dodis.ch/43991
La Division des Affaires étrangères du Département politique à la Légation de Suisse à Washington1

Das politische Departement wurde vor kurzem durch Minister Stovall eingeladen, zu Händen von Oberst House die Bemerkungen mitzuteilen, die vom schweizerischen Standpunkte zum Pariser Völkerbundsprojekt der Alliierten zu machen sind. Daraufhin wurde vorgestern der amerikanischen Gesandtschaft das folgende, die Wünsche der Schweiz enthaltende Aide-Mémoire überreicht, das auf Grund der Beschlüsse der Experten-Kommission ausgearbeitet wurde.

Anfang. Der schweizerische Bundesrat hat wiederholt seine warme und entschiedene Zustimmung zu der Idee eines Völkerbundes ausgesprochen. Er begrüsst deshalb den Entwurf der Konferenz vom 14. Februar 1919 als einen bedeutungsvollen und entscheidenden Schritt zur Verwirklichung des grossen Gedankens. Vom besondern Standpunkte der Schweiz aus möchte er indessen folgende Wünsche zum Ausdruck bringen: f.J2

Herr Stovall hat sehr wahrscheinlich englischen Text dieses Aide-Mémoire an dortige Regierung telegraphiert, die Ihnen denselben auf Ihren Wunsch wohl gerne zur Verfügung stellen wird.

Dieses Aide-Mémoire wurde gleichzeitig mit Kurier an Professor Rappard gesandt, der es der amerikanischen Delegation sowie Lord Cecil übermitteln soll.

Zu Ihrer Orientierung bemerken wir ergänzend folgendes: Die Aufnahme des Memorandums betr. Neutralität war in der schweizerischen Presse aller Landesteile überwiegend beifällig. Vor Erscheinen desselben wurde auf den theoretischen Gegensatz zwischen Neutralität und Völkerbund hingewiesen, vielfach mit einer Besorgnis, die sich bei Bekanntwerden des Pariser Entwurfes steigerte. Daher wurde die Erklärung des Bundesrates, welche die Möglichkeit und Bedeutung der Aufrechterhaltung der Neutralität im Rahmen des Völkerbundes betonte, fast einmütig begrüsst. Später mehrten sich freilich in einzelnen, besonders romanischen Blättern die Stimmen für Zustimmung zur Liga, selbst gegen Preisgabe der Neutralität. Überwiegend beharrt aber die führende Presse auf der Notwendigkeit der Neutralität, nicht zuletzt aus dem strategischen Grunde, dass die Schweiz im Falle eines Krieges an einer der exponiertesten Stellen der Liga gelegen, notwendig zum Kriegsschauplatz würde. Auch wo die Unvereinbarkeit von Neutralität und Völkerbund betont wird, wird vielfach erklärt, dass jedenfalls eine gewisse Frist abgewartet werden müsse, um zu sehen, ob der Völkerbund tatsächlich den an ihn gestellten Anforderungen entspreche. Mit nächstem Kurier übermitteln wir Ihnen eine Zusammenstellung der bisherigen Pressestimmen zu dieser Frage.

Gleichzeitig geht Ihnen eine grössere Anzahl Exemplare des Entwurfes der schweizerischen Kommission samt Beilagen [zu], die Sie den Persönlichkeiten, die sich darum interessieren, zur Verfügung stellen wollen. Insbesondere scheint es angebracht, dem Präsidenten der League to enforce Peace, Taft, der sich über das Pariser Projekt kritisch äusserte, baldmöglichst vom schweizerischen Entwurf Kenntnis zu geben. Wir ersuchen Sie um telegraphische Meinungsäusserung darüber, ob es noch von Wert wäre, den Entwurf ins Englische zu übertragen und ob dies eher in Amerika oder hier geschehen sollte. Besonders wichtig ist die Haltung der führenden Kreise gegenüber dem Standpunkt der Schweiz betr. Neutralität im Völkerbund, wie er im Memorandum3 und in Art. 64 des Vorentwurfes zu einem Bundesvertrag niedergelegt ist. Ersuchen Sie um Mitteilung, ob die Nachricht über die Opposition Belgiens gegen das schweizerische Memorandum in Amerika Rückwirkungen gehabt hat. In dieser Beziehung könnte daraufhingewiesen werden, dass, während einerseits die Neutralität der Schweiz als angeblich mit dem Charakter des Völkerbundes unvereinbar bekämpft wird, anderseits, wie aus Interviews von Venizelos u.a. hervorgeht, aus praktischen Gründen auf der Pariser Konferenz von der Neutralisierung gefährdeter und umstrittener Gebiete (linkes Rheinufer, Adria) im Völkerbund die Rede gewesen zu sein scheint.

Der Bundesrat hat, solange die Verhältnisse noch ungeklärt sind, keine Beschlüsse über den Eintritt in die Liga fassen können. Bis zur Stunde ist uns übrigens noch nicht klar mitgeteilt worden, ob die definitive Organisation des Völkerbundes an einer allgemeinen Konferenz unter voller Mitwirkung der Schweiz beschlossen werden wird, oder ob wir auf andere Weise Gelegenheit haben werden, unsere Ansprüche geltend zu machen und Änderungen des Pariser Entwurfes vorzuschlagen. Wir werden Sie jedoch unverzüglich benachrichtigen, sobald die Verhältnisse dem Bundesrat eine Präzisierung seines Standpunktes erlauben.

1
(Copie): E 2001(B) 1/81.
2
Suivent les thèses modifiées, discutées au Conseil fédéral le 10 mars 1919; cf no 234.
3
Cf. no 177.
4
Cf. Message du Conseil fédéral à l’Assemblée fédérale concernant la question de l’accession de la Suisse à la Société des Nations (du 4 août 1919). Avec Annexes, Berne, 1919 (Publication officielle), p. 249. Voir aussi no 178.