dodis.ch/39504 Aufzeichnung des Chefs des Finanz- und Wirtschaftsdiensts des Politischen Departements, J. Zwahlen1

WÄHRUNGSSITUATION

Vertraulich

Herr Jolles eröffnet die Sitzung und orientiert eingehend über die Währungskrise und das gegenwärtige «schmutzige Floaten»2 des Schweizerfrankens. Unsere Währung hat den höchsten Aufwertungseffekt der Welt erzielt und selbst den Yen und die DM überflügelt. Seit dem 21. Januar 19733 ergeben sich folgende Aufwertungseffekte: – gegenüber den USA4: 16,14% – gegenüber der Bundesrepublik Deutschland und Österreich5: 4–5% – gegenüber England6: 10,73% – gegenüber Japan7: 1,56%

Der durchschnittliche Aufwertungssatz beträgt 7,79%. Wenn wir auf die Zahlen vor der Schweizerfrankenaufwertung im Mai 1971 abstellen, so ergeben sich folgende Sätze: – gegenüber den USA 32,69% – gegenüber der Bundesrepublik Deutschland 5,04% – gegenüber den 15 wichtigsten Handelspartnern 14,88%

Der Gesamtdurchschnitt beträgt 18,5%.

Dabei darf nicht vergessen werden, dass der Dollarraum 32% der gesamten schweizerischen Ausfuhren ausmacht8. Leider verfügen wir nur über wenige aussenhandelspolitische Instru mente, um die Auswirkungen dieser bedeutenden Währungsveränderungen auf die schweizerische Wirtschaft zu mildern (z. B. ERG in der neuen Fassung9).

Herr Winterberger (Vorort): Wir befinden uns in einer sehr unangenehmen Situation. Der grosse Dollarüberhang ist mit einer Lawine zu vergleichen, die bei der kleinsten Erschütterung ausgelöst werden kann. Die Notenbank kann heute nicht zu festen Kursen zurückkehren, weil der Schweizerfranken durch internationale Finanzoperationen «getestet» wird10. Die Frage nach den Konsequenzen und der Dauer des Floatens stellt sich hier, da diese Situation die schweizerischen Exporte11, besonders der Uhren-, Schuh-, Textil- und Maschinenindustrie gefährdet. Es kommt jetzt auch darauf an, was die EWG unternehmen wird, denn ein gemeinsames Floaten der EWG-Länder würde für die Schweiz eine gewisse Entlastung bedeuten12. Auch könnte eine Verbesserung der Konjunkturlage in den Absatzländern zu einem grösseren Spielraum für schweizerische Preiserhöhungen beitragen. Dieses Problem muss aber noch genauer verifiziert werden.

Herr Jucker (Gewerkschaftsbund) orientiert über gewisse Modellspiele der Engländer betreffend ein gemeinsames Floaten der EWG-Währungen gegenüber dem Dollar. Im allgemeinen haben die Abwertungen eine belebende Wirkung auf die Konjunktur der abwertenden Länder. Da wir ein kleines Land sind, werden wir vom Konjunkturaufschwung der Grossen mit hinaufgezogen.

Herr Fischer (Gewerbeverband): Das Floaten ist die einzige Alternative zu einem massiven Interventionismus. Zuwarten ist die beste Therapie im Moment, da der Kurs sicherlich nicht sehr weit zurückgehen wird. Die Erklärung des Bundesrates, das Ziel seien fixe Wechselkurse, war unnötig. Die Konjunkturbeschlüsse der Landesbehörde13 haben der Inlandwirtschaft, besonders den Bauunternehmen, grosse Opfer aufgeladen. Im Rahmen eines nationalen «burden sharing» ist die Aufwertung der Anteil an der Konjunkturdämpfung, den die Exportwirtschaft zu erbringen hat. Wir sollten nicht auf den status quo ante zurückkommen, eine Aufwertung des Schweizerfrankens ist unerlässlich. Dabei ist nicht zu vergessen, dass der Aufwertungseffekt gegenüber der Bundesrepublik Deutschland für uns besonders wichtig ist; dieser ist bekanntlich nicht so gross wie bei andern Ländern.

Herr Ötterli (Bankiervereinigung) befürchtet, dass wir noch einige Zeit mit den Währungsschwierigkeiten leben müssen. Ihre eigentliche Ursache liegt bei der amerikanischen Währungslage. Solange sich hier nichts ändert, wird die Unruhe anhalten. Die Praxis hat gezeigt, dass ein Floaten als Dauerzustand nicht möglich ist. Die amerikanische Wirtschaft verdient Vertrauen, sie ist stark und hat die Inflationsrate bedeutend reduzieren können. Von den Banken aus gesehen sollte man mit dem gebundenen Zahlungsverkehr nicht operieren, höchstens als allerletzte ultima ratio. Ein gebundener Zahlungsverkehr hätte für uns ganz enorme Folgen, da damit zu rechnen wäre, dass auch Deutschland sich dieses Mittels bedienen würde, womit wir in Europa vorwiegend Länder mit gebundenem Zahlungsverkehr hätten. Ein irreversibler Zustand würde damit auf viele Jahre hinaus geschaffen.

Zur Frage der Mitgliedschaft im Währungsfonds14 ist nach wie vor grösste Zurückhaltung geboten, da die Sonderstellung des schweizerischen Finanzplatzes ein Abwarten gebietet. Die Stellung des Goldes, des Dollars und ganz besonders der Sonderziehungsrechte ist noch nicht klar. Diese Sonderziehungsrechte bieten Gelegenheit zu Missbräuchen. Man sollte von Seiten der Behörden jetzt Ruhe bewahren und vorläufig das Floaten weiterführen, aber am Ziel der festen Parität festhalten.

Herr Winterberger ist nicht so optimistisch in bezug auf die USA wie Herr Ötterli, da die multinationalen Gesellschaften ihre Gewinne kaum zurück nach Amerika transferieren. Auch sind die grossen Defizite der amerikanischen Handels- und Zahlungsbilanzen augenfällig. Der Finanzplatz Schweiz ist heute mindestens so bedeutend wir derjenige der Bundesrepublik, aber wir können zehnmal weniger «schlucken». Deshalb kann sich unser Finanzplatz auf den kleinen schweizerischen Wirtschaftsraum auch negativ auswirken15. Im übrigen warnt Winterberger vor einer öffentlichen Diskussion eines gespaltenen Devisenmarktes und einer Frankenaufwertung, da jedesmal, wenn solche Gespräche bekannt werden, 24 Stunden später der Frankenkurs an der New Yorker Börse weiter nach oben floatet.

Herr Grübel (BIGA): Wir kämpfen seit Jahren mit dem Fremdarbeiterproblem16 mittels einer unbefriedigenden Oberflächentherapie, nur eine Beruhigung der Konjunktur könnte eine richtige Lösung ergeben. Von uns aus gesehen brauchen wir eine Dämpfung der Konjunktur. Ein ausgeglichener Arbeitsmarkt in allen Branchen wagen wir nicht zu hoffen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es auf die andere Seite umschlagen könnte und dass mit Arbeitslosigkeit zu rechnen wäre. Wir haben aber heute keine solchen Befürchtungen.

Die 30% Aufwertung dramatisieren die Situation etwas, denn man geht bei dieser Berechnung von der Voraussetzung aus, dass die Währungsrelationen vor dem Mai 197117 in Ordnung waren, was sicherlich nicht der Fall war.

Herr Jolles bemerkt, dass währungspolitische Massnahmen ein äusserst gefährliches Instrument der Konjunkturdämpfung darstellen.

Herr Jucker (Gewerkschaftsbund): Die neuen Kurse entsprechen gemäss seiner Erfahrung annähernd Marktrelationen. Gespaltene Devisenmärkte kommen einem System verdeckter Exportsubventionen gleich und werden vor allem von Ländern mit abwertungsverdächtigen Währungen angewandt. Der Weg zu noch mehr Interventionismus wäre für uns absolut verfehlt. Wir müssen mehr Mobilitätspflege und weniger Protektionismus als in allen unseren Nachbarstaaten treiben.

Herr Zwahlen (EPD): In der Arbeitsgruppe 3 der OECD18 kam letzte Woche die wirtschaftliche Situation der USA zur Sprache, wobei das OECD-Sekretariat eher pessimistische Perspektiven aufgezeigt hat. Das Sekretariat des Währungsfonds sowie die amerikanische Delegation haben aber eine positivere Haltung, da das Smithsonian Agreement seine positive Wirkung nicht verfehlen werde. Das Floatieren in der Schweiz sollte solange andauern, bis sich die Situation international stabilisiert hat. Die 6,2 Milliarden Dollar in Deutschland beginnen zurückzufliessen, weil die Deutschen gewisse wirksame Massnahmen getroffen haben. Das gleiche wird voraussichtlich nach einer Aufwertung des Yen auch mit den 1,2 Milliarden Dollar in Japan geschehen. Der gegenwärtige Kurs des Schweizerfrankens entspricht nicht unserer Aussenwirtschaftssituation. Auch gibt es zur Zeit nur wenig Transaktionen, ungefähr 10% des normalen Umsatzes.

1
Aufzeichnung: CH-BAR#E2001E-01#1987/78#973* (C.41.110.1). Verfasst von E. Bischof. Kopie an P. Graber, E. Thalmann, R. Keller, S. Marcuard, R. Bindschedler, A. Janner, E. Diez, H. Miesch, M. Gelzer, P. A. Nussbaumer, M. Jaccard, P. Thévenaz, P. Erni, J. Zwahlen, L. Rochat, E. Bischof, J. Hulliger und H. Barbey.
2
Vgl. dazu die Notiz von B. Müller an N. Celio vom 13. Februar 1973, dodis.ch/39614; das Protokoll vom 9. März 1973 der Sitzung der Aussenwirtschaftskommission des Nationalrats vom 20. Februar 1973, dodis.ch/39617. Allgemein zu den Vor- und Nachteilen des Floatens vgl. DDS, Bd. 25, Dok. 158, dodis.ch/35738.
3
Zum Entscheid der Nationalbank vom 21. Januar 1973 den Schweizerfranken floaten zu lassen vgl. DDS, Bd. 26, Dok. 3, dodis.ch/39503.
4
Vgl. dazu den Bericht von P. R. Jolles vom Februar 1973, dodis.ch/38938.
5
Zur Bundesrepublik Deutschland vgl. die Notiz von J. Zwahlen vom 11. Juli 1973, dodis.ch/39604 sowie die Notiz von J. Zwahlen an P. Graber vom 29. Juli 1973, dodis.ch/39606 und zu Österreich vgl. das Schreiben von H. Zimmermann an P. R. Jolles vom 14. März 1973, dodis.ch/40592.
6
Vgl. dazu Doss. CH-BAR#E7110#1984/70#596* (861.3).
7
Vgl. dazu DDS, Bd. 26, Dok. 128, dodis.ch/39647, Anm. 10.
8
Vgl. dazu die Rede von P. R. Jolles vor der amerikanischen Handelskammer in der Schweiz vom 2. März 1973, dodis.ch/38580.
9
Vgl. dazu DDS, Bd. 26, Dok. 11, dodis.ch/38471, Anm. 6.
10
Vgl. dazu DDS, Bd. 26, Dok. 117, dodis.ch/39505.
11
Vgl. dazu das Schreiben von R. Frey und H. Steffen an N. Celio vom 16. Febraur 1973, dodis.ch/39716; das Schreiben von N. Celio an R. Frey vom 20. Februar 1973, dodis.ch/39717; das BR-Beschlussprot. II vom 30. Dezember 1974 der Klausurtagung vom 20. Dezember 1974, dodis.ch/39577, S. 3–6 sowie das Protokoll Nr. 1395 des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank vom 18. Dezember 1975, dodis.ch/39645. Zur Lage der Uhrenindustrie vgl. die Notiz von R. Gallatti vom 27. Februar 1975, dodis.ch/38727; das Protokoll Nr. 555 des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank vom 15. Mai 1975, dodis.ch/39639, S. 790–792; das BR- Prot. Nr. 1257 vom 9. Juli 1975, dodis.ch/39670; die Notiz von K. Fröhlicher an E. Brugger vom 17 Juli 1975, dodis.ch/38728 sowie das Schreiben von E. Brugger und G.-A. Chevallaz an B. Clerc vom 12. Nobember 1975, dodis.ch/38729.
12
Vgl. dazu DDS, Bd. 26, Dok. 36, dodis.ch/37657, Anm. 13. Zur Frage einer Teilnahme der Schweiz an der europäischen Währungsschlange vgl. DDS, Bd. 26, Dok. 141, dodis.ch/39506; Dok. 161, dodis.ch/39509 sowie DDS, Bd. 26, Dok. 170, dodis.ch/39508.
13
BR- Prot Nr. 38 vom 10. Januar 1973, dodis.ch/39714 sowie die BR- Prot. Nr. 37, 39, 40, 41, 41A, 43 und 45 vom 10. Januar 1973, CH-BAR#E1004.1#1000/9#790*. Vgl. dazu ferner das Referat von R. Bieri an der Botschafterkonferenz vom 29.–31. August 1973, dodis.ch/37655 sowie das BR- Prot. Nr. 1872 vom 25. November 1974, dodis.ch/39718.
14
Vgl. dazu DDS, Bd. 26, Dok. 88, dodis.ch/38459 sowie DDS, Bd. 26, Dok. 108, dodis.ch/38470.
15
Vgl. dazu DDS, Bd. 26, Dok. 96, dodis.ch/39094.
16
Vgl. dazu DDS, Bd. 26, Dok. 86, dodis.ch/38402, bes. Anm. 2, 3 und 4.
17
Zur Aufwertung des Schweizerfrankens vom 9. Mai 1971 vgl. DDS, Bd. 25, Dok. 72, dodis.ch/35737.
18
Vgl. dazu die Notiz von J. Zwahlen vom 26. Februar 1973, CH-BAR#E2001E-01#1987/78#1238* (C.41.780.02.27.3).