dodis.ch/43605
Le Ministre de Suisse à Berlin, R. Haab, au Chef du Département politique, G. Ador1

Ich bin glücklich, heute melden zu können, dass in der Beurteilung der schweizerischen Vorkommnisse der vergangenen vierzehn Tage hier eine ruhigere Auffassung Platz ergriffen hat und dass insbesondere die letzte meiner vier Unterredungen mit Staatssekretär Zimmermann bei mir den Eindruck hinterliess, dass die allerdings vorhanden gewesene Verstimmung in den offiziellen Kreisen nunmehr als im wesentlichen behoben betrachtet werden darf. Dazu haben wohl mehr als meine Bemühungen, überall aufklärend zu wirken, die kraftvollen Erklärungen des Herrn Ador in der Bundesversammlung2 und in Genf beigetragen, sodann ganz besonders auch die letzte Rede des Herrn Bundespräsidenten im Nationalrat3 und sein, einem Vertreter des Berliner Tagblattes gewährtes Interview. Ich war natürlich auch in der Richtung tätig, es möchte vermieden werden, dass diese Angelegenheit im Reichstage zur Sprache gelange. Allerdings verlangt heute in der Vossischen Zeitung Georg Bernhard zum zweiten Male, dass dies geschehe.

Dass hier zeitweise eine ziemlich starke Beunruhigung eintreten konnte, ist neben der Nervosität, die gegenwärtig herrscht, im wesentlichen auf ein gänzliches Nichtverstehen unserer staatsrechtlichen und innerpolitischen Verhältnisse zurückzuführen. Wie das immer geschieht, hat auch eine Reihe von Missverständnissen, Gerüchten und falschen Beurteilungen von Personen und Dingen eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt, die zu korrigieren und richtigzustellen ich mir überall angelegen sein liess. Herr Hoffmann galt hier durchaus nicht als eigentlich deutschfreundlich; sein Scheiden beunruhigte vielmehr besonders deshalb, weil man eine Zeitlang glaubte, es werde dadurch eine neue Orientierung der schweizerischen Politik inauguriert, eine Auffassung, die der ganze Verlauf der Debatten in der Bundesversammlung zerstreuen musste.

In Nationalrat Grimm erblickt man nach wie vor einen Gegner Deutschlands. Ich erinnere daran, dass man mir vor einigen Wochen - ich habe Ihnen darüber bereits berichtet - mit einer gewissen Genugtuung mitteilte, es sei ihm die Einreise in Russland verboten worden, und vorgestern gab man mir Kenntnis von einer Depesche Czernins, worin dieser schreibt, es bestehen bestimmte Anhaltspunkte dafür, dass Grimm Agent provocateur einer der alliierten Mächte sei (?).

Über die Haltung der Presse gaben Ihnen die eingesandten Zeitungsausschnitte Aufschluss. Im allgemeinen haben sich die grossen Blätter einer ziemlichen Zurückhaltung beflissen; eine Ausnahme machte vorübergehend der Ullstein-Konzern (B.Z. am Mittag und Die Vossische) was schon in der Fassung und Anordnung der Sensationstitel für die Nachrichten aus der Schweiz zutage trat.

Im Publikum bestand tatsächlich während ein paar Tagen die Befürchtung, die Schweiz werde ins Lager der Entente einschwenken, eine Befürchtung, welche sich in mannigfaltigen mündlichen, telephonischen und sogar schriftlichen Anfragen an die Gesandtschaft und deren einzelne Mitglieder manifestierte. Erwähnen möchte ich noch kuriositätshalber, dass seit den Vorfällen in Genf und Lugano4 unsere Gesandtschaft in diskreter Weise polizeilich bewacht wird. [...]

1
Rapport politique: E 2300 Berlin, Archiv-Nr. 18.
2
Il s’agit de la déclaration de Ador devant l’Assemblée fédérale lors de son élection comme Conseiller fédéral le 26 juin 1917. Nous en avons le résumé: Herr Ador verdankt der Bundesversammlung das grosse Zutrauen; er dankt im Namen der französischen Schweiz, seines Heimatkantons und seiner Partei. Er wiederholt das Versprechen des Bundesrates, die Neutralität strikte zu beobachten. Cf. E 1001 (B) b, 1/5.
3
Non reproduit. Cf. E 1001 (c) d 1/179, no 795.
4
Il s’agit de démonstrations devant les consulats allemand, autrichien et turc à Genève et contre le roi Constantin de Grèce à Lugano. Cf. la séance du Conseil fédéral du 20 juin 1917, E 1004 1/265, no 1539 et no 1540.