dodis.ch/46504
Le Ministre de Suisse à Paris, W. Stucki, au Chef du Département politique, G. Mot ta1

Im Verlaufe dieser Woche habe ich bis jetzt 18 Missionschefs, die Präsidenten des Senates und der Kammer, sowie die Herren Massigli und Léger besuchen können. Die Herren Léon Blum und Paul-Boncour waren infolge der bekannten Verhältnisse noch nicht erreichbar. Beim Botschafter Spaniens habe ich telephonisch um Fixierung einer Stunde für einen Besuch nachgesucht. Er hat bis jetzt darauf nicht reagiert.

Sobald ich etwas Zeit finde, werde ich Ihnen über diese vielen Besprechungen, die neben viel inhaltslosem Geschwätz auch manches Interessante zu Tage förderten, berichten. Heute muss ich mich damit begnügen, Sie über die Unterredung zu informieren, die ich heute morgen mit dem Präsidenten der Kammer, Herrn Herriot, hatte. Nachdem er zuerst etwas reserviert war, zeigte er sich nachher von einer überraschenden Offenherzigkeit. Er lobte in höchsten Tönen die Schweiz und insbesondere die Kundgebung vom letzten Montag2

. Bezüglich der europäischen Frage zeigt er sich ebenso besorgt, ja nervös, wie die Herren Massigli und Léger. Aus seinen Worten sprach ein unbändiger Hass gegen Deutschland, dem nichts heilig sei als «violence et mensonge». Er traut Hitler das schlimmste zu, namentlich einen Angriff auf Frankreich, wenn ihm dies nützlich erscheine und geeignet sei, die dem Duce gegebenen Versprechungen zu erfüllen. In einem solchen Falle, sagt Herriot wörtlich, wird Deutschland nach Ansicht des französischen Generalstabes, von Daladier und der meinigen weder die Maginotlinie angreifen, noch das belgische Gebiet benützen, sondern mit Sicherheit die schweizerische Neutralität verletzen, um den Hauptstoss auf Lyon zu führen. Aus diesem Grunde habe Daladier noch in den letzten Tagen erneute wesentliche Kredite zur Beschleunigung und zum Ausbau der französischen Befestigungen im Jura verlangt.

Bei dieser Situation habe Frankreich vom einmütigen Willen der Schweiz, ihre Neutralität bis zum letzten zu verteidigen, mit grösstem Interesse Kenntnis genommen und hoffe sehr, dass unsere militärischen Vorbereitungen dementsprechend gefördert würden.

Mit Rücksicht auf die Persönlichkeit, die diese Erklärungen abgegeben hat und die Klarheit der geführten Sprache, wollte ich nicht verfehlen, Ihnen, Herr Bundesrat, davon unverzüglich Kenntnis zu geben.

1
E 2300 Paris, Archiv-Nr. 91. Remarque manuscrite de Moita en tête du document: sehr wichtig. In Zirkulation. 28.3.38. M.
2
Cf. No 239, annexe.