dodis.ch/46523
Le Ministre de Suisse à Paris, W. Stucki, au Chef du Département politique, G. Motta1

Ihr Schreiben vom 1. ds. Mts.2 ist am 4. April hier eingetroffen. Ich habe mit grösstem Interesse von Ihren Instruktionen, sowie vom erweiterten Text des Entwurfes zu einem Memorandum über die schweizerische Neutralität im Schosse des Völkerbundes Kenntnis genommen.

Zu meiner Überraschung enthält Ihr Schreiben keinerlei Wegleitung bezüglich der vom Ministerpräsidenten aufgeworfenen Frage, bezüglich welcher ich um Instruktionen gebeten hatte3. Sodann schienen mir nach Lektüre der beiden Dokumente noch einige Klarstellungen notwendig zu sein. Ich erlaubte mir deshalb, mich mit dem Chef der Abteilung für Auswärtiges telephonisch in Verbindung zu setzen und erhielt von ihm, nachdem er die aufgeworfenen Fragen mit Ihnen besprochen hatte, folgende Weisungen:

1. Auf die von Herrn Léon Blum aufgeworfene Frage einer neuen Garantie der schweizerischen Neutralität, bezw. der Unverletzlichkeit unseres Territoriums ist zur Zeit nicht einzutreten.

2. Es ist von unserer Seite nicht der Wunsch auszudrücken, die französische Regierung möge sich bei der Sovietregierung dafür verwenden, dass uns diese keine Schwierigkeiten macht. Wir haben uns darauf zu beschränken, die französische Regierung um Stellungnahme zu unserem Projekt zu ersuchen.

3. Am Text des vom Bundesrat genehmigten Vorentwurfes sind keinerlei Änderungen anzubringen, obschon

a) der dritte Satz von Alinea 2 auf Seite 5 nicht ganz richtig ist, da das System der Sanktionen überhaupt nie gespielt hat4,

b) das Memorandum am Schluss ausdrücklich auf die Londoner Erklärung verweist, obschon gerade diese die «differentielle Neutralität» geschaffen hat, die wir abschaffen wollen5,

c) auch der jetzige Texte einen Widerspruch zu enthalten scheint, indem einerseits verlangt wird «que sa neutralité intégrale soit expressément reconnue» und doch anderseits die Konklusion dahin geht, der Völkerbundsrat «voudra bien lui donner acte»6.

Infolge der gestrigen Kammersitzung waren weder Herr Paul-Boncour noch Herr Léger erreichbar. Ich habe deshalb, um keine Zeit zu verlieren, den Entwurf zum Memorandum gestern abend noch Herrn Massigli überreicht und ihn im Sinne Ihres Schreibens vom 1. April kommentiert. Ich habe dringend gebeten, dass man uns so rasch als irgend möglich über die Stellungnahme der französischen Regierung unterrichtet. Herr Massigli hat den Entwurf entgegen genommen, indem er eine verständnisvolle und wohlwollende Prüfung zusicherte. Der Quai d’Orsay werde sich sofort mit London in Verbindung setzen und hoffe, mir Ende dieser Woche seine ersten Eindrücke mitteilen zu können7.

1
E 2001 (D) 4/1.
2
Cf. No 258, note 5.
3
Cf. No 251.
4
Remarque marginale de Motta: ? M.
5
Remarque manuscrite de Motta en marge de ce passage: Wie kann man die Londoner Erklärung evtl. [?]varieren [?]. M.
6
Note marginale de Motta: Das scheint mir nicht richtig zu sein. M.
7
Dans une notice sur un entretien avec René Massigli, le Ministre Stucki écrit: 11. April 1938. Heute 5 Uhr empfing mich Minister Massigli am Quai d’Orsay. Er teilte mir mit, dass die französische Regierung gegen unseren Entwurf zum Memorandum betreffend schweizerische Neutralität im Schosse des Völkerbundes keine Einwendungen zu erheben habe und erheben werde. Diese Mitteilung sei insofern nicht als hochoffiziell und endgültig zu betrachten, als der neu ernannte Minister des Auswärtigen sich mit der Frage noch nicht habe befassen können. Es sei aber äusserst unwahrscheinlich, dass er eine andere Meinung vertreten würde. Massigli teilt ferner mit, dass seines Wissens vom Generalsekretär des Völkerbundes die Frage betreffend Sitz des Völkerbundes in einer vollkommen neutralen Schweiz aufgeworfen werde. Die französische Regierung ihrerseits beabsichtige nicht, dies zu tun. Nach Meinung des Quai d’Orsay sollte sich die Schweiz von Deutschland und Italien ausdrücklich bestätigen lassen, dass diese beiden Länder aus der Tatsache, dass der Völkerbund seinen Sitz in der Schweiz hat, nie und unter keinen Umständen eine Neutralitätsverletzung herleiten werden. Ich habe die Mitteilungen ad referendum entgegen genommen. (E 2200 Paris 11/5).