dodis.ch/44010
La Légation de Suisse à Berlin au Chef du Département politique, F. Calonder1

Die Frage der Unterzeichnung des Friedens in Versaillessteht hier im Vordergrund aller Erörterungen.

Die Deutsche Liga für den Völkerbund veranstaltete am letzten Sonntag im Herrenhause eine öffentliche Kundgebung für den wirklichen Völkerbund. Reichsminister Erzberger führte einleitend aus:

«Der Wahnsinn des Bolschewismus bedroht die ganze Welt. Hunger und Arbeitslosigkeit sind die treibenden Kräfte. Ein verhängnisvoller Fehler ist es, wenn die Alliierten glauben, dass diese Zersetzung, wenn sie einmal weite Kreise eines Volkes erfasst hätte, an dessen Grenzpfählen Halt machen würde. Das einzige Mittel, dem Bolschewismus Einhalt zu gebieten, ist die Preisgabe der Gewaltpolitik durch die Alliierten.» Er besprach dann kritisch die einzelnen Forderungen der Entente, nannte die Absichten Polens auf Danzig ein Verbrechen, die unerhörten Schadenersatzforderungen unbegründet; sie seien abzulehnen und fuhr dann fort: «Weder die Vertreter des deutschen Volkes in der Nationalversammlung noch die deutsche Regierung haben vom deutschen Volke ein Mandat, einem Frieden zuzustimmen, der über die 14 Punkte Wilsons hinausgeht. Wollen die Alliierten diese Basis verlassen und das Friedensinstrument über die 14 Punkte hinaus mit neuen Bedingungen belasten, so wird die Nationalversammlung die Zustimmung zu einem solchen Frieden und die Regierung die Unterzeichnung desselben ablehnen müssen und die Entscheidung in die Hände des Volkes legen. Ein Referendum des deutschen Volkes muss dann die Entscheidung herbeiführen. Wie sie ausfallen würde, daran ist kein Zweifel. Das deutsche Volk hat schwere Opfer gebracht, aber es verliert seine nationale Ehre nicht. Das deutsche Volk appelliert an das Gewissen der Alliierten. Wilson hat am 8. Januar 1918 erklärt, man wünsche nicht, Deutschland Unrecht zu tun, er wünsche ihm nur einen gleichberechtigten Platz unter den Völkern der Welt, nicht einen Herrscherplatz. Dasselbe fordert einmütig das ganze deutsche Volk. Es will keinen Herrscherplatz, aber Recht und Gleichberechtigung.»

Von einem amerikanischen Journalisten erfahre ich, Ebert habe sich ihm gegenüber durchaus im Sinne obiger Ausführungen Erzbergers geäussert. Die Regierung wird sicher Bedenken tragen, den Frieden so leichten Herzens zu unterschreiben, wie der Rat der Volksbeauftragten unter Führung Haases die Waffenstillstandsbedingungen angenommen hat. Man steht eben jetzt hier auf dem Standpunkt, die Entente habe Deutschland so heruntergewirtschaftet, dass es auch bei längerer Dauer der furchtbaren Lage nicht mehr viel verlieren, wohl aber einiges gewinnen könne. Man rechnet mit der Zeit als willkommenem Kampfgenossen und weiss, dass mit jedem Tag, der nicht den Frieden bringt, auch bei den Feinden die Folgen des langen Krieges in sozialen Unruhen sich fühlbarer machen.

Freiherr von Richthofen sagt zu diesem Thema:

Den deutschen Vertretern ist bei der Besprechung mit der Entente eine ganz bestimmte Grenze gezogen. Innerhalb der grundlegenden Punkte des Präsidenten der Vereinigten Staaten können sie die Verhandlungen führen. Stehen aber die Forderungen der Entente mit den von ihnen selbst beim Waffenstillstand übernommenen Verpflichtungen im Widerspruch, so wird sich die Regierung zur Fortsetzung der Verhandlungen für nicht kompetent erklären müssen. Sie wird hiervon der Nationalversammlung Mitteilung zu machen haben, und die Nationalversammlung kann entweder den von der Entente vorgeschriebenen Frieden als unannehmbar bezeichnen oder ihn einer Volksabstimmung unterbreiten. Das Volk selbst muss dann entscheiden, welches das schwere Schicksal sein soll, das es sich wählt, und Richthofen fügt bei, dass es vielleicht gut wäre, wenn die Ententestaaten über diesen Sachverhalt nicht im Unklaren gelassen würden.

Das Lebensmittelabkommen, das neben der Herausgabe der rollenden auch noch die schwimmenden Transportmittel Deutschlands in sich schliesst, wird hier mit der grössten zurückhaltenden Nüchternheit begrüsst. Im neuen Vertrag sieht man eine neue Demütigung Deutschland s, und der «Vorwärts» schreibt: Uns bleibt jedoch nichts weiter übrig, als zu schweigen, und auf die Bedingungen, die man uns stellt, mit dem faustischen Wort zu antworten: «Du hast recht, vorzüglich weil ich muss».

Bei Anlass der Kündigung des Handelsvertrages habe ich mit Unterstaatssekretär Toepffer diese Frage gesprächsweise berührt. Auch er ist der Meinung, dass die Zuwendungen der Entente eben einen Überschuss darstellen sollten. Die 30000 Tonnen Getreide, die die Entente zusichert, werden gerade genügen, damit man die gegenwärtige Brotkarte nicht zu schmälern braucht. Aus den eigenen Beständen kann Deutschlands Bevölkerung nur bis Ende Mai ernährt werden. Von den 70000 Tonnen Schmalz und Speck, die die Entente versprochen, werden pro Kopf 3 Pfunde ausgegeben werden können.

Das Lebensmittelabkommen stellt Deutschland vor das Problem zu steigender industrieller Produktion, da die Entente als Gegenleistung nicht das entwertete Papiergeld, sondern Industrieprodukte verlangt. Es heisst also: Kohle ist Brot, Kali ist Milch, Maschinen sind Butter usw.

Das Kesseltreiben gegen den Grafen Brockdorff-Rantzauwird hinter den Kulissen eifrig weitergeführt, ohne dass seine Stellung aber bis heute in irgendeiner greifbaren Form ernstlich ins Wanken gekommen wäre. Das Reichskabinett soll sich jetzt mit den Verhandlungen befassen, die der Minister des Äussern in der Berlin er Streikwoche aus eigenem Antrieb mit den Führern der Unabhängigen, Haase und Breitscheid, geführt hat, um sie zum Eintritt in die Reichsregierung zu veranlassen und damit eine Umbildung des Kabinetts zu bewirken. Der Vorwurf, er kokettiere zuviel mit den Unabhängigen, wird von seinen Anhängern dadurch entkräftet, dass sie sagen, der Minister des Auswärtigen habe die Pflicht, seiner Politik eine möglichst einmütige Unterstützung zu sichern und ferner wisse er eben, dass einige der Unabhängigen im Ausland einen Namen und einen Einfluss besässen, der den Mehrheitssozialisten fehle.

Es ist zum mindesten verfrüht, heute von einer Kabinettskrise zu sprechen.

In allen Schichten der deutschen Bevölkerung und selbstverständlich in allen unseren Schweizerkolonien wird zur Zeit die Frage der Möglichkeit eines deutschen Staatsbankrotts lebhaft erörtert.

Der Reichsfinanzminister Dr. Schiffer hat vor der Nationalversammlung in Weimar erklärt, dass das Deutsche Reich eine Schuldenlast von rund 170 Milliarden habe. Bedeutet das einen status cridael Der Reichsfinanzminister hat den Gedanken, Deutschland solle seinen Bankrott verkünden, voller Entrüstung zurückgewiesen ohne freilich zu sagen, auf welchem Wege er das Reich aus seiner Finanznot herauszuführen gedenkt.

Der Präsident der A.E.G., Walther Rathenau, meint, ein zivilisierter Staat habe keinen Anlass, das brutale, veraltete, ungerecht und einseitig wirkende Mittel des Staatsbankrotts anzuwenden, das überdies seinen Kredit zerstöre. Von den Mitteln, die ihm zur Verfügung ständen, um den gleichen Zweck zu erreichen, habe man ja eine einschneidende Kapitalrentensteuer und die Valutenkonventierung.

Man wird es vermutlich erstmals mit einer radikalen Kriegsgewinn- und Vermögensabgabesteuer versuchen.

Gegen eine Vermögensabgabe, die einer Konfiskation gleichkommt, haben wir die Initiative ergriffen, um die anderen neutralen Staaten zu einem Kollektiv-Protest zu veranlassen. Mit Bestimmtheit ist bis heute aber nur auf ein Mitgehen mit Holland zu rechnen. Schweden und Spanien zögern noch, während Norwegen und Dänemark einen gleichgültigen Standpunkt einnehmen. Der dänische Gesandte erklärt das Zurückhalten seiner Regierung durch den Umstand, dass sie selbst sich vielleicht überlege, ob sie nicht eines Tages die gleiche Massnahme treffen werde; da wolle sie sich selbstverständlich ihre Chancen nicht durch einen vorausgegangenen Protest bei einer anderen Regierung verscherzen.

Der Handels- und Zollvertrag zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reiche vom 10. Dezember 1891/12. November 1904 ist vertragsgemäss unterm 17. März auf ein Jahr gekündigt worden, wobei es der Deutschen Regierung nahegelegt wurde, sie möchte sich mit einer Vorrückung des vertragsmässigen Ablauftermins und einer kurzfristigen automatischen Verlängerung einverstanden erklären. Bekanntlich sind die Handelsverträge der Schweiz mit Frankreich, Italien und Spanien übereinstimmend auf den 20. September 1919 gekündigt worden. Es ist Aussicht vorhanden, dass die Reichsregierung unserm Wunsche nachkommt.

Einer meiner Mitarbeiter hatte dieser Tage eine Unterredung mit dem Generaldirektor der Deutschen Bank, Herrn von Gwinner. Herr von Gwinner glaubt, dass Deutschland einen anderen Frieden als denjenigen, der auf Grund der 14 Punkte Wilsons aufgebaut ist, nicht akzeptiere. Er betrachtet die allgemeine Lage Deutschlands als gebessert und meint, dass ein sofortiger Friede vor der Hand für Deutschland das wichtigste sei. Von einer Abtretung der alten rein deutschen Stadt Danzig, in welcher nur 3% Polen wohnen, könne keine Rede sein. Herr von Gwinner ist auch der Ansicht, dass, falls der Friede nicht zustandekommt, Deutschland in die Arme Russlands getrieben werde. Er glaubt an keine revolutionäre Reaktion von rechts in Russland, meint aber, dass mit der Zeit die Menschewiki und Kadetten in Russland wieder an die Regierung kommen werden. Nach einem allfälligen Frieden hält Herr von Gwinner ein rasches Erstarken Deutschlands für wahrscheinlich.

M. Conger aus Washington, Chef-Vertreter der Associated Press, welcher heute in einer Einreiseangelegenheit auf der Gesandtschaft vorsprach, hält die in holländischen Zeitungen veröffentlichten Meldungen betreffend die Abtretung von deutschem Boden für sehr übertrieben. Er äusserte sich diesbezüglich folgendermassen: «Als ich das letzte Mal in Paris mit Wilson sprach, wollte Wilson von einer Abtretung des Saar gebietes an Frankreich nichts wissen. Ebenso dürfte von einer Abtretung Danzigs an die Polen keine Rede sein, sondern man wird wahrscheinlich Polen dadurch eine Verbindung mit dem Meere verschaffen, dass man die Weichsel internationalisiert. Ich weiss bestimmt, dass Wilson seine Ansicht inzwischen nicht geändert hat. Die Bedrohungen Europas durch den russischen Bolschewismus halte ich für sehr ernst und ich verstehe nicht, dass man Deutschland nur eine Wehrmacht von 100000 Mann lassen will, welche Heeresstärke nicht einmal eine Garantie für die innere Sicherheit darstellt, geschweige denn gegen ein allfälliges Vordringen bolschewistischer Heere nach dem Westen in Betracht fallen dürfte.»

Legationsrat Post der hiesigen Gesandtschaft Deutsch-Österreichs äusserte sich einem meiner Mitarbeiter gegenüber dahin, dass Deutsch-Österreichin eine Abtretung Südtirols, welches eine fast ausschliesslich deutsche Bevölkerung habe, unter keinen Umständen einwillige. Deutsch-Österreich sei für spartakistische Unternehmungen infolge des Charakters seiner Bevölkerung ungeeignet. Dies gehe auch schon aus der Zusammensetzung der jetzigen Regierung Deutsch-Österreichs hervor, welche man eine bürgerliche nennen könne (christl. Volkspartei, Demokraten und Mehrheitssozialisten). Über die Stärkeverhältnisse der neuen Staaten befragt, sagte er, dass Deutsch-Österreich etwa acht Millionen, Deutsch-Böhmen etwa zwei und die Tschecho-Slowakei etwa elf Millionen Einwohner zähle.

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Rapport politique: E 2300 Berlin, Archiv-Nr. 20/1. Ce rapport est signé par K. Egger.