dodis.ch/45360 Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 13. Oktober 19271

1605. Internationale Konferenz über die Abschaffung der Ein- und Ausfuhrverbote und Beschränkungen

Am 17. Oktober 1927 tritt in Genf eine internationale Konferenz zusammen, die sich mit der Abschaffung der Verbote und Beschränkungen, die die Ein- und Ausfuhr von Waren betreffen, beschäftigen soll. Der Bundesrat hat bereits beschlossen, an der Konferenz teilzunehmen und als einzigen Delegierten der Schweiz Herrn Direktor W. Stucki bezeichnet.

Nachstehend wird über die Konferenz Bericht erstattet und Anträge für die Instruktionen an den Delegierten gestellt. Dabei verweist das Volkswirtschaftsdepartement, was die bisherigen Vorgänge betrifft, auf ein Exposé, das als Beilage 1 vorgelegt ist.Zur Vorlage selbst übergehend verweist das Volkswirtschaftsdepartement zunächst auf die vorgelegte gedruckte Beilage, die den Gegenstand der Beratungen bildet, und auf die derselben beigegebenen näheren Erklärungen2.

Der Zweck des angestrebten Staatsvertrages ist die Abschaffung der noch bestehenden Verbote und Einschränkungen, die sich auf den Warenverkehr beziehen, unter Vorbehalt bestimmter Ausnahmen. Die Schweiz hat in ihren neuesten Handelsverträgen Einfuhrverbote und Einfuhrbeschränkungen, wiederum unter Vorbehalt der bekannten Ausnahmen, die in Art. 4 der Vorlage behandelt sind, wegbedungen, und es bestehen bei uns eigenlich keine solchen Massnahmen mehr, wenn man die Regelung der Käseausfuhr als eine einem Monopol vergleichbare Massregel betrachtet. Das Departement hat auch keineswegs die Absicht, in Zukunft auf das System der Ein- und Ausfuhrbeschränkungen, die in einer gewissen Periode der Nachkriegszeit unumgänglich notwendig waren, zurückzugreifen, und keine wirtschaftliche Gruppe hat dies im Parlament oder in der öffentlichen Diskussion je verlangt.

Steht also die Schweiz grundsätzlich auf dem Boden der Freiheit des Warenverkehrs und hat sie diese in einer ganzen Reihe von Handelsverträgen ausdrücklich anerkannt und sanktioniert, so ist es offenbar wieder etwas anderes, eine Konvention über diesen Gegenstand zu schliessen, die unabhängig ist von ändern wirtschaftlichen Abmachungen, eine Konvention, in der nicht ein bestimmter Gegenkontrahent auftritt, die vielmehr eine unbekannte Gruppe von Staaten umfassen wird, und über deren Zahl das Departement kein Urteil haben kann. Die Freiheit des Warenverkehrs ist es bereit demjenigen zuzugestehen, der sie der Schweiz einräumt, der aber zugleich durch einen Handelsvertrag ihr weitere erträgliche Bedingungen bietet. Soll die Schweiz sich ganz unabhängig von allen ändern wirtschaftlichen Abmachungen verpflichten, von vorneherein auf Ein- und Ausfuhrverbote oder -beschränkungen zu verzichten, wenn ihr auf der ändern Seite nichts geboten wird als der gleiche Verzicht, der aber unter Umständen durch Zollmassregeln wieder illusorisch gemacht werden kann? Gegenüber diesen Erwägungen lässt sich ausführen, dass die Schweiz bereits, sogar tatsächlich, auf Massregeln dieser Art verzichtet hat und dass dieser Verzicht zufolge der Meistbegünstigungsklausel auch denjenigen Staaten zugute kommt, die mit ihr keine Tarifverträge abgeschlossen haben. So, kann gesagt werden, bringe die ganze Konvention für die Schweiz eigentlich nichts Neues und es dürfe ihr unbedenklich beigetreten werden.

Anderseits muss aber doch auch hervorgehoben werden, dass der Beitritt zu dieser Konvention uns wohl wenig greifbaren Vorteil bringen wird, wenn auch nicht zu leugnen ist, dass vielleicht einige der Staaten, die heute noch Verbote oder Beschränkungen des Warenverkehrs aufrechterhalten, beitreten, und somit auf ihre Massregeln verzichten werden.

Das Volkswirtschaftsdepartement glaubt, dass es im Hinblick auf die Beratungen der Wirtschaftskonferenz von Genf und mit Rücksicht auf gewisse Stimmungen im Lande selbst, namentlich aber in Beziehung auf die Auffassungen, die international in letzter Zeit die Oberhand gewonnen haben, nicht anginge, wenn die Schweiz den Beratungen der Konferenz von vorneherein fernbleiben oder sich ohne weiteres ablehnend verhalten würde. Von den wirtschaftlichen Verbänden spricht sich der Bauernverband eher, wenn auch nicht unbedingt, gegen den Beitritt aus. Der Vorort des schweizerischen Handels- und Industrievereins, der sich noch vor wenigen Jahren von einer solchen Konvention auch nichts versprach, scheint seine Ansicht geändert zu haben. Das Departement ist also der Meinung, die Schweiz solle sich an der Konferenz grundsätzlich bereit erklären, auf die Beratung des Entwurfes einzutreten, namentlich um so Missverständnisse zu vermeiden, die eine andere Haltung erwecken könnte. Indessen müssen gewisse Vorbehalte gemacht werden, die das Departement im folgenden noch besprechen wird und von deren Erfüllung die endgültige Stellungsnahme abhängen muss.Das Volkswirtschaftsdepartement durchgeht nun die wichtigsten Artikel des Vorentwurfes und kommt dann auf die Punkte zu sprechen, die die Schweiz speziell interessieren:

Art.l. Dieser Artikel enthält den Grundsatz der Abschaffung der Verbote und der Beschränkungen für die Einfuhr und Ausfuhr von Waren. Er könnte seines Erachtens etwas kürzer gefasst werden, ohne dass sein Wert darunter litte. Sachlich ist nichts weiter zu bemerken.

Art. 2 gibt zu einer Bemerkung Veranlassung, die ausführlicher bei Art. 4 behandelt wird. Art. 2 bestimmt, dass die Staaten, die in der Anwendung ihrer allgemeinen Gesetzgebung die Einfuhr oder Ausfuhr von Waren gewissen Regeln unterwerfen, die die Art und Weise, die Form, den Ort, die Einfuhr- und Ausfuhrstellen oder die Anbringung von Marken betreffen, sich verpflichten, aus diesen Vorbehalten nicht ein verkapptes Verbot oder eine willkürliche Einschränkung zu machen. Die Bestimmung mag eigentlich überflüssig erscheinen. Dagegen ist die Frage zu besprechen, wer darüber entscheidet, ob ein solches verkapptes Verbot oder eine willkürliche Einschränkung vorliegt. Und hier möchte das Departement schon, ähnlich wie bei Art. 4, betonen, dass die Staaten in der Bestimmung der Art und Weise der Einfuhr, der Form der Einfuhr und der Ein- und Ausfuhrstellen, sowie der Anbringung von Marken frei sein müssen und dass eine internationale Kontrolle hierüber nicht zugelassen werden könnte, schon deshalb, weil sie unendlichen Reibereien und Friktionen rufen müsste.

Zu Art.3 sei bemerkt, dass auch er für die Schweiz keine Bedeutung hat, da sie der Konvention über die Vereinfachung der Zollförmlichkeiten bereits beigetreten ist.

Art. 4, der die sogenannten klassischen Ausnahmen von der Freiheit des Warenverkehrs aufführt, kann inhaltlich in diesem Bericht seiner Länge halber nicht wiedergegeben werden. Er scheint auf den ersten Blick die notwendigen Vorbehalte erschöpfend wiederzugeben, mit ändern Worten, die Fälle, in denen Beschränkungen des Warenverkehrs zulässig sind, in vollständiger Weise aufzuzählen. Das Departement muss aber doch noch eine Ergänzung anbringen.

In der Schweiz bestehen Bundesgesetze über das Absinthverbot und über die Herstellung von Kunstwein und Kunstmost. Es wird angenommen, dass das Hand in Hand damit gehende Einfuhrverbot für diese Waren ohne weiteres unter Ziff. 7 von Art. 4 subsumiert werden könne, obwohl dort nur von Kontrollmassregeln gesprochen wird, die gleichwertig oder ähnlich seien, wie die, die auf entsprechenden Produkten im Innern des Landes angewendet werden. Es wäre also festzustellen, dass nationale Gesetze, die die Herstellung oder den Vertrieb einer Ware im Innern des Landes beschränken oder verbieten, ohne weiteres auch auf den Import an gewendet werden können.

Die wichtigste Bemerkung, zu der Art. 4 Anlass gibt, ist jedoch eine allgemeine und grundsätzliche. Die Ansichten über das, was beispielsweise im Interesse der Gesundheit von Menschen und Tieren, ferner zum Schutze von Pflanzen, sowie im Interesse der öffentlichen Moral, aber auch der nationalen Verteidigung und der öffentlichen Ruhe und Ordnung notwendig ist, gehen sicherlich in den verschiedenen Ländern auseinander. Es muss nun ein jeder Staat selbst darüber entscheiden, welche Massregeln er als notwendig oder wünschenswert betrachtet, und es kann keine Rede davon sein, dass irgend eine internationale Instanz berechtigt wäre, die auf Grund von Art. 4 national geschaffenen Ausnahmen auf ihre Begründetheit und Rechtfertigung nachzuprüfen. Wäre dies möglich, so würde die Souveränität des Staates eingeschränkt, umso mehr als auch Rückwirkungen auf die interne Gesetzgebung unausbleiblich wären. Daneben aber gäbe eine solche Nachprüfung Veranlassung zu ständigen Reibungen, zu Schiedsverfahren, ja sogar Prozessen vor dem internationalen Gerichtshof. Das Departement muss es absolut und kategorisch ablehnen, dass irgend eine internationale Instanz die von den schweizerischen Behörden, gestützt auf Art. 4, Ziff. 1-10 getroffenen Massregeln nachzuprüfen berechtigt wäre. Wenn dieser Vorbehalt nicht erfüllt würde, so ist die Konvention für die Schweiz unannehmbar.

Es ist nicht zu vergessen, dass sowohl in Beziehung auf Verfassungsbestimmungen und Gesetze wie im Hinblick auf deren Anwendung und Verfügungen in einzelnen Fällen Differenzen entstehen können, und es kann offenbar nicht die Rede davon sein, dass ein Staat auf seine eigenen Auffassungen verzichten müsste und in Beziehung auf die Mittel, die er zum Schutze der in Art. 4 erwähnten Interessen zu ergreifen für notwendig hält, beschränkt wird. [...]

Art.5. Hier wird bestimmt, dass jeder Staat hinsichtlich der Einfuhr und Ausfuhr alle Massregeln treffen könne, um ausserordentlichen und anormalen Verhältnissen zu begegnen und um die Lebensinteressen des Landes in wirtschaftlicher und finanzieller Beziehung zu wahren. Indessen sollen, fährt dann Absatz 2 fort, zufolge der schweren Inkonvenienzen, die durch Verbote und Beschränkungen herbeigeführt werden, solche Massregeln nur im Falle ausserordentlicher Notwendigkeit eintreten, und sie sollen kein Mittel bilden können, um die nationale Produktion zu schützen oder eine unterschiedliche Behandlung zum Schaden irgendeines ändern kontrahierenden Staates einzuführen.

Die Ansichten über diese Bestimmung gehen auseinander. Der Vorort des schweizer. Handels- und Industrievereins regt die Streichung der Bestimmung an, ebenso, merkwürdigerweise, die Direktion des Schweiz. Gewerbeverbandes. Auch abgesehen von diesen Vernehmlassungen geht der Artikel den einen zu weit, den ändern zu wenig weit. Tatsache ist, dass die Handelsverträge, die die Schweiz abgeschlossen hat, einen solchen Vorbehalt nicht enthalten, und das Departement hat sich daran, namentlich auch im Hinblick darauf, dass die Verträge kurzfristig abgeschlossen worden sind, nicht gestossen. Der Vorort des schweizer. Handelsund Industrievereins fürchtet nun, der Artikel 5 könnte, wenn er international allgemein anerkannt würde, Beschränkungen des Warenverkehrs schaffen, die heute nicht mehr zulässig sind und somit statt einer Verbesserung eine Verschlimmerung des Zustandes bringen. Das Departement glaubt jedoch, diese Befürchtungen seien nicht gerechtfertigt, und es kann sich mit dem Antrage des Vorortes nicht einverstanden erklären.

Anlässlich der Beratung des Zolltarifgesetzes wurde einmütig anerkannt, dass in Zukunft der Bundesrat ermächtigt sein soll, nicht nur wie bis jetzt als Retorsion ausserordentliche Massregeln wie Zollerhöhungen, Einfuhr- und Ausfuhrbeschränkungen gegen einen bestimmten Staat zu erlassen, sondern man war auch einig, dass die Regierung wenigstens mit Zustimmung der Bundesversammlung in die Lage versetzt werden müsste, auch gegenüber einer ausserordentlichen wirtschaftlichen Situation Abwehrmassregeln zu treffen3

. [...]

Es erübrigt noch, den folgenden wichtigen Punkt hervorzuheben. Die ändern Staaten haben es sehr leicht, auf Grund von Art. 5, sei es durch reine Regierungsmassnahmen, sei es durch rasch erhältliche Parlamentsbeschlüsse von den Vorbehalten von Art. 5 Gebrauch zu machen. Die Schweiz hat bis jetzt kein Gesetz, das dem Bundesrat die nötige Kompetenz einräumen würde. Das Volkswirtschaftsdepartement möchte daher an dieser Stelle schon betonen, dass es sich Vorbehalten müsse, einen allfälligen Beitritt zu dieser Konvention nur dann zu empfehlen, wenn gleichzeitig durch einen Akt der Gesetzgebung die Grundlage gelegt wird, damit die Schweiz sich nicht nur negativ bindet, sondern sich auch gleichzeitig positiv in die Lage versetzt, von den Kompetenzen Gebrauch zu machen, welche die Konvention den Staaten verleiht. Es wäre also vor der Ratifikation des Abkommens die Frage der Ein- und Ausfuhrbeschränkungen in einem Gesetze zu regeln und dem Bundesrat die nötigen Kompetenzen zu verleihen, damit auch die Schweiz die Vorbehalte von Art. 5 dieser Konvention sich dienstbar machen kann. f.J

Der Art. 7 wirft die Frage der Erledigung von Streitigkeiten auf. Man sollte vor allem aus [sic] davon absehen, irgend eine neue Instanz zu schaffen, oder irgend ein Schieds- oder Gerichtsverfahren vorzusehen. Es wird Sache der verschiedenen Staaten sein, eventuell die Streitigkeiten vor eine Schiedskommission oder ein Schiedsgericht zu bringen, falls die von ihnen abgeschlossenen Verträge dies vorsehen. In dieser Beziehung besteht wohl schon die Möglichkeit, auf Grund von Art. 36 des Statuts des internationalen Gerichtshofes, solche Streitigkeiten vor dessen Forum zu bringen. Man wird diese Bestimmung, wie auch diejenige aller ändern Schiedsverträge nicht aus der Welt schaffen können. Infolgedessen bleibt zur Beseitigung der Schwierigkeiten und zur Vermeidung einer unerwünschten Einmischung irgendwelcher internationaler Instanzen in die nationale Gesetzgebung und deren Vollziehung nur ein Mittel, das ist die absolute Anerkennung dafür, dass ein jedes Land autonom und endgültig über die Anwendung der Vorbehalte in Art. 4 und 5 entscheidet. Es muss absolut vermieden werden, dass die internationalen Beziehungen noch durch einen Rattenkönig von Reklamationen vor allen möglichen Instanzen erschwert und vergiftet werden.

Die Art. 8-12 enthalten Schlussbestimmungen, teilweise Ballast. Hervorzuheben ist noch die Beschränkung der Dauer auf 4 Jahre, mit einer Kündigungsfrist von einem Jahr, so dass also das Abkommen für einmal effektiv für 5 Jahre abgeschlossen würde.

Es ist heute noch nicht möglich, darüber zu entscheiden, ob die Schweiz in die Lage kommt, dem Abkommen seinerzeit beizutreten und es schon in Genf zu unterzeichnen oder nicht. Zuerst wird man einmal sehen müssen, wie die Verhandlungen verlaufen und welche Staaten effektiv beitreten. Grund zu besonderer Eile liegt nicht vor. Das Departement betrachtet, wie schon wiederholt betont, diese ganze Konvention eher als einen Ausfluss einer gewissen Geschäftigkeit des Völkerbundes denn als ein wirkliches Bedürfnis.

Gestützt auf das Vorausgeführte wird antragsgemäss beschlossen:

1. Von den vorstehenden Ausführungen wird in zustimmendem Sinne Vormerk genommen;

2. Das Volkswirtschaftsdepartement wird ermächtigt, den Delegierten im Sinne dieser Ausführungen zu instruieren.

Dabei ist auf die Wahrung der autonomen Entscheidung hinsichtlich der Anwendung von Art. 4 und 5 der Konvention besonders Gewicht zu legen.

1
E 1004 1/306. Abwesend: Motta, Haab und Scheurer.
2
Beilagen nicht ermittelt.
3
Vgl. auch Nr. 112.