dodis.ch/44914
CONSEIL FÉDÉRAL
Procès-verbal de la séance du 11 mai 19231

1073. Attentat gegen die Russen Worowsky, Ahrens und Dobrikowsky2

Mündlich

Gestern abend, 9.20 Uhr, hat ein aus dem Kanton Graubünden stammender Schweizer Conradi, der früher in Russland niedergelassen war und dessen Vater und Onkel infolge ihrer Einkerkerung durch die Bolschewiki gestorben sind, im Hôtel Cécile in Lausanne, um seine Rache gegenüber den Bolschewiki zu stillen, ein Attentat auf den als Beobachter der zweiten Orientkonferenz in Lausanne weilenden Chef der russischen Handelsmission in Italien, Herrn Worowsky, und auf seine Sekretäre, die Herren Ahrens und Dobrikowsky3, verübt. Worowsky hat dabei den Tod gefunden, Dobrikowsky wurde schwer, Ahrens leichter verletzt. Der Attentäter wohnte in Zürich und war erst am Donnerstag selbst, zu seiner Tat entschlossen, nach Lausanne gekommen. Es besteht somit keinerlei Zusammenhang zwischen dem Täter und der «Ligue nationale» vaudoise.4 Die Tat ist dem Rachetrieb eines einzelnen entsprungen. Ihre Opfer weilten nicht in amtlicher, anerkannter Eigenschaft in Lausanne; das Generalsekretariat der Orientkonferenz hat seinerzeit auf die Anfrage hin erklärt, es sei Russland mitgeteilt worden, seine Vertreter werden zur Konferenz nur eingeladen, wenn sie von vornherein bereit seien, das Abkommen über die Meerengen wie es jetzt ist, vorbehaltlos zu unterzeichnen. Hierauf ging Russland nicht ein, und es wurden daher keine Vertreter Russlands zur Konferenz eingeladen.5 Worowsky und seine Sekretäre weilten somit als Privatleute in Lausanne. Die Tat fällt daher als gemeines Vergehen unter die Bestimmungen des waadtländischen Rechtes und ist von den waadtländischen Gerichten zu beurteilen. Sie ist als gemeiner Mord zu verurteilen. Die Witwe Worowsky wird aus Rom in Lausanne erwartet, eine Tochter Worowskys soll in einer Pension in Lausanne untergebracht sein. Der Vorsteher des politischen Departements stellt die Frage zur Erörterung, welche Massnahmen der Bundesrat in der Sache allfällig treffen soll. Der Präsident des Zentralausschusses der kommunistischen Partei hat ihm mitgeteilt, der Zentralausschuss habe sich um Weisungen an die Sovietgesandschaft in Berlin gewandt, er werde heute Herrn Dr. Wieser nach Lausanne entsenden und erwarte, dass ihm alle Erleichterungen zuteil werden, um die Interessen der Russen in Lausanne wahren zu können. Der Zentralausschuss hat auch sofort einen Protestaufruf an die Presse gelangen lassen und wird heute in Basel eine Protestdemonstration veranstalten. Voraussichtlich werden solche auch in ändern Städten der Schweiz veranstaltet werden. Wie die Polizeibehörde aus Lausanne meldet, befinden sich die Papiere der Sovietleute, die in Lausanne weilten, in den Händen des Journalisten Stürmer, der mit diesen Leuten in engster Verbindung stand.

In der Beratung ergibt sich Übereinstimmung darüber, dass das Attentat nicht als Staatsverbrechen, sondern als gemeines Verbrechen, begangen von einem Privatmann an ändern Privatpersonen, zu beurteilen ist. Deshalb kann keine Rede davon sein, den Herren Dr. Wieser als Vertreter der Russen zu behandeln. Auch darüber herrscht Einigkeit, dass vorläufig ein völliges Verbot von Protestkundgebungen gegen die ja wirklich verabscheuungswürdige Tat nicht in Aussicht zu nehmen sei. Dagegen wird betont, es werde gut sein, wenn der polizeiliche Schutz der Teilnehmer an der Orientkonferenz in Lausanne verschärft werde, um vor weitern unliebsamen Überraschungen ähnlicher Art möglichst gesichert zu sein. Überdies erachtet es der Rat als geboten, in einem Mitgeteilt an die Presse seiner Verurteilung der Tat öffentlich Ausdruck zu geben und der Witwe Worowsky sowie den ändern Opfern der Tat durch einen Beamten des politischen Departements die Teilnahme des Bundesrates aussprechen zu lassen.

Auf Grund der Beratung wird beschlossen:

1. Der Presse ist sofort folgende Mitteilung zu übermitteln:«Der Bundesrat hat mit Entrüstung die Nachricht vernommen von dem Attentat, das gestern in Lausanne gegen die Herren Worowsky, Ahrens und Dobrikowsky begangen worden ist. Er stellt fest, dass es sich um eine private Tat der Rache handelt, die um so bedauerlicher ist, als sie an dem Ort begangen wurde, wo eine internationale Konferenz tagt. Er verurteilt sie öffentlich als eine Verletzung der Moral und der Gesetze, die die demokratische Rechtsordnung schützen. Er hat beschlossen, nach Lausanne einen hohen Beamten des politischen Departements zu entsenden, um den Opfern des Attentates und ihren Angehörigen sein Beileid auszusprechen».

2. Das politische Departement wird beauftragt, einen Beamten nach Lausanne zu entsenden6, um der Witwe und der Tochter Worowsky, sowie den ändern Opfern der Untat das Beileid des Bundesrates auszusprechen.

3. Von einem Verbot der Protestkundgebungen ist vorläufig abzusehen.

4. Herrn Dr. Welti7 in Basel ist vom politischen Departement mitzuteilen, Herr Dr. Wieser könne, angesichts der Natur des vorliegenden Verbrechens, nicht als Vertreter Russlands in dieser Angelegenheit betrachtet werden.

5. Das politische Departement wird beauftragt, die waadtländische Regierung auf die Wünschbarkeit eines verschärften polizeilichen Schutzes für die Teilnehmer an der zweiten Orientkonferenz in Lausanne aufmerksam zu machen.

1
E 1004 1/287.
2
Le patronyme exact est Divilkowsky.
3
Le patronyme exact est Divilkowsky.
4
La Ligue Nationale vaudoise envoya une délégation auprès de Vorowsky. Celui-ci lui fit savoir qu’il était désirable de ne plus faire parler de lui. (Rapport de la police de sûreté de Lausanne du 8 mai 1923E 2001 (B) 4/21).
5
Cf. no 271, note 5.
6
Il s’agit de Maxime de Stoutz, Conseiller de Légation au Département politique, cf. no 275, note 3.
7
Président du Comité Central du Parti communiste suisse.