der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats1

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1. Vorlage Nr. 10278 s – Technische Zusammenarbeit

mit Entwicklungsländern. Weiterführung

Herr Spühler: Die Vorlage über technische Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern3 ist die vierte4 ihrer Art im Laufe dieses Jahrzehnts, des sogenannten ersten Entwicklungsjahrzehnts. Heute stehen wir an der Schwelle des zweiten Entwicklungsjahrzehnts. Entwicklungsländer und industrialisierte Länder setzen sich in verschiedenen internationalen Gremien zusammen, um für dieses zweite Entwicklungsjahrzehnt gewisse Richtlinien für ein gemeinsames Vorgehen5, eine Entwicklungsstrategie, aufzustellen. Einerseits gilt es dabei, die Erfahrungen der bisherigen Bemühungen um die Hebung der Entwicklungsländer zu nützen, anderseits die Mittel und Wege zu finden, um diese Anstrengungen in Zukunft quantitativ und qualitativ zu verbessern. Es dürfte unbestritten sein, dass die gegenwärtigen Anstrengungen, sowohl von Seiten der Entwicklungsländer wie von Seiten der industrialisierten Länder, nicht genügen, um das Ziel zu erreichen, die viel zu grossen Unterschiede im wirtschaftlichen und sozialen Niveau der verschiedenen Glieder der Völkergemeinschaft zu verringern. Wir wissen heute besser als vor zehn Jahren, wie wir vorzugehen haben, um mit den verfügbaren Mitteln eine optimale Wirkung zu erzielen. Es gilt aber auch, diese Mittel der Aufgabe entsprechend zu vermehren. Wie alle andern Länder muss sich auch die Schweiz die Frage vorlegen, ob sie jenen Beitrag an die allgemeine Aufgabe leistet, den man von ihr erwarten darf, den man erwarten darf von einem Land, das über eines der höchsten Einkommen pro Kopf der Bevölkerung verfügt, einem Land, das wirtschaftlich eng mit dem Ausland verknüpft ist, gerade auch mit den Entwicklungsländern, einem Land schliesslich, das die «Solidarität» als aussenpolitische Devise aufgestellt hat, und dies nicht im Sinne eines schönen Aushängeschildes, sondern aus innerer Überzeugung.

Wir haben Ihnen in der Botschaft vom 21. Mai6 (S. 26) einen Überblick über das gegeben, was die Schweiz zu Gunsten der Entwicklungsländer unternimmt7. Die Zahlen für 1968 waren im Zeitpunkt der Herausgabe der Botschaft noch provisorischer Natur. Wir haben heute die definitiven Angaben. Für die staatlichen Leistungen hat sich die Zahl von 81,7 Millionen nicht verändert, desgleichen die Zahl von 20 Millionen für die privaten unentgeltlichen Leistungen, d. h. die Leistungen der Hilfswerke. Für die Leistungen der Privatwirtschaft ergeben sich dagegen auf Grund neuster Untersuchungen folgende Zahlen: Direktinvestitionen 368 Millionen, Anleihen auf dem Kapitalmarkt 161 Millionen, total 529 Millionen, und für die Exportkredite 482 Millionen8. Total für private Leistungen somit über eine Milliarde, genau gesagt 1’031 Millionen. Staatliche und private Leistungen zusammen machen 1’113 Millionen aus oder 1,52% des Bruttosozialprodukts. Mit dieser Zahl stehen wir im internationalen Vergleich sehr gut da. Man muss aber sofort hinzufügen, dass der Anteil der privaten Leistungen dabei sehr hoch ist, nämlich fast zwölf mal höher als der Anteil der staatlichen Leistungen, während sich in den übrigen entwickelten Ländern staatliche und private Leistungen ungefähr die Waage halten. Die staatlichen Leistungen allein genommen, steht die Schweiz dagegen von allen entwickelten Ländern, immer gemessen am Bruttosozialprodukt, an letzter Stelle9. Nun wäre es sicher falsch, die Leistungen der Privatwirtschaft etwa deshalb als weniger wertvoll zu bezeichnen, weil sie, von den Leistungen der Hilfswerke abgesehen, aus geschäftlichem Interesse, in Erwartung eines entsprechenden wirtschaftlichen Gewinns, einer entsprechenden Gegenleistung, erfolgen. Auf der andern Seite müssen wir feststellen, dass zahlreiche, für die Entwicklung wichtige Aufgaben nicht von der Privatwirtschaft übernommen werden können und dass ihre Leistungen in vielen Fällen zu einer Verschuldung der Entwicklungsländer geführt haben, einer Verschuldung, die nicht mehr weiter gesteigert werden darf, ohne den Entwicklungsprozess in schwerwiegender Weise zu hemmen. Die privatwirtschaftlichen Leistungen werden nicht geschenkweise oder, bei Krediten zu weichen Bedingungen, gewährt. Das ist der staatlichen Hilfe und derjenigen der privaten Hilfswerke vorbehalten. Gerade in den Ländern, die in ihrer Entwicklung noch am weitesten zurückliegen und damit die Hilfe am nötigsten haben, ist staatliche Hilfe unumgänglich. Auch die internationalen Organisationen sind, wenn wir von den Anleihen der Entwicklungsbanken auf dem Kapitalmarkt absehen, auf staatliche Beiträge angewiesen. Der staatliche Sektor der Hilfe von aussen ist deshalb, gesamthaft gesehen, für die Entwicklungsländer ausserordentlich wichtig.

Auch wenn die Schweiz immer wieder darauf hinweist, wie wichtig die Leistungen der schweizerischen Privatwirtschaft für die Entwicklungshilfe sind, kann sie sich den Aufgaben nicht entziehen, die sich speziell der staatlichen Entwicklungshilfe stellen. Der Bundesrat ist deshalb der Auffassung, dass die staatliche Entwicklungshilfe der Schweiz in den kommenden Jahren gesteigert werden muss. Das schliesst keineswegs aus, dass der Bund auch die privaten Leistungen nach Möglichkeit fördert, etwa durch die Exportrisikogarantie10, aber auch durch Einführung einer Investitionsrisikogarantie (worüber die Eidgenössischen Räte demnächst eine Botschaft11 zugestellt erhalten werden).

Die staatliche Hilfe ihrerseits ist sowohl auf dem Gebiete der technischen Hilfe wie auf jenem der Finanzhilfe zu steigern. Die Vorlage, die Sie zu beraten haben, ist eine in diese Richtung zielende Massnahme. Sie wird die Schweiz instandsetzen, ihrem Potential entsprechend einen Beitrag an die dringendsten Bedürfnisse der Entwicklungsländer zu leisten; solch ein Beitrag entspricht den Grundsätzen unserer Aussenpolitik.

Ein Teil der Mittel für die technische Zusammenarbeit soll multilateral, ein anderer bilateral verwendet werden. Die Kontroverse, welche Methode besser sei, scheint mir wenig fruchtbar. Der Bundesrat ist überzeugt, dass beide notwendig sind. Die internationalen Organisationen spielen heute in der Entwicklungshilfe eine bedeutende und nicht mehr wegzudenkende Rolle. Ich darf Sie hierzu auf den Bericht des Bundesrates über die Beziehungen zur UNO12 verweisen. Es entspricht den dort zum Ausdruck gebrachten Überlegungen, wenn wir die internationalen Organisationen in ihren Bemühungen um die Hebung der Entwicklungsländer kräftig unterstützen. Aber auch der bilateralen Hilfe kommen wichtige Aufgaben zu. Sie ergänzt in nützlicher Weise die Aktionen der internationalen Organisationen und ist ein wichtiges Element in der Förderung der Beziehungen zwischen der Schweiz und den einzelnen Entwicklungsländern. Die Erhöhung der Mittel für die technische Zusammenarbeit soll erlauben, sowohl die multilaterale wie die bilaterale Hilfe zu steigern.

Da Sie heute auch noch eine Vorlage über die humanitäre Hilfe13 zu beraten haben, ist es angezeigt, auch ein Wort über das Verhältnis von Nothilfe und zu Entwicklungshilfe zu sagen. Im einen Fall handelt es sich um Hilfe in Situationen, die durch ausserordentliche Ereignisse, durch Katastrophen, entstanden sind, seien es nun Naturkatastrophen oder menschenbedingte Katastrophen wie Krieg oder Flüchtlingselend. Im andern Fall handelt es sich um Notlagen, die strukturbedingt sind und die deshalb nur durch langfristige Massnahmen behoben werden können, Massnahmen, die auf eine Verbesserung der Voraussetzungen zielen, unter denen sich die Entwicklungsländer selber zu helfen vermögen. Im einen Fall kommt der spontane Helferwille, Not unmittelbar zu lindern, zum Ausdruck. Im andern Fall handelt es sich um Aufbauarbeit, die zwar auch teilweise humanitären Motiven entspringt, aber weit über blosse Wohltätigkeit hinausgeht. Politische und wirtschaftliche Überlegungen und die Idee, wie die Beziehungen unter den Völkern in Zukunft zu gestalten seien, sind für die Entwicklungshilfe entscheidend. Aus diesem Grund hält es der Bundesrat für richtig, Ihnen wie schon bisher zwei getrennte Rahmenkredite zu beantragen14.

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1
Protokoll: E2004B#1972/120#3* (a.123.2.(2)).
2
Für das vollständige Dokument vgl. dodis.ch/32847. Vgl. ferner das Votum von W. Spühler im Ständerat vom 7. Oktober 1969, dodis.ch/32849.
3
Vgl. die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Weiterführung der technischen Zusammenarbeit der Schweiz mit Entwicklungsländern vom 21. Mai 1969, BBl, 1969, I, S. 1325–1392. Zur Ausarbeitung der Botschaft vgl. die Notiz von R. Pestalozzi an W. Spühler vom 20. Mai 1969, dodis.ch/32848.
4
Zum 1. Rahmenkredit vgl. DDS, Bd. 21, Dok. 119, dodis.ch/15567. Zum 2. Rahmenkredit vgl. die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Weiterführung der technischen Zusammenarbeit der Schweiz mit den Entwicklungsländern vom 29. Mai 1964, BBl, 1964, I, S. 1069–1094. Zum 3. Rahmenkredit für Entwicklungszusammenarbeit vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 173, dodis.ch/31734; das Schreiben von S. Marcuard an A.-M. Im Hof-Piguet vom 16. Januar 1967, dodis.ch/32854 sowie die Notiz von S. Marcuard an W. Spühler vom 13. März 1967, dodis.ch/32858.
5
Zum Austausch zwischen der Schweiz und Österreich im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit vgl. die Notiz von S. Marcuard an W. Spühler vom 30. Januar 1967, dodis.ch/33368; das Protokoll der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats vom 9. Oktober 1968, dodis.ch/32151; die Notiz von S. Marcuard vom 15 Oktober 1969, dodis.ch/33371 sowie das Protokoll von R. Högger von 8. Januar 1969, dodis.ch/33372.
6
Vgl. Anm. 3.
7
Für eine Übersicht vgl. auch DDS, Bd. 24, Dok. 101, dodis.ch/32839.
8
Für eine Übersicht über den Kapitalexport nach Entwicklungsländern 1945–1967 vgl. die Tabelle vom 21. Mai 1968, dodis.ch/34111.
9
Vgl. dazu auch DDS, Bd. 24, Dok. 125, dodis.ch/32843 und das Referat von P. R. Jolles vor der Par lamentarischen Gruppe für Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern vom 2. Oktober 1968, dodis.ch/32918.
10
Zur Exportrisikogarantie vgl. DDS, Bd. 24, Dok. 113, dodis.ch/33260 und Dok. 122, dodis.ch/33047. Zu den Entwicklungsbanken vgl. DDS, Bd. 24, Dok. 72, dodis.ch/32796.
11
Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend ein Bundesgesetz über die Investitionsrisikogarantie vom 10. September 1969, BBl, 1969, II, S. 953–984. Zu den Investitionsschutzverträgen mit Lateinamerika vgl. DDS, Bd. 24, Dok. 94, dodis.ch/32865.
12
Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 32, dodis.ch/32940.
13
Vgl. dazu Doss. wie in Anm. 1. Zur humanitären Hilfe vgl. ferner das Schreiben von W. Spühler an K. Furgler vom 30. Oktober 1968, dodis.ch/32525; das BR.-Prot. Nr. 617 vom 16. April 1969; dodis.ch/32518; die Notiz von H. Langenbacher vom 5. Mai 1969, dodis.ch/32519; das Referat von W. Alder vom Juni 1969, dodis.ch/32521 und das Protokoll der Sitzung vom 8. September 1969 der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats vom 22. September 1969, dodis.ch/32520.
14
Das Parlament verabschiedete die Vorlage zur Weiterführung der Entwicklungszusammenarbeit einstimmig am 7. Oktober 1969 respektive am 4. Dezember 1969. Vgl. Sten. Bull. NR, 1969, S. 919–930 und Doss. E1401#1960/59#39*. Für eine Würdigung dieses Entscheids und zu dessen Bedeutung für die schweizerische Entwicklungshilfe vgl. die Notiz von S. Marcuard vom 9. Dezember 1969, dodis.ch/32851.
15
Nach dem Vortrag von W. Spühler äusserte sich auch S. Marcuard zu der Vorlage bevor diese von den Nationalräten diskutiert wurde. Für das vollständige Dokument vgl. dodis.ch/32847.