dodis.ch/43575
Le Chef du Département politique, A. Hoffmann, au Ministre de Suisse à Paris, Ch. Lardy1

Die militärischen Berichte lassen es als wahrscheinlich erscheinen, dass auch die jetzt im Gange befindliche englisch-französische Offensive trotz ihren glänzenden Anfangserfolgen nicht zu einem durchschlagenden Ergebnis führen wird. Und man fragt sich ängstlich und mit innerer Bewegung: Was dann? Soll denn einfach an die Vorbereitungen einer noch riesigeren und blutigeren Offensive herangetreten werden und soll darüberhin ein vierter Kriegswinter mit all seinen Entbehrungen und Schrecken vergehen? Oder ist denn nicht endlich der Augenblick gekommen, wo auch auf Seite der Entente, insbesonders Frankreich, Geneigtheit besteht, einen geschickt ausgestreckten Friedensfühler nicht als Beleidigung zu empfinden, sondern dankbar zu begrüssen?

Sowenig ich zum Optimismus neige, so glaube ich doch, dass die strategische Versumpfung der im Gange befindlichen Offensive, wenn eine solche, wie es den Anschein hat, eintreten sollte, den Anfang vom Ende bedeuten würde und dass dann auch für uns der Moment kommen könnte, zu handeln und uns energisch für den Frieden einzusetzen.

Ich werde hiezu um so mehr veranlasst, wenn ich die wirtschaftliche Lage, insbesondere die Verproviantierung von England und Frankreich ins Auge fasse. Mag man die Ergebnisse des Unterseebootkrieges auch noch so gering einschätzen, so kann doch nicht geleugnet werden, dass in diesen Ländern - von Italien gar nicht zu reden - eine gewisse Knappheit in wichtigen Lebensmitteln sich bemerkbar macht. Die behördlichen Verfügungen, noch mehr als Einzelerscheinungen, wie die Bitte wegen Überlassung der 15000 Tonnen Weizen2, sind ebenso bedenkliche als sprechende Anhaltspunkte hiefür. Der Krieg hat ja nun zwar den Beweis geleistet, welche Opfer die Völker auf sich zu nehmen bereit sind; allein, wenn solche Verproviantierungsschwierigkeiten in eine schon an und für sich nicht mehr ganz einheitliche, geschlossene Stimmung hineinkommen, so ist es leicht möglich, dass sie dann dem vorhandenen Friedensbedürfnis zum Durchbruch verhelfen.

Die russischen Verhältnisse sind, soweit sie die Friedensfrage betreffen, offenbar noch ganz verworren; in Petrograd und Stockholm bekämpfen sich die französischen, englischen, schwedischen, deutschen, österreichischen, italienischen und schweizerischen Sozialisten der friedensfreundlichen und friedensfeindlichen Richtung; in Petrograd arbeitet die Entente-Diplomatie, und die amerikanischen Geldversprechungen tun das Ihrige. Es ist nicht abzusehen, ob hieraus in absehbarer Zeit aussichtsreiche Friedensverhandlungen sich entwickeln werden; ich bin diesbezüglich eher pessimistischer Auffassung. Allein, das wird man doch ohne Übertreibung annehmen dürfen, dass die sozialistisch-anarchistische Bewegung und die blosse Tatsache einer energischen Friedensbewegung die militärische Leistungsfähigkeit des russischen Heeres wesentlich vermindern, seine Offensivkraft lähmen und seine Disziplin zermürben werden. Damit fällt aber ein wesentlicher Faktor der militärischen Macht der Entente dahin, und dadurch wird, ob man will oder nicht, dem allgemeinen Frieden auch dann vorgearbeitet, wenn die Bestrebungen für einen russischer Separatfrieden scheitern.

Sollte aber gar ein russischer Separatfrieden zustande kommen, so wäre die Türe für weitere Friedensverhandlungen weit geöffnet. Italien müsste solche ohne weiteres eröffnen, wollte es nicht riskieren, sich die gesamte österreichisch-ungarische Wehrmacht auf den Hals zu laden. Und Frankreich hätte meines Erachtens ebenfalls hohes Interesse, sich mit Deutschland zu verständigen, denn die Belastung der Westfront mit den gesamten deutschen Kräften wäre übermässig. Wir Schweizer endlich hätten das höchste Interesse, dann zugunsten Frankreichs uns für einen Frieden einzusetzen, denn unser Bestreben muss doch sein, zu verhüten, dass Frankreich durch ein übermächtiges Deutschland erdrückt werde.

So komme ich zum Ergebnis, dass, falls die englisch-französische Offensive abermals versumpfen sollte und falls die russischen Verhältnisse sich in der Richtung pazifistischer Übergewichtes entwickeln sollten, dann der psychologische Augenblick gekommen sein dürfte, um Frankreich eine Andeutung zu machen, wir würden uns glücklich schätzen, wenn wir in seinem Interesse uns für eine friedliche Beilegung verwenden könnten.

Wie das dann zu geschehen hätte, durch Sondierungen bei den Zentralmächten, oder durch Vermittlung eines direkten, vertraulichen, vorbereitenden Gedankenaustausches oder durch private Konversationen, oder in irgendeiner ändern Form, das braucht heute noch nicht erörtert zu werden. Dagegen wäre ich Ihnen, verehrtester Herr Minister, ausserordentlich dankbar, wenn Sie die ganze vorstehende Argumentation von Ihrem Standpunkte aus einer Überprüfung unterstellen und mir Ihre Auffassung mitteilen wollten3. Dabei wiederhole ich, dass die erste Voraussetzung für die Möglichkeit nach meinem Vorschläge vorzugehen, die Versagung eines nachhaltigen Erfolges für die derzeitige englisch-französische Offensive ist; ist letztere erfolgreich, dann stehen wir vor einer völlig veränderten Sachlage.

Indem ich Ihnen Ihre Rückäusserungen zum voraus wärmstens verdanke, ...

1
Lettre: E 2200 Paris 1/1435.
2
A la séance du Conseil fédéral du 7er mai 1917, E. Schulthess et A. Hoffmann informent le Conseil fédéral que la France a demandé à la Suisse de lui céder 1500 wagons de blé de ses provisions emmagasinées à Cette. Cf. E 1005 2, 1.
3
Dans un rapport politique du 28 avril 1911, Lardy, analysant le débat politique après l’offensive franco-anglaise, concluera: 1° On admet généralement que l’offensive française en Champagne a provisoirement échoué; des remaniements paraissent devoir être opérés dans le haut commandement. 2° L’opinion publique n’en paraît nullement affectée, tellement elle se croit sûre du succès Final à cause de la coopération des Etats-Unis et cela, malgré la révolution russe. Provisoirement, parler de paix serait incompris ou même tout à fait mal pris.