dodis.ch/44885
Le Chef de l’Office central de la Police des Etrangers H. Rothmund, au Chef du Département de Justice et Police, H. H aber lin1

NOTIZEN ÜBER DIE EINREISE VON RUSSEN

Ich hatte heute eine längere telephonische Besprechung mit Frau Dr. Bagotzky vom russischen roten Kreuz, die ich im folgenden kurz wiedergebe:

«Im Anschluss an den Fall Kotowwird angefragt, ob die Behandlung dieser Fälle wirklich so viel Zeit beanspruche. Es würden nun eine grössere Zahl kranker Russen beurlaubt zu Krankheitsaufenthalt in der Schweiz. Der russische Arbeiter, der bei der Arbeit krank geworden sei, habe nach russischem Gesetz das Recht auf Krankheitsurlaub auf Kosten des russischen Staates. – Frau Bagotzky ist Ärztin. Sie sagte, man habe eben in Russland noch die durchaus falsche Auffassung, die Lungenkranken könnten nur in der Schweiz geheilt werden, während ja in Russland selbst (Kaukasus) und dann auch in Deutschland Sanatorien seien mit denselben Erfolgen. Die Schweiz habe aber ein Interesse daran, solche Kurgäste zu beherbergen. – Ich antwortete, unsere Sanatorien hätten gewiss ein finanzielles Interesse an gut zahlenden Gästen, doch sei für uns das allein nicht massgebend. Über Angehörige von Staaten, mit denen wir nicht im Verkehr stehen, müssten besondere Erkundigungen eingezogen werden, bevor das Visum erteilt werde. Das Visum könne an Russen nur erteilt werden, wenn durch einen Vertrauensarzt der schweizerischen Gesandtschaft in Berlin festgestellt sei, dass nur ein Aufenthalt in der Schweiz Heilung bringen könne. – Als Frau Bagotzky merkte, dass der Einwand, die Schweiz habe ein Interesse an diesen Einreisen, nicht Erfolg hat, sagte sie, in den deutschen und russischen Sanatorien sei die Verpflegung nicht genügend (Mangel an Milch). Es handelt sich also für Russland einfach darum, möglichst viele Sovietrussen nach der Schweiz zu bringen. – Frau Bagotzky wollte namentlich, dass das Einreiseverfahren in Berlin rascher gehe als im Falle Kotow. Ich machte ihr keine Zusicherungen, sondern erklärte ihr gegenteils, es müssten eben stets noch Erkundigungen eingezogen werden; es würde deshalb immer eine gewisse Zeit dauern bis das Visum erteilt werden könne. Auf die deutlich gestellte Frage, man wolle also die Einreise überhaupt verweigern, antwortete ich unter Hinweis auf die bereits bewilligten Gesuche ausweichend. Frau B. ersuchte um schriftliche Bestätigung meiner Mitteilungen, was ich verweigerte mit der Begründung, die zuständige Stelle für uns für Visaangelegenheiten sei die Gesandtschaft in Berlin und nicht das russische rote Kreuz in Bern. Sie erklärte sich legitimiert gerade als rotes Kreuz, da es sich um Kranke handelt. (Ich bin der Ansicht, dass gerade mit diesem Vorgehen B. versucht, langsam de facto anerkannt zu werden als russischer Vertreter.) – Ich sicherte am Schlüsse zu, dass ich die Frage nochmals prüfen werde.»

Unsere Stellungnahme ist schwierig, solange wir nicht wissen, welcher Ansicht das politische Departement ist gegenüber den Russen. Wohl sagt mir Dr. Ratzenberger, er betrachte meine Stellungnahme als richtig, doch ist er nicht orientiert über die Ansicht der Herren Dinichert und Motta. Vermutlich stellt sich das politische Departement auf den Standpunkt, es sei eine Politik des Zuwartens zu befolgen, da sich Herr Motta jüngst geäussert hat, man werde wohl in absehbarer Zeit so oder so mit den Russen in Beziehungen kommen. In diesem Falle wäre ein schroffes Auftreten B. gegenüber vielleicht unklug. – Da aber die russische Regierung mit allen Mitteln in Beziehungen kommen will mit der Schweiz (die sich häufenden Gesuche von Handelsdelegierten für die Einreise zur Anbahnung privater geschäftlicher Beziehungen und die heutigen Gesuche des Dr. B. zur Einreise von Kranken lassen darauf schliessen2) so werden wir vielleicht bald zu einer Entschliessung gedrängt.

Ich frage mich deshalb, ob es nicht an der Zeit wäre, dem Bundesrat die Angelegenheit vorzulegen, da er heute noch frei entschliessen kann, währenddem er sonst bald vor ein fait accompli gestellt werden und dann eben nicht mehr anders als ja sagen könnte.

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E 4001 (A) 1/30.
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Sur cette question, voir annexe.