dodis.ch/43062
Der Vizepräsident des Schweizerischen Handels- und Industrievereins, Nationalrat A. Frey, an den Vorsteher des Handels-, Industrie- und Landwirtschaftsdepartementes, A. Deucher1

Mit Schreiben vom 9. d.M. beehren Sie mich mit der Mitteilung, dass die französische Regierung Wert darauf legen würde, wenn die Schweiz aus Billigkeitsgründen und unter Berücksichtigung der gegenseitigen Interessen einige Massregeln zu Gunsten der Erzeugnisse der zollfreien Zone von Hochsavoyen und des Pays de Gex ergreifen wollte.

Sie wünschen meine Ansicht

1. über das von Ihrem Departement für die Behandlung der Angelegenheit in Aussicht genommene Verfahren,

2. über die Verlangen der französischen Regierung in grundsätzlicher Hinsicht.

ad 1. Die Begrüssung der Regierung des Kantons Genf scheint auch mir das Nächstliegende. Im weitern wird es sich empfehlen, gleichzeitig dem Schweizerischen Bauernverband und dem Schweizerischen Handels- und Industrie-Verein Gelegenheit zu schriftlicher Äusserung zu bieten2. Dann aber schiene mir richtig, dass zunächst eine Besprechung dieser nicht-genferischer Interessenten, unter Zuzug des Präsidenten der nationalrätlichen und des Vizepräsidenten der ständerätlichen Zollkommission stattfände, denen von den eingegangenen Berichten, also auch von dem der Genfer Regierung Kenntnis zu geben wäre. Erst nach der durch diese Verhandlung erzielten Abklärung wäre auch die Vertretung des Kantons Genf - Regierungsräte und je nachdem genferische Mitglieder der Bundesversammlung - zu einer gemeinschaftlichen Schlussitzung zusammenzuberufen.

ad 2. Auch ich bin vollständig der von Ihnen in Ihrem Schreiben vom 14. Oktober d.J. an das Eidg. Politische Departement3 ausgesprochenen Meinung, dass die Schweiz mit Rücksicht auf die Neutralität der Zone und die zum Teil von diesem Gebiete abhängigen wirtschaftlichen Verhältnisse von Stadt und Kanton Genf unstreitig ein Interesse daran habe, die Bemühungen derjenigen zu unterstützen, welche für die Zone eintreten. Im ferneren schliesse ich mich der Ansicht an, dass dieser Unterstützung durch die entgegenstehenden schweizerischen landwirtschaftlichen Interessen gewisse Schranken gesetzt werden. Allzu ängstlich wäre ich freilich in diesem Punkte insofern nicht, als ich ändern Erwägungen den Vorrang zubillige. Um bei der wirtschaftlichen Seite der Frage zu bleiben: der Erwägung, was die Zonen für den schweizerischen Export wert sind. Unter diesem Gesichtswinkel schon messe ich nun gar der fiskalen Seite nur sekundäre Bedeutung bei.

Die Gewährleistung der Zollfreiheit in Hochsavoyen und im Pays de Gex ruht auf bedenklich schwachem Grunde. Der Wiener Vertrag für das Pays de Gex ist meines Erachtens nicht stärkerer Schutz als das französische Versprechen an Savoyen im Jahre 1860 anlässlich der Optionsabstimmung. Am meisten geschirmt scheint noch die sardinische Zone, die aber im Vergleich zu der dermaligen savoyischen nicht wesentlich in Betracht fiele. Nun ist ja richtig, dass diese Zonengebiete aller Welt offen stehen, ohne dass die Drittstaaten und Frankreich für die Vergünstigung Gegenleistungen darbieten wie die Schweiz. Aber letztere zieht doch erklecklichen Nutzen aus diesen Verhältnissen und durfte schon als Nachbar ein Übriges tun.

Ja, sie musste und muss es tun, und zwar nicht nur aus Neigung für die Zonen und um die Zollfreiheit in ihnen zu befestigen, sondern ganz besondes mit Rücksicht auf Genf in seiner Eigenschaft als Lieferant wie als Konsument und als Teil der Eidgenossenschaft. Auf Genf liegt nach wie vor der Hauptakzent der ganzen Frage, und damit ist sie vom Gebiet der reinen Wirtschaftlichkeit auf das der Landespolitik überhaupt hinübergespielt.

Man kann und darf auf schweizerischer Seite nicht bloss erwägen, welches wären die wirtschaftlichen Folgen einer Aufhebung der freien Zonen für unser Land gemeinhin? Man muss sich vielmehr fragen, welches wären diese Folgen für Genf, wie vermöchten sie zu wirken und wie könnten sie abgewendet werden? Die Antwort auf den ersten Teil der so präzisierten Frage wäre gerade so leicht, wie die auf den zweiten schwer.

Darum halte ich dafür, dass die Schweiz mit autonomen Vergünstigungen an die zollfreien Zonen soweit als immer möglich gehen sollte. Wie weit im konkreten Falle, darüber möchte ich mich jetzt nicht äussern; das soll zu gekommener Zeit neben ändern der Vorort tun. Jedenfalls natürlich nicht so weit, wie die sattsam bekannte französische Handelskammer in Genf in ihrer Bescheidenheit begehrt. Diese Kammer dürfte übrigens in höherem Masse als die Zonenbewohner selbst Urheberin der Schritte der französischen Regierung sein, wie sie sich ja bekanntlich seiner Zeit recht ungeniert in die Verhandlungen über das Abkommen mit Frankreich gemischt hat.

Die Meinung erlaube ich mir noch anzufügen, dass ich nicht glaube, die Schweiz würde mit einigem autonomen Entgegenkommen die Verhandlungen über die Fortdauer der Konvention von 1881 präjudizieren. Ich halte vielmehr dafür, sie würde solchen Verhandlungen vorbeugen und eine unveränderte Erneuerung des Traktats ermöglichen.

Gar wohl bin ich mir bewusst, dass ich mit diesen Darlegungen nichts Neues oder Originelles bringe; allein ich bezwecke auch einzig zu betonen, dass ich das Schwergewicht für die Beurteilung der ganzen Frage auf die allgemein politische Seite lege und nicht auf die wirtschaftliche oder fiskale. In Erinnerung an den Umstand, dass während des Zollkriegs mit Frankreich in den 90er Jahren im Bundesrat längere Zeit eine sachliche Verquickung der Zonenfrage mit der schweizerisch-französischen Zollpolitik beliebte (wie neuerdings wieder in den Bemerkungen der Oberzolldirektion zum Artikel «la Suisse et la Zone» im Bulletin der Chambre de Commerce française de Genève vom 20. September 1907), und dass erst ziemlich spät nicht nur diese Loslösung, sondern auch die gebührende Berücksichtigung Genfs eintrat, dürfte die Hervorhebung dieses meines - damals schon in der Presse verfochtenen - Standpunkts nicht ganz abwegs sein.

1
Schreiben: E 2, Archiv-Nr. 1664.
2
Am 21. Dezember 1907 lud das Handelsdepartement die von Frey vorgeschlagenen Verbände, aber auch den Schweizerischen Gewerbeverein, zur Vernehmlassung ein. Überdies sollten die betreffenden Gremien bereits Delegierte für eine geplante Konferenz bezeichnen. Vgl. Nr. 212.
3
Nr. 203.