dodis.ch/44261
Le Chef du Département de l’Economie publique, E. Schulthess, à la Commission du Conseil national et du Conseil des Etats pour la Préparation de la Question de l’Entrée de la Suisse dans la Société des Nations
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Orientierendes Votum von Herrn Bundesrat Schulthess über die wirtschaftliche Seite der Frage.

Herr Bundesrat Schulthess betont, dass manche Einwendungen gegen den Völkerbund erhoben werden, die nicht zur Befriedigung widerlegt werden können. Er weist hin auf die äusserst schwierige Situation betreffend die Kohlenversorgung. Sowohl der bevorstehende Winter als wohl auch noch der darauffolgende werden in der Kohlenversorgung unangenehme Überraschungen bringen, die nur so gehoben werden können, dass die Mächte, auf die es ankommt, uns entgegenkommen. Wenn wir in den Völkerbund eintreten, werden wir in ein vertragliches Verhältnis zu allen übrigen Staaten der Welt treten, was unsere Beziehungen zu ihnen günstig beeinflussen muss. Der Völkerbund bringt in wirtschaftlicher Hinsicht eine Organisation, in der die Bestrebung zum Ausbau und zur Entwicklung eines internationalen Arbeitsrechts im weitesten Sinne verfolgt werden soll. Und wenn auch ein positives Resultat damit vorderhand noch keineswegs erreicht ist, so sollen doch verschiedene Fragen, wie z.B. die 48 Stunden Woche von der am 29. Oktober in Washington zusammentretenden Arbeiterschutzkonferenz einer Lösung nähergebracht werden. Es ist zu hoffen, dass das Prinzip der 48 Stunden Woche auf einer internationalen Basis tatsächlich der Lösung näher gebracht werden wird, während anderseits allerdings nicht recht einzusehen ist, was auf dem Gebiet der Arbeitslosigkeit erreicht werden kann. Auch ist in keinem Fall zu erwarten, dass die Ergebnisse über das hinausgehen werden, was die Schweiz bereits geschaffen hat oder zu schaffen im Begriffe steht. Dagegen steht das eine jedenfalls fest, dass wir, wenn wir dem Völkerbund nicht beitreten, von jeder positiven Mitarbeit ausgeschlossen sein werden, und es wäre sicherlich ein merkwürdiges Gefühl, wenn die ändern Staaten zur Behandlung dieser Fragen zusammentreten würden, ohne dass wir Gelegenheit hätten, an den Verhandlungen teilzunehmen. Es müsste das die moralische Stellung der Schweiz sowohl nach aussen gegenüber der Welt als auch im Innern gegenüber denjenigen Klassen, die in erster Linie daran interessiert sind, notwendig in empfindlicher Weise schwächen.

Im übrigen muss gesagt werden, dass die wirtschaftlichen Vorschriften des Völkerbundes sehr mager sind. Etwas Positives bietet nur der Artikel 23 und namentlich lit. e, der Bestimmungen vorsieht für die Sicherstellung einer gerechten Behandlung des Handels aller Mitglieder des Völkerbundes. Es ist zu hoffen, dass wir im Falle unseres Beitrittes Unterstützung finden werden in unsern Bemühungen für die Freiheit unserer Verbindungswege und unseres Handels. Gewiss, unser Wegbleiben würde nicht die Folge haben, dass wir nun ohne weiteres abgeschnitten würden, aber wir hätten sicher einen viel schwächeren Standpunkt, wenn wir uns auf unser Recht berufen wollten. Die Wirkung unseres Eintritts wäre also auch hier mehr negativ [!]. Der Beitritt bietet uns keine wirkliche Garantie, aber es werden diese Rechte eben als etwas angesehen, das dem Völkerbund sozusagen inhärierend ist, und wo die, die ihm nicht angehören, eben kein Recht haben zu verlangen und Forderungen zu stellen.

Was nun unsern Handel anbetrifft, so kann die Art und Weise wie die Schweiz heute mancherorts behandelt wird, nicht als eine billige empfunden werden. Ich verweise z.B. auf unsern Uhrenexport nach Frankreich. In Frankreich hat eine ausgesprochen protektionistisch-nationalistische Strömung Platz gegriffen, die für unsern Absatz direkt verhängnisvoll werden kann. Man beruft sich dabei allerdings auf die besonderen Bedürfnisse der verwüsteten Gebiete. Wenn man aber die Schwierigkeiten in Betracht zieht, die unserer Maschinenindustrie gemacht werden, so kann man doch nicht sagen, dass das für die verwüsteten Gebiete irgendwie fördernd wäre. Wenn wir beitreten, so bietet uns, wie gesagt, in allen diesen Fragen auch der Artikel 23 lit. e nichts Positives – er ist nur eine Art Programmpunkt –, aber wir können uns doch darauf berufen und eventuell auch andere Regierungen und Länder anrufen. Stehen wir dagegen beiseite, so wird man sagen, ihr habt eine Gelegenheit, euch eine billige Behandlung zu sichern, von der Hand gewiesen, und wir haben weder eine rechtliche, noch auch nur eine moralische Verpflichtung, euch weiter entgegenzukommen als es uns eben passt. Wir würden also jedenfalls eine schlechte Disposition schaffen und allen Strömungen protektionistischer Natur eine Waffe in die Hand drücken. So fürchte ich auch hier wiederum mehr die bösen Folgen des Nichteintretens als dass ich mir grosse Illusionen mache über die Rechte und Vorteile, die uns der Eintritt bringen wird.

Wenn ich noch mit einem Wort von der Bedeutung des Artikels 16 sprechen soll, so ist zu sagen, dass durch den Völkerbund eben ein Band der Treue, ein Gesellschaftsband geschaffen wird, dem wir uns nicht entziehen können. Sowohl unsere Neutralität als die Neutralitätspolitik wird notwendig davon berührt. Wir stehen den Dingen nicht mehr rein unparteiisch gegenüber, sondern haben grossen Staaten und grössern Völkern die Hand gereicht. Das muss sich fühlbar machen in unserm Verhältnis zu den massgebenden Staaten, und schon in Friedenszeiten wird unsere Neutralitätspolitik einigermassen davon beeinflusst werden. Wir stehen den Völkerbundstaaten näher als den Staaten, die dem Bund nicht angehören. So erleidet unsere internationale Stellung notwendig eine gewisse Änderung und das macht sich geltend, wenn es zu Exekutionskriegen im Sinne des Völkerbundes kommt. Setzen wir voraus, wir hätten die Pflichten nach Artikel 16 zu übernehmen, so würde uns das zwar nicht verpflichten, den Durchzug von Truppen zu gestatten, aber wir müssten im übrigen die wirtschaftlichen Konsequenzen ziehen und die wären viel weitergehend als alle Massnahmen, die uns bis jetzt je zugemutet worden sind. Es bedeutete den Abbruch der wirtschaftlichen Beziehungen, das Verbot der Auszahlung von Geldern etc. und daraus könnte von dem betroffenen Staat leicht ein casus belli gemacht werden. Es könnte infolge von Repressalien und Gegenrepressalien allerlei schlimme Folgen haben. Andererseits ist denkbar, dass der betreffende Staat selber ein starkes Interesse hätte, keine Konsequenzen zu ziehen. Artikel 16 schafft also eine Situation, die der unter der Herrschaft der alten Neutralitätspolitik durchaus nicht gleicht. Aber wie, wenn Amerika, England und Frankreich als Bedingung der Weiterversorgung Gegenleistungen verlangen? Kann man sich vorstellen, dass sie einen Staat, der nicht beigetreten ist, versorgen und ihm gleichzeitig gegenüber den ändern freie Hand lassen. Wir können nicht erwarten, im Falle unseres Nichtbeitrittes, besser behandelt zu werden. Im Gegenteil. Sie werden eben sagen, die Schweiz will auf eigenen Füssen stehen, nun wohl, sie tue es und versuche es. Wir können vernünftigerweise auch nicht sagen, wir treten nicht bei, weil wir ihnen nicht vertrauen und gleichzeitig an das Vertrauen uns festklammern, dass sie uns recht behandeln. Es wäre ja allerdings denkbar, dass wir erst nachträglich dem Bund beitreten; aber dann könnte unsere Stellung weder eine würdige noch eine vorteilhafte sein.

Was wollen unsere Militärs tun, wenn wir keine Lebensmittel und Rohstoffe etc. haben? Ihre ganze Begründung krankt an der Verkennung der wirklich eintretenden Lage. Sie und auch das Volk selbst machen den Fehler zu glauben, dass wir wählen können zwischen einem Völkerbund, wie er präsentiert wird, und dem Zustand wie er bis jetzt war. Eine andere Weltordnung besteht, und eine andere Politik soll nun eingeleitet und durchgeführt werden. Die Völkerbundsmächte werden nicht unsere Wege gehen und nicht von ihrem Programm abgehen. Der Völkerbund kommt, er ist da, und es handelt sich einfach darum, ob wir uns der neuen Situation anpassen wollen oder nicht. Die Schweiz wird eben in einer neuen Lage auch mit einer neuen Politik operieren müssen und nicht mit einer alten Politik in einer neuen Lage operieren können. Die Erhaltung unserer Unabhängigkeit, unserer Einigkeit und staatlichen Struktur muss unser Ziel sein, und wir müssen darum unsere Politik den neuen Verhältnissen anpassen. Ich bin schwer zum Entschlüsse gekommen. Ich kann es den Gegnern durchaus nachfühlen. Wir müssen uns vor Selbstübersetzung [!] hüten, die Welt wird sich nicht nach uns richten. Es ist ein Gebot der Klugheit und Vernunft, sich anzupassen und nicht gegen den Strom schwimmen zu wollen. Wir bedürfen der Rohstoffe und eines gesicherten Absatzes und brauchen, wenn wir mit den ändern marschieren wollen, Sympathie und Vertrauen.

Man mag ja vielleicht wünschen, dass der Völkerbund, wie er geplant ist, nicht zu Stande komme. Aber es ist nicht an uns, ihn zu verhindern. Wir können, was bis jetzt geworden ist, nicht ungeschehen machen. Er wird eben mit uns oder ohne uns zustande kommen. Man prophezeit ihm eine schlimme Jugend und eventuell ein böses Alter. Dann aber ist es kein grösserer Nachteil, ihm angehört zu haben als ihm fern geblieben zu sein. Es werden Revisionen angeregt werden, die ganze Idee wird in fortwährendem Fluss und stetiger Entwicklung sich befinden. Professor Rappard hat berichtet, dass es vorgesehen sei, dass Österreich mit Abschluss des Friedens, und eventuell in kurzer Zeit auch Deutschland, in den Bund aufgenommen werde! Politisch wie ökonomisch bedeutet es weder für Österreich noch Deutschland einen Nachteil, wenn wir eintreten! Andererseits kann ich immer noch nicht einsehen, wie die Schweiz sich den unangenehmen Überraschungen soll entziehen können, wenn sie nicht eintritt. Wir müssen uns anpassen und mitmachen. Gerade die Rücksicht auf die Industrie und die Arbeiterschaft bewegt mich, mit schwerem Herzen diesen Entschluss zu fassen und energisch zu vertreten. Ich glaube nicht, dass den wirklichen Interessen der Arbeiterschaft gedient würde, wenn wir wegbleiben wollten. Und die Auffassung, dass eine Verwerfung unsererseits für die Urheber des Völkerbunds, so wie er vorliegt, eine Ohrfeige bedeuten und zu einer ändern Ordnung der Dinge führen würde, ist sicherlich eine Illusion.

Endlich müssen wir auch unserer internen Situation Rechnung tragen. Ein grosser Teil der Schweiz, speziell die welschen Kantone werden geschlossen für den Eintritt einstehen, und man würde es dort nicht verstehen, wenn wir uns fernhalten würden. Unsere moralische und wirtschaftliche Einheit könnte direkt gefährdet werden. Auch aus innerpolitischen Gründen muss ich darum unsern Beitritt wünschen und angelegentlich empfehlen. Der Kampf wird ein schwerer sein, aber es wird doch noch mancher dazu kommen, aus vollster Überzeugung zu sagen, es muss eben sein. Es ist die wirtschaftliche Notwendigkeit, die sich zur politischen gesellt. Es muss sein, und das Schweizervolk würde einen grossen Fehler begehen, wenn es den Beitritt ablehnen würde. Im Interesse der äussern und der innern Politik und des innern Friedens muss ich den Eintritt befürworten.

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(Copie): E 2001 (B) 8/3. Discours.