dodis.ch/33145
Notiz für den Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartements, H. Schaffner1

Atomsperrvertrag

Im Hinblick auf die Sitzung des Bundesrates vom 9. Juli2 möchte ich Ihnen zum Traktandum «Atomsperrvertrag» meine Auffassung wie folgt bekanntgeben:

1. Es scheint mir nicht möglich, dass die Schweiz prinzipiell die Unterzeichnung des Abkommens verweigert3. Es liesse sich mit andern Worten kaum geltend machen, dass dies der reinste Ausdruck unserer Neutralitätspolitik wäre, obwohl – und dies ist dem Gegner der Unterzeichnung, Prof. Bindschedler, zuzugeben – der Vertrag diskriminatorisch ist, will er doch den Zustand der atomischen «haves» und «have nots» perpetuieren. Damit in Konkurrenz aber steht die Erwägung, dass die schweizerische Neutralität, obwohl sie bewaffnet ist, nichts «Kriegerisches» an sich hat, und dieses Element ist m. E. ausschlaggebend.

2. Eine zweite Gruppe von Erwägungen hat mit der Situation der Nachbarstaaten der Schweiz zu tun. Italien und Österreich4 haben den Vertrag unterzeichnet (allerdings noch nicht ratifiziert); Frankreich hingegen ist – obwohl Atommacht – bekanntlich den Verhandlungen, die zum Abschluss des Vertrages führten, ferngeblieben und hat auch von vornherein erklärt, dass es ihn nicht unterschreiben werde. Anderseits hat die Pariser Regierung durchblicken lassen, dass sie sich de facto an die leitenden Prinzipien des Vertrages zu halten beabsichtige. Die Bundesrepublik Deutschland wiederum nimmt im vorliegenden Zusammenhang eine eigentliche Schlüsselstellung ein5. Vor allem um die Bundesrepublik vom Besitz von Atomwaffen permanent auszuschliessen, hat die Sowjetunion auf die Verhandlung des Vertrages eingelenkt. Hingegen wird nichts im Vertragstext die Amerikaner dran hindern, das deutsche Territorium für den Einsatz ihrer eigenen Atomwaffen zu benutzen. Nicht von ungefähr ist die Unterzeichnung des Vertrages in der Bundesrepublik sehr umstritten. Sie wird bestimmt nicht vor den kommenden Wahlen vollzogen werden. Hauptbefürworter ist Aussenminister Brandt, Hauptgegner der Finanz- und ehemalige Verteidigungs minister Franz Josef Strauss. Die Schweiz hat in ihren bisherigen Äusserungen klargemacht, dass eine schweizerische Unterzeichnung des Vertrages unter anderem von seiner Universalität abhängen würde6 (d. h. Unterschrift möglichst aller Länder der Welt). In concreto bedeutet dies aber vor allem die Beteiligung der Bundesrepublik. Dieser Standpunkt scheint mir richtig. Es wäre m. E. eine extreme Rücksichtnahme auf Frankreich, wenn wir wegen des Abseitsstehens dieses Nachbarlandes dem Atomsperrvertrag ebenfalls fernblieben. So sollte m. E. die deutsche Unterzeichnung die schweizerische nach sich ziehen. Die Frage bleibt offen, ob wir auch auf Japan warten wollen, das bisher nicht unterschrieben hat. Ich würde diese Frage verneinen, da Japan in einen doch wesentlich anderen weltpolitischen Zusammenhang gehört. Auf dem Politischen Departement besteht eher die Tendenz, auch die japanische Unterschrift abzuwarten, dies u. a., um die gewichtige Frage der Bindung Westdeutschlands nicht allzu sehr zu unterstreichen. Zu zeigen, dass auch wir dieses Element nach seiner vollen Bedeutung zu würdigen wissen, scheint mir aber gerade im Hinblick auf unsere geographische Lage als neutraler Staat zwischen dem amerikanischen und dem sowjetischen Machtbereich keineswegs vom Übel.

1
Notiz: E7001C#1982/116#269* (120.06). Unterzeichnet von A. Weitnauer. Handschriftliche Marginalie: haben keine Möglichkeit.
2
Vgl. das BR-Beschlussprot. II vom 10. Juli 1969, dodis.ch/33302.
3
Zur Unterzeichnung des Vertrags durch die Schweiz am 27. November 1969 vgl. das BR-Prot. Nr. 2004 vom 24. November 1969, dodis.ch/33146 und das BR-Beschlussprot. II vom 27. November 1969, E1003#1994/26#12*.
4
Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 87, dodis.ch/33144, Anm. 3.
5
Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 88, dodis.ch/32905, Anm. 9.
6
Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 87, dodis.ch/33144, bes. Anm. 6.