dodis.ch/44742
CONSEIL FÉDÉRAL
Proposition du Chef du Département politique, G. Motta
1

Nichtanerkennung der georgischen Regierung in Paris

Am 15. Oktober 1918 hatte sich der Bundesrat bereit erklärt, in der Person des Prinzen Soumbatoff einen de facto-Vertreter der menschevistischen Regierung Georgiens zu empfangen, um mit ihm über die Fragen der Anerkennung der Unabhängigkeit dieses kaukasischen Randstaates, der Ordnung der wirtschaftlichen Beziehungen und des Schutzes der schweizerischen Interessen zu behandeln.2 Prinz Soumbatoff weilte in Bern bis zum 10. November 1920 und verreiste, ohne dass es uns gelungen wäre, die Rückerstattung des durch Georgien auf Grund seines Agrargesetzes kurzerhand nationalisierten bedeutenden Grundbesitzes zahlreicher schweizerischer Bauern auch nur teilweise zu erwirken. Auch Besprechungen mit dem georgischen Aussenminister Guéguétchkori anlässlich der Völkerbundsversammlung in Genf und eine Kollektivintervention des Konsularkorps in Tiflis blieben vollkommen ergebnislos.

Georgien hatte um seine Aufnahme in den Völkerbund nachgesucht; es gelang ihm aber nicht, die Aufnahme als vollberechtigtes Mitglied, sondern lediglich am 16. Dezember 1920 seine Zulassung zu den technischen Organisationen des Bundes zu erlangen.

Für seine Aufnahme als vollberechtigtes Mitglied haben in der Völkerbundsversammlung 10 Staaten gestimmt, nämlich: Schweiz, Südafrika, Bolivien, Chile, Columbien, Italien, Norwegen, Paraguay, Persien, und Portugal; dagegen, jedoch im Sinne obiger Vergünstigung, stimmten 14 Staaten; darunter haben namentlich England und Frankreich energisch gegen eine vollgültige Aufnahme Georgiens Stellung genommen.

Am 28. Dezember 1920 erbat Georgien durch sein Ministerium des Äussern in Paris die de jure-Anerkennung durch die Schweiz. Das Politische Departement3 zog daraufhin die üblichen Aufschlüsse bei verschiedenen Mächten ein.

Am 4./7. Februar 1921 notifizierte uns das Ministerium die inzwischen am 26. Januar erfolgte de jure-Anerkennung der Republik durch den Obersten Rat und teilte die darauf bezügliche in Kopie beiliegende Note Briands mit.4 Wir luden darauf Herrn Guéguétchkori ein, uns eine vollständige Liste der eingelaufenen Anerkennungserklärungen mitzuteilen. Anstatt der Liste trafen am 14. Juni der Unterstaatssekretär Sabastarichi und ein ehemaliger Mitarbeiter der Mission Soumbatoff, Herr Chivichily, ein, um die Anerkennung Georgiens zu betreiben. Wir mussten uns darauf beschränken, die Herren darauf aufmerksam zu machen, dass der inzwischen erfolgte Zusammenbruch Georgiens, (auf welchen wir unten zurückkommen), die Lösung dieser Frage für uns erschwere; immerhin luden wir sie ein, die noch ausstehende Liste einzusenden. Mit beiliegender Note vom 25. Juni,5 deren Text und Beilagen einige unrichtige Daten enthalten, gab die Regierung die erwünschten Aufschlüsse und insistierte auf ihrem Begehren um Anerkennung.

Tatsächlich haben folgende Staaten Georgiende jure anerkannt:

[...]6

Schon während die letzten Anerkennungserklärungen einliefen, war eine russisch-armenische Offensive im Gange, welche in raschem Siegeslaufe ganz Georgien eroberte. Am 26./27. Februar zogen die Bolschewisten in der Hauptstadt Tiflis ein und die menschewistische Regierung floh nach Paris, wo, wie bereits bemerkt, schon seit einiger Zeit ihr Ministerium des Äussern seinen Sitz hat.

Nach diesem Zusammenbruche, welcher die Regierung jeder tatsächlichen Gewalt über georgisches Gebiet beraubt, erfolgten am 9. und 28. März nur noch die Anerkennungen durch die Negerrepubliken Haiti und Liberia und am 12. Mai durch die bis jetzt selbst durch keine Macht anerkannte Regierung des General Obregons von Mexiko.

Die heutige tatsächliche Regierung in Georgien wurde durch die russisch-bolschewistische Armee errichtet, scheint sich aber in den letzten Monaten aus eigener Initiative den Landesverhältnissen besser angepasst zu haben. Nach übereinstimmenden Berichten folgt sie in der Tat keineswegs vorbehaltlos den Grundsätzen und Weisungen der Moskauerregierung, sondern verhält sich europäischem Besitz gegenüber entgegenkommender als die ehemalige menschewistische Regierung. Zuverlässige Schweizer, welche neulich aus Georgien zurückkehrten, bestätigen diese Tatsache und rühmen geradezu die ihnen jetzt dort zu Teil werdende Behandlung. Die neue Regierung hat z. B. einzelnen Landsleuten bereits einen allerdings kleinen Teil ihres durch die menschewistische Regierung konfiszierten Grundbesitzes und Viehstandes zurückgegeben. Auch die Handelsleute werden gut behandelt. Von Moskau aus sind die transkaukasischen Sovietregierungen neulich durch Rundschreiben Lenins ermächtigt worden, sich für ihr Gebiet nicht vollkommen an die in Sovietrussland geltenden Grundsätze zu halten, sondern sich weitmöglichst den lokalen Verhältnissen und den Bedürfnissen und Gebräuchen der Bevölkerung anzupassen. Die Schweiz hat deshalb keinen Anlass, sich zur Zeit mit der macht- und gebietslosen sogenannten georgischen Regierung in Paris, welche kein Entgegenkommen für unsere berechtigten Forderungen zeigte, einzulassen und sollte sich unseres Erachtens vollkommen freie Hand behalten.

Am 10. Juni 1921 haben die in Paris weilenden Präsidenten der Delegation Armeniens, Azerbeidjans, Nordkaukasus und der Gesandte Georgiens in Frankreich ein «Defensivbündnis» mit «Wirtschafts- und Zollunion» unterzeichnet. Da diese Herren aber keinerlei Gewalt über die Länder ausüben, welche sie vertreten wollen, kommt dieser Allianz höchstens der Charakter eines Programmes der derzeitigen Politik der Unterzeichner zu und hat, solange die gegenwärtigen Verhältnisse andauern, nur platonische Bedeutung.

Im Übrigen hat sich die Schweiz bisher stets zum Grundsätze gemacht, keine Regierung anzuerkennen, welche über ihr Land keine tatsächliche Gewalt ausübt. Es ist auch mehr als wahrscheinlich, dass die Grossmächte, wenn sie die de jure-Anerkennung Georgiens nicht schon vor dem Zusammenbruche vom Februar 1921 vollzogen hätten, diese unter heutigen Verhältnissen nicht aussprechen würden. Die neutralen Mächte bleiben gegenüber Georgien in kluger Zurückhaltung, um ihre Entschlüsse bis zur Abklärung der Verhältnisse in Transkaukasien nach keiner Seite zu präjudizieren.7

1
(Copie): E 2001 (B)3/19.
2
Cf. DDS 6, no 458.
3
Cf. no 15.
4
Non reproduite.
5
Non reproduite.
6
Für die Tabelle vgl. dodis.ch/44742. Pour le tableau, cf. dodis.ch/44742. For the table, cf. dodis.ch/44742. Per la tabella, cf. dodis.ch/44742.
7
Dans sa séance du 12 juillet 1921, le Conseil fédéral décidait: Auf Grund eines einlässlichen Berichtes des politischen Departements und in Zustimmung zu seinem Antrag wird beschlossen: 1. Auf die Noten vom 28. Dezember 1920, 7. Februar und 25. Juni 1921, durch welche die georgische Regierung in Paris die Schweiz um de jure-Anerkennung der Republik ersucht, ist aus prinzipiellen Gründen nicht einzutreten; der Bundesrat behält sich gegenüber der Frage der spätern Anerkennung einer Regierung, welche über Georgien tatsächliche Gewalt ausübt, vollkommen freie Hand vor. 2. Der georgische Vertreter in Paris ist durch die Vermittlung der schweizerischen Gesandtschaft in Paris hiervon zu verständigen. 3. Das politische Departement wird ermächtigt, wie bisher, jedoch ohne irgend welches Präjudiz für die Frage der Anerkennung Georgiens durch die Schweiz, mit dessen Regierung in Paris oder einer Regierung, welche die tatsächliche Gewalt in Georgien ausübt, für die Wahrung schweizeischer Interessen oder in Sachen internationaler Unionen, soweit nötig, zu verkehren (E 1004 1/280 no2063).