dodis.ch/46081
Le Directeur de la Division du Commerce du Département de l’Economie publique, W. Stucki, au Ministre de Suisse à Rome, G. Wagnière1

Höflich Bezug nehmend auf unsere heutige telephonische Besprechung beehre ich mich, über die letzte Woche in Genf behandelte Frage der Wirtschaftssanktionen gegenüber Italien und unsere Stellung dazu folgendes mitzuteilen:

Bekanntlich standen sich in dieser Sache anfänglich ein französischer und ein britischer Antrag gegenüber. Die Franzosen schlugen vor, dass die Mitgliedstaaten des Völkerbunds für alle zur Kriegsführung wichtigen Rohstoffe ein Embargo gegenüber Italien erlassen sollten, während die Engländer ihr Hauptgewicht darauf legten, dass die Einfuhr aller italienischen Waren zu sperren sei. Nachdem die französische Delegation sich anfänglich dem britischen Vorschlag gegenüber sehr zurückhaltend zeigte, ist er schlussendlich von ihr vorbehaltslos angenommen worden. Die am letzten Samstag Abend vom Coordinationskomitee2 gefassten Beschlüsse gehen dahin, dass sowohl der englische als der französische Antrag den Regierungen zur Annahme empfohlen und wenn möglich gemeinsam und gleichzeitig in Kraft gesetzt werden soll3. Mit Bezug auf den Transithandel sind irgendwelche Beschlüsse bis jetzt nicht gefasst worden.

Die Haltung der schweizerischen Delegation war durch folgende Überlegungen bestimmt:

Die Schweiz hat 1920 auf ihre wirtschaftliche Neutralität ausdrücklich verzichtet4 und ist infolgedessen verpflichtet, die im Artikel 16 des Paktes5 vorgesehenen wirtschaftlichen und finanziellen Sanktionen dem Paktbrecher gegenüber zur Anwendung zu bringen. Sie konnte sich bekanntlich unmöglich der Feststellung entziehen, dass Italien den Pakt gebrochen hat. Sie muss deshalb bei den vom Völkerbundsrat bzw. vom Coordinationskomitee vorgeschlagenen Wirtschaftssanktionen grundsätzlich mitmachen. Abgesehen von der Frage der Vertragstreue hat sie auch ein ganz wesentliches Interesse daran, dass der Artikel 16 nicht toter Buchstabe bleibt, da sie auch einmal in die Lage kommen könnte, ihn gegenüber einem Paktbrecher anzurufen und sich davor hüten muss, dass man ihr dann ihre heutige Haltung entgegenhält. Diese Überlegungen führen dazu, dass die schweizerische Delegation dem Bundesrat die gefassten Beschlüsse betreffend Aus- und Durchfuhr von Waffen und Kriegsmaterial6, betreffend finanzielle Sanktionen7 und betreffend Ausfuhrverbot für Rohstoffe8 (gemäss der aufgestellten Liste) zur Annahme empfiehlt. Was dagegen den nun vom Coordinationskomitee angenommenen englischen Antrag auf Sperre der Einfuhr aller italienischen Waren9 anbelangt, so haben wir ausdrücklich und mehrfach alle Vorbehalte gemacht, und zwar aus folgenden Gründen:

Zweifellos geht der englische Antrag von der Idee aus, die Unterbrechung der italienischen Ausfuhr nach allen Vertragsstaaten werde die italienische Wirtschaft auf das schwerste treffen, die Arbeitslosigkeit gewaltig steigern und zu sozialen Unruhen führen, die dem Regime und seinem Chef gefährlich werden könnten. Es ist auch kaum zu bestreiten, dass von diesem Gesichtspunkt aus die Durchführung einer solchen Massnahme für Italien einen ausserordentlich schweren Schlag bedeuten würde. Offiziell haben nun aber die Engländer eine ganz andere Begründung gegeben: Es handle sich nicht darum, sagten sie, Italien zu strafen, aggressiv vorzugehen und den italienischen Arbeitsmarkt zu treffen, sondern vielmehr darum, dafür zu sorgen, dass sich Italien aus dem Export seiner Waren keine fremden Devisen mehr verschaffen könne, die zum Ankauf von Kriegsmaterial und Rohstoffen verwendet werden könnten.

Hier setzen nun die von mir in Genf gemachten Einwendungen, Überlegungen und Anregungen ein10. Wenn wirklich der Zweck darin besteht, die Italiener nicht wirtschaftlich und sozial, sondern finanzpolitisch zu treffen, indem man sie um Devisen bzw. Devisenüberschüsse bringt, die zur Befriedigung der Kriegsbedürfnisse nötig sind, dann kann dieser Zweck allgemein – oder wenigstens für einzelne Länder in besonderer Lage – auch auf andere Weise erreicht werden. Warum soll es notwendig sein, die Italiener um einen Devisenüberschuss im Verhältnis beispielsweise zur Schweiz dadurch zu bringen, dass man den ganzen gegenseitigen Handel auf Null reduziert, die Jahrhunderte alten Wirtschaftsbeziehungen vollständig lahmlegt und nicht nur in Italien, sondern namentlich auch in der Schweiz tausenden von Arbeitern ihr Brot nimmt? Der gleiche Effekt wird doch auch dadurch erreicht, dass man die jetzigen Handelsbeziehungen zwar im Grundsatz aufrechterhält, aber dafür sorgt, dass die Schweiz an Italien keine Devisen liefert. Anstatt auf dem Nullpunkt, vom Standpunkt des Handels aus gesehen, ist dies auch möglich, wenn sich Italien und die Schweiz gegenseitig beispielsweise Waren im Werte von je 60 Millionen liefern und diese Warenmengen nicht bezahlt, sondern verrechnet werden. Wenn sich also die Schweiz verpflichten würde, an Italien keine direkten Zahlungen zu leisten, sondern aus Italien eingeführte Waren nur durch Verrechnung mit von der Schweiz nach Italien exportierten Waren oder auch mit Finanzforderungen zu kompensieren, dann erhält Italien mit absoluter Sicherheit keine Schweizerfranken oder andere Devisen, mit denen es Kriegsmaterial oder Rohstoffe kaufen könnte. Ich habe bei der Entwicklung dieses Vorschlages – es handelt sich keineswegs um eine offizielle schweizerische Proposition, sondern um eine von mir persönlich im Einverständnis mit Herrn Bundesrat Motta gemachte Anregung, die ich lediglich auf ausdrücklichen Wunsch des wirtschaftlichen Unterkomitees näher dargelegt habe – sofort auf einen wesentlichen Punkt selber hingewiesen: Die Schweiz kann und will natürlich nicht, falls man ihr eine solche Sonderlösung zugestehen sollte, ihre bisherigen Handelsbeziehungen zu Italien auf Kosten der übrigen Mitglieder des Völkerbundes verbessern. Dies wäre eine Zumutung, gegenüber welcher die ändern Staaten begreiflicherweise heute ganz besonders empfindlich sind. Die schweizerische Verpflichtung, keine direkten Zahlungen an Italien zu gestatten, müsste deshalb ergänzt werden durch ein weiteres Engagement, Ein- und Ausfuhr nicht über die gegenwärtige, bzw. die Mengen einer kurz zurückliegenden Zeitperiode, über die man sich zu verständigen hätte, zuzulassen.

Die eben skizzierte, von uns gemachte Anregung hat in Genf zu keiner offiziellen Diskussion geführt. Sie wurde weder kritisiert, noch hat man ihr ausdrücklich zugestimmt. Wir haben aber den ziemlich bestimmten Eindruck, dass die ändern Staaten sich schliesslich damit abfinden würden, wenn die Schweiz sich mit diesen Massnahmen begnügt, also die von England vorgeschlagene und von allen ändern Völkerbundstaaten (ausgenommen Österreich, Ungarn, Albanien) angenommene Einfuhrsperre nicht mitmacht. Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass dafür die schweizerische Haltung mit Bezug auf die eingangs erwähnten ändern Sanktionen eine eindeutige Kollaboration darstelle, was die Delegation, wie bereits gesagt, dem Bundesrat beantragen wird.

Wie stellt sich nun Italien zur schweizerischen Anregung? Ob die Schweiz bei den übrigen Sanktionen mitmacht oder nicht, ist für Italien von sehr geringer praktischer Bedeutung: Wir sind keine grossen Waffenlieferanten, Kredite hätte man bei der gegenwärtigen Situation und den trübseeligen Erfahrungen bezüglich des italienischen Zahlungswillens ohnehin nicht mehr gegeben, und als Rohstofflieferant kommen wir hauptsächlich wohl nur für Eisenabfälle in Frage. Lassen wir die italienische Einfuhr weiter zu, aber nur um sie mit unserer Ausfuhr, eventuell mit unsern finanziellen Guthaben, zu kompensieren, so verliert zwar Italien einen gewissen Devisenüberschuss, der gerade nach italienischer Darstellung ohnehin ausserordentlich klein geworden war. Wir könnten übrigens einen solchen Devisenüberschuss selbst in bilateralen Clearingsverhandlungen11 angesichts unserer eigenen recht schwierig gewordenen Zahlungsbilanz nicht zugestehen. Dagegen hätte Italien den gewaltigen Vorteil, dass es seine Waren in bisherigem Ausmasse nach der Schweiz weiter liefern könnte, dass landwirtschaftlich und industriell eine beträchtliche Anzahl von Arbeitern hiefür beschäftigt werden könnte und dass es aus der Schweiz im bisherigen Umfang eine Reihe von Waren beziehen könnte, deren Einfuhr aus ändern Ländern durch italienische Retorsionsmassnahmen fast zwangsweise verunmöglicht werden muss. Man käme damit im schweizerisch-italienischen Wirtschaftsverkehr zu einem vollkommenen Ausgleich der Zahlungsbilanz, d. h. gerade zu dem Zustande, den die italienische Regierung schon vor Monaten mit Bezug auf ihre Handelspolitik als Ziel festgelegt hat. Italien müsste lediglich diesen Grundsatz auch uns gegenüber als richtig anerkennen, während er sich allen ändern Staaten gegenüber, mit denen Italien zahlungsbilanzmässig aktiv ist, durch die Annahme des britischen Vorschlags von selber einstellt.

Sie wissen, Herr Minister, dass hier auf den Bundesrat stark eingewirkt wird. Die einen, und ihre Zahl ist überraschend gross, verlangen, dass der Bundesrat ohne Einschränkungen und Vorbehalte die Wirtschaftssanktionen anwende wie die ändern Staaten. Die Tatsache, dass letzte Woche Länder wie Schweden, Norwegen, Dänemark, Belgien, Holland usw. den britischen Vorschlag ohne irgendwelche Einschränkungen angenommen haben, wird das Gewicht dieser Stimmen noch wesentlich verstärken. Andere Stimmen verlangen, dass die Schweiz sich jeder wirtschaftlichen Sanktion enthalte. Man beruft sich dabei auf die Neutralität. Diese Argumentation ist mit Bezug auf die bis jetzt in Genf gefassten Beschlüsse vollkommen haltlos, da, wie gesagt, die Schweiz auf die wirtschaftliche Neutralität ausdrücklich verzichtet hat – der italienische Vertreter hat 1920 in London ausdrücklich zugestimmt! –, da der Chef der italienischen Delegation ausdrücklich erklärt hat, er betrachte wirtschaftliche Sanktionen nicht als casus belli und da schliesslich selbst unabhängig von Art. 16 des Paktes eine in Form eines Wirtschaftskrieges vorgenommene Sperre der Ein- und Ausfuhr, oder von beiden, niemals als Verletzung der Neutralität erkannt würde. Es wäre natürlich verhängnisvoll, wenn der oben skizzierte Weg schliesslich von Genf akzeptiert, dann aber von Italien durch irgendwelche Zwangsmassnahmen gegen die Schweiz sabotiert würde. Die Wirkung wäre nämlich niemals die, dass sich dann die Schweiz an Wirtschaftssanktionen nicht beteiligen würde, sondern sie würde gerade von Rom aus gezwungen, dem britischen Vorschlag ebenfalls zuzustimmen und die Einfuhr aus Italien vollständig zu sperren. Devisenmässig wäre dies für Italien kein Gewinn, wirtschaftlich, politisch und moralisch sicherlich ein grosser Verlust.

Ich habe oben ausgeführt, dass mit Bezug auf den Transit Beschlüsse bis jetzt nicht gefasst wurden, ausgenommen Waffen und Kriegsmaterial. Es ist aber mit Sicherheit anzunehmen, dass der Antrag gestellt und angenommen wird, dass für diejenigen Rohstoffe, für die der Export verboten werden muss, auch der Transit zu untersagen sei. Wir werden uns dagegen mit allen Mitteln wehren und unter Hinweis auf den Gotthard-Vertrag12 einerseits, auf die Offenhaltung des Brenners und des Seeweges HamburgGenua andererseits uns jedenfalls weigern, ein Transitverbot auszusprechen. Wir werden das umso eher tun können, wenn wir auf der ändern Seite den Völkerbundsmächten durch Annahme der übrigen Sanktionspläne den Beweis erbracht haben, dass auch wir eingegangene Rechtsverpflichtungen soweit als irgendwie möglich respektieren.

Was schliesslich die Weiterführung der schweizerisch-italienischen Verhandlungen anbelangt, so teilen wir die in Ihrem Schreiben vom 18.d.M.13 ausgedrückte Meinung Anzilottis, dass eine Abklärung der Genfer Beschlüsse zuerst erfolgen muss. Das sog. «Komitee der 18»14 soll am 31. Oktober wieder zusammentreten, und es wird sich dann zeigen, ob man uns mit Bezug auf den britischen Antrag die geschilderte Vorzugsstellung zu gewähren bereit ist. In diesem Fall müsste dann mit Italien natürlich weiterverhandelt werden, was in Rom geschehen könnte. Man wird dort sicherlich begreifen, dass wir uns hüten müssen, den Eindruck zu erwecken, als ob wir hinter dem Rücken der Völkerbundsmächte mit Italien Separatverhandlungen führten, welche die kollektive Aktion gefährden könnten und nur dazu bestimmt wären, die Sonderinteressen der Schweiz zu schützen.

Sollten sich nach der Lektüre dieses etwas lang geratenen Berichts bei Ihnen noch über diesen oder jenen Punkt Zweifel ergeben, so bitte ich um telephonischen Anruf, bevor Sie die Angelegenheit mit den Herren Suvich und Anzilotti besprechen.

1
Lettre: E 2200 Rom 23/9.
2
Comité de Coordination: constitué le 11 octobre, sous la présidence du Portugais A. de Vasconcellos, suivant le vœu émis le jour précédent par l’Assemblée de la SdN, dont voici le texte: L’Assemblée, Prenant en considération les obligations qui incombent aux Membres de la Société des Nations en vertu de l’article 16 du Pacte et l’utilité d’établir une coordination des mesures que chacun d’eux envisagerait de prendre: Emet le vœu que les Membres de la Société (autres que les parties) constituent un Comité composé d’un délégué par Etat membre, assisté d’experts, en vue d’étudier et de faciliter la coordination de ces mesures et, le cas échéant, d’attirer l’attention du Conseil ou de l’Assemblée sur toute situation qui requerrait leur examen. Le 11 octobre, le Comité de Coordination forme en son sein un «Petit Comité de Coordination », chargé d’élaborer les mesures de sanctions contre l’Italie, suivant l’article 16 du Pacte. Ce comité restreint, présidé lui aussi par A. de Vasconcellos, est appelé ensuite «Comité des Dixhuit», du nombre des Etats qui y sont représentés: France, Grande-Bretagne, URSS, Pologne, Espagne, Afrique du Sud, Argentine, Belgique, Canada, Grèce, Pays-Bas, Portugal, Roumanie, Suède, Suisse, Tchécoslovaquie, Yougoslavie et Mexique; la Suisse y est représentée par G. Motta, assisté de W. Stucki. Les propositions de sanctions mises au point par le Comité des Dix-huit et par ses sous-comités (chargés des mesures économiques, financières, et de l’organisation de l’appui mutuel), sont ensuite soumises au Comité de Coordination pour acceptation.
3
Le samedi 19 octobre, le Comité de Coordination a adopté le projet de sanction émanant de la Grande-Bretagne, devenu la proposition III, et demandant la prohibition de l’importation des marchandises italiennes. Il a aussi accepté le projet du Gouvernement français, devenu la proposition IV, prévoyant l’embargo sur certaines exportations vers l’Italie (dont la bauxite, l’aluminium, le minerai defer, Vétain, le chrome, le nickel et autres matières premières pouvant entrer dans la fabrication de guerre, à l’exclusion cependant du pétrole, du charbon, du fer et de l’acier). Cf. JO. SDN, 1935, Supplément spécial no 145, pp.20ss.
4
Par la Déclaration de Londres du 13 février 1920. Cf. no 145, n. 6.
5
Cf. no 145, n. 5.
6
Proposition I (embargo sur les armes, munitions et matériels de guerre à destination de l’Italie), adoptée le 11 octobre par le Comité de Coordination (JO. SDN, 1935, Supplément spécial no 145, pp. 14-15).
7
Proposition II, adoptée le 14 octobre par le Comité de Coordination (JO. SDN, 1935, Supplément spécial no 145, pp. 16 ss.).
8
Cf. n. 2 ci-dessus.
9
Cf. n. 2 ci-dessus.
10
Pour le texte des interventions faites par Stucki, les 16, 17 et 18 octobre, devant le Sous-comité pour les mesures économiques du Comité des Dix-huit, dont il est membre, cf. JO. SDN, 1935, Supplément spécial no 145, surtout pp. 96–98, 107–108 et 114–117.
11
Sur les négociations pour la conclusion d’un accord de clearing avec l’Italie, cf. aussi rubrique II.15.1: Italie, relations commerciales et financières et accord de clearing.
12
Cf. no 157.
13
Non reproduit (E 7110 1/83). Sur les négociations en cours entre la Suisse et l’Italie pour la conclusion d’un accord de clearing, auxquelles fait allusion Stucki dans sa lettre, cf. n. 9 ci-dessus.
14
Cf. n. 1 ci-dessus.