dodis.ch/33144
Der schweizerische Botschafter in Moskau, A. R. Lindt, an den Vorsteher des Politischen Departements, W. Spühler1

Die Schweiz und das Anti-Proliferationsabkommen

1. Die bisherige schweizerische Haltung zum Entwurf des Anti-Proliferationsvertrages2 – klare Formulierung unserer Wünsche und eine gewisse Zurückhaltung betreffs unserer Bereitschaft, den Vertrag zu unterzeichnen – trug dazu bei, dass der Entwurf verbessert wurde.

2. Heute aber laufen wir eine gewisse Gefahr, einer Isolierung zu verfallen. Österreich hat sich von anfang an zu Gunsten der Unterzeichnung des Vertrages ausgesprochen3, argumentierend, ein unvollkommener Vertrag sei besser als kein Vertrag. Ihm lag daran, in keiner Weise in einen Gegensatz zu den massgebenden Unterzeichnern seines Staatsvertrages zu treten. Sowohl Podgorny wie Kossygin haben denn auch Bundespräsident Jonas im Kreml ihre Anerkennung für diese österreichische Haltung ausgesprochen.

Schweden hat bis vor kurzem eine ähnliche Stellung wie wir eingenommen4. Nach dem Tass-Ticker hat nun aber gestern Frau Myrdal in New York erklärt, dass Schweden den Vertrag, wenn auch widerstrebend, annehme.

Damit wäre die Schweiz unter den drei echten Neutralen der einzige, der weiterhin eine reservierte Haltung einnehmen würde5.

3. In unseren Verlautbarungen haben wir unsere endgültige Stellungnahme ausdrücklich vorbehalten. In Artikel 4 der beiden Aide-mémoires6 steht: «La Suisse, quant à elle, ne pourrait participer au traité que si la plupart des Puissances susceptibles de disposer d’armes nucléaires y adhérent.» Wie interpretieren wir «la plupart des Puissances»? Konkret handelt es sich um die Frage, ob Deutschland beitreten werde oder nicht7. Unabhängig davon, zu welchem Entschluss sich Bonn schliesslich durchringt, sollten wir – dies scheint mir wichtig – nicht den Eindruck erwecken, dass wir für die Zögerung (oder eventuell für einen negativen Entscheid) der BRD eine Art Rückendeckung bilden. Dass unsere Motive für den Vorbehalt in Art. 4 damit nichts zu tun haben, ist klar. Dass aber Bonn sich auf die schweizerische Haltung berufen könnte, ist möglich; dass Moskau darin eine schweizerische Schützenhilfe für die Bundesrepublik Deutschland erblicken würde, deren Entwicklung sie gegenwärtig stark beunruhigt, scheint mir wahrscheinlich.

Wie mir der rumänische Botschafter8 sagt, hat Bukarest betreffs der Unterzeichnung des Vertrages noch keinen Entscheid gefällt, möchte aber wenn möglich vermeiden sich in gleichen Lager wie Bonn zu befinden.

4. Vielleicht wäre es richtig, kurz nach der Abstimmung in der UNO9 eine Erklärung abzugeben, in der wir trotz unserer Bedenken positiv Stellung beziehen.

1
Schreiben: E2807#1974/12#436* (08-01).
2
Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 63, dodis.ch/33194; das BR-Prot. Nr. 873 vom 26. Mai 1967, dodis.ch/33215; das BR-Verhandlungsprot. der 35. Sitzung vom 26. Mai 1967, dodis.ch/33942, S. 2–5; das BR-Prot. Nr. 1865 vom 10. November 1967, dodis.ch/33218; das Communiqué des Politischen Departements vom 14. November 1967, dodis.ch/33225; die Notiz von A. Natural vom 29. März 1968, dodis.ch/33231 und das BR-Beschlussprot. II vom 28. August 1968, dodis.ch/33290, S. 1.
3
Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 155, dodis.ch/33145; das Protokoll von F. Blankart vom 15. Mai 1967, dodis.ch/33382, S. 16–18 und das Protokoll von F. Blankart und H. Zimmermann vom 27. Oktober 1969, dodis.ch/33813, S. 19 f.
4
Vgl. dazu das Schreiben von R. Keller an W. Spühler vom 30. März 1967 und die Notiz von R. Bindschedler vom 1. März 1968, Doss. wie Anm. 1.
5
Zur Stellung der Schweiz an der Konferenz der Nichtnuklearstaaten vom 29. August bis zum 28. September 1968 in Genf vgl. das BR-Prot. Nr. 1307 vom 28. August 1968, dodis.ch/33234; den Bericht von R. Bindschedler vom 15. November 1968, dodis.ch/33308 und die Erklärung von R. Bindschedler vom 10. September 1968, dodis.ch/33306.
6
Memorandum des Politischen Departements an die sowjetische und amerikanische Botschaft in Bern vom November 1967, dodis.ch/33224. Vgl. ferner das BR-Prot. Nr. 701 vom 8. Mai 1968, dodis.ch/33233.
7
Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 88, dodis.ch/32905, bes. Anm. 9.
8
T. Marinescu.
9
Vgl. dazu die Resolution 2373(XXII) der Generalversammlung der UNO vom 12. Juni 1968, E2806#1971/57#62* (14-4).