dodis.ch/41042
Le Chargé d’affaires de Suisse à Vienne, L. Steiger, au Président de la Confédération, J. Furrer1

Unter Bestätigung meiner ergebenen Depesche vom 14. d. M.2 beeile ich mich, mit meiner heutigen der mir mit verehrlicher Zuschrift vom 6. d. M.3 ertheilten Instruction betreffend die Neuenburg-Preussische Angelegenheit in soweit zu entsprechen, als es mir möglich war, darüber die Meinungen einzelner der einflussreicheren Mitglieder des diplomatischen Corps einzuhohlen. In meiner ergebenen Depesche vom 11.d.M.4, auf welche ich mich veranlasst sehe, nochmals zurükzukommen, hatte ich die Ehre, von einer Unterredung zu berichten, welche ich bei Anlass einer Geschäftsangelegenheit in der Legation mit dem französischen Geschäftsträger Hr. de La Cour in confidentieller Weise hatte. Derselbe sprach sich, wie ich zu erwähnen die Ehre hatte, vollkommen in dem Sinne aus, der für die Schweiz in jeder Beziehung beruhigend wäre; ja ich durfte daraus entnehmen, dass diese Frage von Seite der französischen Regierung nicht nur nicht gebilligt, sondern entschiedene Widerspräche finden dürfte, im Falle wirklich Preussen die Absicht haben sollte, seinen Ansprüchen auf Neuenburg durch bewaffnetes Einschreiten im Schweizer Gebiete Geltung zu verschaffen. Es kann dieses allerdings nur eine individuelle Ansicht des Hr. de La Cour sein, ohne dass solche im Einklänge mit der französischen Regierung wäre, allein ich glaube doch annehmen zu dürfen, dass Frankreich mit dem Status quo des Neuenburger Kantons besser zufrieden sein wird, als mit dem früher bestandenen unhaltbaren Zwitterzustande. Die Ansichten des Österreichischen Kabinetts in dieser Beziehung zu erforschen, ist, wenn nicht ein höchst günstiger Zufall sich bietet, eine reine Unmöglichkeit. Es ist unverkennbar, dass in letzterer Zeit die Hegemonie Preussens in der deutschen Angelegenheit die Sympatien des Österreichischen Kabinetts zu dem Preussischen einigermassen erkaltete und man mit schielen Augen die eigenmächtigen Schritte des Preussischen Kabinettes hier betrachtet, jedoch glaube ich nicht, dass Preussen auf eigene Faust ohne die Zustimmung der anderen Kabinette einen solchen Schritt wagen würde; bei der gegenwärtigen Lage der Österreichischen Monarchie ist jedoch nicht wohl daran zu denken, dass das Österreichische Ministerium die Hand zu einem Kriege gegen einen Nachbarstaat bieten werde, der ihm keinen Anlass gegeben, die freundschaftlich-internationalen Verhältnisse mit frecher Hand zu verletzen, und den Fehdehandschuh ins Angesicht zu schleudern, ohne dass eine Herausforderung stattgefunden hat, die einen solchen Schritt rechtfertigen könnte. Es ist, wenn auch die Reaktion schon ein sehr grosses Terrain gewonnen hat, doch nicht zu verkennen, dass der Meinung des Volkes Rechnung getragen werden muss. Sollte Österreich, das an frischen Wunden blutet, das nicht kräftig genug war, eine Revolution im eigenen Lande mit eigener Macht zu unterdrücken, und sich gezwungen sah, eine fremde Macht zu Hülfe zu rufen (und wer weiss, um welche Kosten), sollte diese Regierung, deren Finanzen ein so trauriges Bild bieten, anstatt an dem Aufbau seiner verwüsteten Staaten und der Grundlage einer neuen einzuführenden Verfassung zu arbeiten, es wagen, mit dem Schweisse seiner Völker einen Krieg gegen eine Nation zu entzünden und zu unterstützen, die ihm zu diesem Schritte keinen genügenden Grund gegeben, nur um einem Friedrich Wilhelm zu gefallen, dessen unlautere Absichten einem Österreichischen Kabinette doch in letzterer Zeit nicht unenthüllt geblieben sein könnten? Ich glaube es nicht und die Meinungen der hierüber gehaltenen Konferenzen stimmen mit meinen Ansichten vollkommen überein. Die ausführliche Besprechung dieser Angelegenheit und die hierüber gepflogenen Beobachtungen haben jedoch mein Augenmerk auf einen Gegenstand gelenkt, der mir mehr Bedenken einflösst, als der soeben besprochene neuenburgisch-preussische. Der Vorwand des preussischen Kabinetts, eine Intervention wegen Neuenburg in der Schweiz zu unternehmen, hat in Preussen selbst einen schlechten Anklang gefunden und wird, wie ich wahrnahm, selbst von den conservativen Blättern entschieden zurückgewiesen. Ein Gegenstand, den ich jedoch glaube, Euer Excellenz Beachtung anempfehlen zu müssen, ist derjenige der deutschen Flüchtlinge, der eher ein casus belli für die Schweiz werden könnte. Die Bestrebungen der sämtlichen Regierungen sind darauf hingerichtet, die demokratischen Principien zu ersticken, wo es der Schärfe des Schwertes gelingt. Das nächstliegende Land an der Schweizergränze, Baden, scheint die Selbständigkeit in militärischer Beziehung zu verlieren und es wird wohl eine preussisch-österreichische-bairische Besatzung daselbst verbleiben. Es kann den Regierungen, welche wieder den früheren Principien sich annähern wollen, kein gleichgültiger Grund sein, dass die Häupter der pfälzischen und badischen Bewegungen durch das Asylrecht der Schweiz ihnen entkommen sind und der Funke der Empörung durch ihre Häupter nicht gesühnt werden kann. Sie könnten daher, um ihren Zweck zu erreichen, einen Grund vorzufinden, mit der Schweiz in Konflickt zu gerathen, diesen Grund benützen, der selbst in der Meinung des Volkes seine Vertreter finden würde. Ein sehr wohl unterrichteter Mann sagte mir gestern: «Lassen Sie die Ungarn besiegt sein und Österreich wird einen ändern schärferen Ton anstimm en», und ich stimme dieser Meinung vollkommen bei. Wie dem Sturme gegen die Eidgenossenschaft zu Gunsten der Sonderbundskantone die Symptome in Österreich vorhergegangen sind, so beginnen sie auch jetzt wieder. Der frühere österreichische Beobachter, welcher die Partei der Regierung damals vertrat, war der Thermometer ihrer Gesinnung, so ist es jetzt die Wiener Zeitung, welche mit grosser Sorgfalt diejenigen Artikel aus der Augsburger Allgemeinen Zeitungbringt, welche meistens aus der Schweiz selbst gerichtet sind, die gute Gesinnung für die Schweiz zu untergraben, und man vernimmt in dem wenn auch nicht als Richter anzunehmenden unmündigen Volke Stimmen, welche darauf hindeuten, als wäre man gezwungen, vielleicht gegen die Schweiz einzuschreiten, da sie der Revolution in Baden durch Beherbergung der Flüchtlinge Vorschub leiste. Ich weiss wohl, dass diese Stimmen für Euer Excellenz kein besonderes Interesse haben werden, allein ich habe die Volksstimmung hier so oft zu beurtheilen Gelegenheit gehabt, dass ich nicht ermangeln wollte, davon Erwähnung zu thun. Es zeigen sich noch andere Symptome, die ich, bevor ich berichte, noch gehörig sondiren werde. Da Euer Excellenz mich zu einer confidentiellen Mittheilung aufforderten, wollte ich es nicht unterlassen, meine unumwundene Meinung offen auszusprechen.

Ich habe schon vor längerer Zeit, obgleich es mir von diplomatischer Seite entschieden widersprochen wurde, die Besorgnis ausgedrückt, dass Russland bei der Besiegung der ungarischen Revolution nicht stehen bleiben, sondern seinen Truppen eine anderweitige Bestimmung geben werde, um den Keim der Revolution auf dem ganzen Kontinente zu unterdrücken. Die Bestrebungen der legitimistischen Partei in Frankreich gewinnen tagtäglich an Terrain. Bei den neuen Wahlen hat die conservative Partei den Sieg davon getragen, und den Berichten nach zu urtheilen, scheint das monarchische Element einen grossen Anhang zu gewinnen. Solange die französische Republik besteht, selbst in ihrer jetzigen reactionären Form, hege ich für die Schweiz keine Besorgnis einer Allianz der Grossmächte, denn der Präsident der Republik, der Bürger von Thurgau, sollte doch schwerlich bewogen werden können, gegen ein Land feindlich aufzutreten, das ihm so lange ein freundliches Asyl gewährt und selbst den Drohungen Frankreichs zu seinem Schutze kein Gehör gegeben hat. Ich habe nun Euer Excellenz die Verhältnisse pro und contra dargestellt, wie ich sie nach eigener Anschauung und nach dem Urtheile gereifter Männer betrachten muss und bedaure nur, dass es mir nicht möglich ist, Gewissheit über die Absichten der Kabinette mitzutheilen; in Anbetracht der verwirrten Verhältnisse Europas jedoch glaube ich mich nicht zu täuschen, wenn ich annehme, dass wohl die Kabinette selbst wegen der zukünftigen Verhältnisse Europas noch keinen festen Plan gefasst haben dürften. Dass Russland einen entschiedenen Einfluss auf das Österreichische und Preussische Kabinett ausübt, ist unbezweifelt. Die Absichten Preussens wegen Neuenburg flössen mir jedoch, wie schon erwähnt, weit weniger Besorgnis ein, als jene der deutschen Flüchtlinge, es liegt daher im Interesse der Schweiz, sich derselben, wie es einst mit den Polen geschah5, auf baldmöglichste Weise zu entledigen, da sonst leicht sich in der Schweiz eine Propaganda bilden könnte, welche dem Vaterlande schwere Wunden bereiten würde. Ich werde dieser Angelegenheit fortwährend meine grösste Aufmerksamkeit widmen und nicht ermangeln, Euer Excellenz stets von Allem unterrichtet zu halten, was Sie interessiren kann, auch bitte ich zu entschuldigen, dass ich dieses Thema so weitläufig ausgeführt habe, was ich jedoch im Interesse der Sache nothwendig erachtete, und nicht unterlassen wollte, da Euer Excellenz mich zu einer confidentiellen Mittheilung ermunterten.

[...]6

1
E 2300 Wien 2.
2
Non reproduite.
3
E 2200 Wien 1/37.
4
Non reproduite.
5
En 1834.
6
Passage relatif aux événements de Hongrie.