dodis.ch/46648
Le Chef de la Division de Police du Département de Justice et Police, H. Rothmund, au Président de la Confédération, J. Baumann1

Ich habe Ihnen mit meinem Bericht vom 31. August2 meine Stellungnahme bekannt gegeben zur deutschen Note vom 29. August3 zur Vermeidung der Wiedereinführung des Visums auf dem deutschen Pass. Ich gestatte mir auf diesen Bericht und auf die dort genannten Beilagen zu verweisen.

Am 7. September4 hat der schweizerische Geschäftsträger in Berlin, Herr Dr. Kappeler, der Abteilung für Auswärtiges Kenntnis gegeben von einem neuen Vorschlag, der ihm von Herrn Geheimrat Rödiger vom Auswärtigen Amt in Berlin gemacht worden ist. Ich habe Ihnen einen Durchschlag dieses Schreibens überlassen. Der neue Vorschlag geht dahin, die deutschen Passbehörden würden die an Juden abgegebenen Pässe dadurch kennzeichnen, dass auf der ersten Seite links oben ein Stempel angebracht würde, bestehend aus einem Kreis von ca. 2 cm Durchmesser und dem Buchstaben J oder allenfalls auch einem ändern Zeichen, wozu wir noch Wünsche äussern könnten. In den bereits ausgegebenen deutschen Pässen würde das Kennzeichen angebracht sobald der Pass in die Hände der Passbehörden gelangen würde. Die deutsche Regierung würde sich damit einverstanden erklären, dass schweizerischerseits für die so gekennzeichneten Pässe der Sichtvermerkszwang eingeführt würde. Doch würde Deutschland nicht auf eine «gewisse Gegenseitigkeit» verzichten, wie Herr Dr. Kappeler schreibt. Diese würde darin bestehen, dass der Sichtvermerkszwang auch für Schweizerjuden vorgeschrieben würde. Herr Dr. Kappeler hat Herrn Geheimrat Rödiger davon überzeugt, dass eine Kennzeichnung der Pässe von schweizerischen Juden aus praktischen und verfassungsmässigen Gründen unmöglich sei, worauf ihm geantwortet wurde, dass eine Mitwirkung schweizerischer Behörden nicht ins Auge gefasst würde. Um Zwischenfälle an der Grenze zu vermeiden, durch Zurückweisungen von schweizerischen Nichtjuden, wäre die Durchführung des Sichtvermerkszwangs für Schweizerjuden praktisch so gemeint, dass in Fällen, wo eine deutsche Behörde den Eindruck erhalten würde, dass ein Schweizerjude ohne Visum nach Deutschland gereist sei, Erkundigungen durch die zuständige deutsche Vertretung in der Schweiz über die Person des Betreffenden eingezogen würden und dieser, wenn sich herausstellen sollte, dass er nichtarischer Abstammung wäre, die Grenzsperre zu gewärtigen hätte. Herr Dr. Kappeler fügt bei, die Zahl der schweizerischen Juden, die unter den heutigen Verhältnissen ein Bedürfnis hätten nach Deutschland zu reisen, dürfte gering sein. Es sei ihm erklärt worden, dass die Einführung des Sichtvermerkszwangs für sie durchaus nicht bezwecke, ihnen die Einreise zu verunmöglichen. Lediglich die dauernde Niederlassung neuzureisender ausländischer Juden in Deutschland werde als unerwünscht betrachtet. Die Möglichkeit, sie zu verhindern, hätten die deutschen Behörden auch ohne Sichtvermerkszwang in den Händen.

Dieser Vorschlag veranlasst mich zu folgenden Bemerkungen:

Eine Abmachung mit einem ausländischen Staat, wonach schweizerische Juden anders behandelt werden als nichtjüdische Schweizer scheint mir nicht tragbar. Die Sache könnte meines Erachtens auch nicht so konstruiert werden, dass wir das Visum für deutsche Juden formell autonom einführen und Deutschland dasselbe für Schweizerjuden tun würde. Einmal wären solche Massnahmen auch das Resultat von Verhandlungen zwischen den beiden Staaten, sodann müsste die Vereinbarung mit Deutschland über die Aufhebung des Visums doch formell geändert werden. Ferner dürfen wir meines Erachtens unter keinen Umständen da, wo wir mitzureden haben und es verhindern können, den Schweizerjuden anders behandeln lassen als den nichtjüdischen Schweizer. Es genügt schon, dass wir eine Sonderbehandlung der in Deutschland wohnenden Schweizer juden ertragen müssen. Der deutsche Vorschlag muss deshalb, soweit er die Gegenseitigkeit vorsieht, meines Erachtens ohne weiteres abgelehnt werden.

Es stellt sich die Frage, ob der deutschen Regierung geantwortet werden kann, wir seien geneigt, auf ihren Vorschlag einzugehen, falls sie auf die Gegenseitigkeit verzichte. Wenn alle Pässe von deutschen Nichtariern, und zwar die im Inland und die im Ausland ausgestellten, ohne jede Ausnahme das vorgeschlagene Kennzeichen enthalten würden, wären wir in der Lage, durch Wiedereinführung des Visums auf diesen Pässen eine lückenlose Kontrolle aller deutschen Juden vor der Einreise durchzuführen. Selbstverständlich müsste ein solcher Beschluss in allen Ländern der Öffentlichkeit bekannt gegeben werden, denn es sind heute schon unzählige Pässe deutscher Juden aus dem alten Reich im Umlauf. Ferner sind durch die innern Passbehörden des Reichs und durch die deutschen Konsulate im Ausland schon viele deutsche Pässe ausgestellt worden an österreichische Juden. Alle diese Pässe könnten das Kennzeichen erst erhalten, wenn sie der Passbehörde zu Verlängerung vorgewiesen würden. Da eine grosse Zahl dieser Pässe auf mehrere Jahre ausgestellt wurden, würde es ebenso lange dauern bis die Kontrolle eine lückenlose wäre. Wir hätten sie allerdings für die deutschen und österreichischen Juden, denen der deutsche Pass erst nach Inkrafttreten der Vereinbarung ausgestellt würde. Aber auch da wäre noch ein sehr grosses Fragezeichen anzubringen. Würde eine entsprechende Weisung an die deutschen Passbehörden von diesen überall befolgt? Nach den bis heute gemachten Erfahrungen muss ich das leider für vollkommen ausgeschlossen betrachten. Alle Staaten verschärfen aber ihre Einreisekontrolle für deutsche und österreichische Emigranten von Monat zu Monat. Letzten Endes wird sie überall effektiv sein. Um die Juden wegzubringen bliebe nur noch die Schweiz. Die Erklärungen des deutschen Auswärtigen Amtes, man wünsche nicht, dass die Juden nach der Schweiz gehen, sind nicht ernst zu nehmen. Wenn man das wirklich hätte wollen, hätte man es schon längst in der Hand gehabt, es zu verhindern. Man will es aber nicht. Ferner ist die Parole von höchster Stelle ausgegeben worden, die Juden müssten aus Deutschland weg. Der Beamte, der es ernst nimmt mit seiner Pflicht dem Nationalsozialismus und seinen Führern gegenüber, kann nicht anders, als im Zweifelsfall gegen jedes andere Interesse, gegen zwischenstaatliche Abmachungen und sogar gegen Weisungen seiner Oberbehörde zu handeln. Ich bin überzeugt, dass die Weisung nicht strikte durchgeführt würde.

Selbst wenn wir annehmen, sämtliche deutsche Passtellen im In- und Ausland würden das Kennzeichen ausnahmslos anbringen, so würden, wie bereits gesagt, noch während längerer Zeit unzählige deutsche Juden mit Pässen versehen sein, die das Kennzeichen nicht enthalten. Trotz der Wiedereinführung des Visums für die Pässe mit den Kennzeichen wäre also eine Prüfung aller mit dem deutschen Pass ohne das Kennzeichen an der Grenze eintreffenden Personen notwendig, und zwar nicht nur an der schweizerisch-deutschen, sondern an allen unseren Grenzen. Welchen Schaden das unserem Fremdenverkehr bringen kann, habe ich früher ausgeführt und verweise hauptsächlich auf das eingangs erwähnte Schreiben vom 31. August. Die Weisungen, die wir am 7. September vorübergehend, d.h. bis zum Abschluss der Verhandlungen mit Deutschland, den Grenzpolizeiposten erteilt haben, zeigen heute schon die Unzulänglichkeiten, die mit der Kontrolle an der Grenze verbunden sind. Einmal ist es ganz unmöglich, an der Grenze den Juden vom Nichtjuden zu unterscheiden. Trotz der sehr energischen Weisungen gelingt es Juden mit deutschem Pass immer wieder, legal einzureisen. Zurückweisungen machen zudem die deutschen Grenzorgane erneut nervös. Ich erhielt heute Nachricht aus Thayngen, wo eine deutsche jüdische Familie namens Mannheimer mit deutschem Pass zurückgewiesen wurde. Dies veranlasste einen Gestapobeamten in Singen, sich nachträglich beim schweizerischen Grenzpolizeibeamten zu beschweren und mit Repressalien zu drohen. Nach den gemachten Erfahrungen ist es ganz sicher, dass wir bald wieder den Krieg unter den Grenzbeamten haben werden, wenn wir mit diesem System noch lange weiterfahren müssen.

Wir haben wohl in früheren Stadien der Verhandlungen mit Deutschland Vorschläge gemacht, die auf den heutigen deutschen Vorschlag - mit Ausnahme der Reziprozität - hinausliefen. Die Erfahrungen, die wir mit der Tätigkeit der deutschen Grenzbeamten sowie teilweise auch mit derjenigen gewisser deutscher Passtellen gemacht haben, haben uns jedoch gezeigt, dass auf die deutschen ausführenden Organe heute kein Verlass mehr ist. Dazu kommt, dass wir nicht bloss mit einer Kontrolle der Einreise deutscher Juden rechnen dürfen. Der Kampf der nationalsozialistischen Partei gegen ihre Gegner wird und muss sich zweifellos ständig verstärken. Sobald das Problem der Ausreise der Juden auf den richtigen Weg gebracht sein wird, ja vielleicht schon vorher, wird der Kampf gegen die Kirche wieder einsetzen; auch der gegen die Deutschnationalen kann andere Formen annehmen als bisher. Ändern Kategorien von Emigranten gegenüber wären wir bei der Annahme des deutschen Vorschlages wiederum wehrlos, das heisst, wir müssten ohne Kontrolle eingereiste Flüchtlinge erneut an die Luft setzen; Flüchtlinge, die dann voraussichtlich in weit grösserem Masse den Stempel der «politischen» auf sich tragen würden als die Juden. Was das innerpolitisch bei uns für Wirkungen haben müsste, brauche ich nicht hervorzuheben.

Bei der Untersuchung der ausserpolitischen Wirkungen dürfen wir nicht bloss in Betracht ziehen, dass man uns deutscherseits heute - nach dem Vorausgegangenen absolut zu Unrecht - hat wissen lassen, das Bestehen der Wiedereinführung des Visums auf dem deutschen Pass würde als Unfreundlichkeit betrachtet. (Ich verweise auf meine Notiz über das Gespräch mit dem deutschen Gesandten vom 2. September)5. Einmal wäre ohne jeden Zweifel diese momentane Verstimmung der Schweiz gegenüber, wenn es sich überhaupt ernstlich um eine solche handeln kann, viel kleiner als sie werden müsste, wenn der Streit an der Grenze, der bestimmt zu erwarten wäre, wieder losgehen würde. Sodann hätten wir es in der Hand, diese Verstimmung durch die Praxis bei der Erteilung von Einreisebewilligungen an alle Nichtemigranten rasch zum Verschwinden zu bringen. Es sind ja schon im Bundesratsbeschluss vom 30. August6 über die Wiedereinführung des Visums für die Inhaber des deutschen Reisepasses dem Departements die Weisungen erteilt, die Visa in gleicher Weise zu geben wie auf dem österreichischen Pass. Seit der Wiedereinführung dieses Visums, d.h. seit dem 1. April 1938, ist mir aber keine einzige Klage eines Nichtemigranten zu Ohren gekommen. Ich bin überzeugt, dass wir das auch im Altreich so durchführen könnten. Selbstverständlich müsste das in der Antwort auf den neuen deutschen Vorschlag ausdrücklich hervorgehoben werden. Wir müssen aber auch mit den ändern Länder im Frieden leben und dürfen meines Erachtens die öffentliche Meinung in diesen, namentlich in Frankreich, England und Amerika, nicht unberücksichtigt lassen. Eine Einführung des Visums ausschliesslich für Juden wird aber, selbst wenn wir nur von Emigranten reden, von den interessierten Kreisen im Ausland nur schwer verstanden werden. Die deutsche Presse würde einer Kritik von der ändern Seite noch damit auf die Beine helfen, dass sie diese Massnahme als brandschwarzen Antisemitismus der Demokratie beschreiben und als Einschwenken unseres Landes in die Rasseachse gross hervorheben würde, so wie sie es mit einem anscheinend stark verbreiteten Artikel «Konzentrationslager der Juden in der Schweiz» getan hat, der sich mit der uns von Deutschland aufgezwungenen Sperre der illegalen Einreise befasst. Es hat überhaupt den Anschein, dass Deutschland mit seinem bisherigen Vorgehen und ganz besonders mit seinem letzten Vorschlag den Versuch macht, uns in den Antisemitismus hineinzutreiben oder uns zum wenigsten bei den ändern Ländern so erscheinen zu lassen. Die Judenfrage wird zweifellos in den kommenden Jahren noch manches grosse internationale politische Problem stark beeinflussen, was auch für die Schweiz unter Umständen nicht gleichgültig sein kann. Wir haben seit dem Bestehen der Fremdenpolizei eine klare Stellung eingehalten. Die Juden galten im Verein mit den ändern Ausländern als Überfremdungsfaktor. Es ist uns bis heute gelungen, durch systematische und vorsichtige Arbeit die Verjudung der Schweiz zu verhindern. Heute haben wir unser Teil in der Obsorge für Emigranten auf uns genommen und wollen das menschlich, aber mit strengster Ordnung fremdenpolizeilich abwickeln. Die schweizerischen Juden helfen uns dabei und sehen damit auch ihr Interesse. Wenn wir nun mit besonderen, für sie diskriminierenden Massnahmen kommen, so drängen wir sie von der gesunden Richtung ab. Wenn sie anfangen, sich international zu beklagen, anstatt, wie es heute der Fall ist, in ihren internationale Kreisen für die von uns getroffenen Massnahmen zu plädieren, so riskieren wir, die ganze zivilisierte Welt gegen uns zu haben.

All diese Überlegungen führen mich zum Schluss, wir sollten die Gelegenheit, die uns der letzte deutsche Vorschlag gibt, benützen, um Deutschland in aller Freundschaft und mit unverfänglicher Begründung zu erklären, es sei leider trotz beiderseitigen grössten Bemühens nicht möglich gewesen, einen ändern Weg zu finden, als den der Wiedereinführung des Visums, wobei wir zu verstehen geben würden, dass wir die Reziprozität auf dem Schweizerpass nicht als Unfreundlichkeit betrachten würden. Haben wir das Visum, so ist Deutschland vollkommen frei, den Emigranten Papiere zu geben, wie es will und braucht sie auch nicht als solche zu bezeichnen. Wir würden sie herausfinden unter denen, die nicht in der Lage wären, einen Arierausweis, ein Mitgliedbuch der Partei, der deutschen Arbeitsfront, Fachschaftsausweise, Ausweise von Reichskammern usw. vorzulegen. Wer das kann, würde das Visum sofort erhalten. An der Grenze hätten wir eine saubere Ordnung. Der deutsche Vorschlag würde uns abhängig machen vom guten Willen der deutschen Behörden; er würde trotzdem die zudem nicht einmal genügend durchführbare Auslese des Juden vom Nichtjuden an der Grenze und damit zahlreiche unkontrollierte Einreisen von Emigranten bringen, dazu wahrscheinlich auch unerfreuliche und für unsere Beziehungen zu den ändern Ländern nicht ungefährliche Kritiken wegen Antisemitismus. Auch wäre er eine mangelhafte Lösung, dazu bloss für den Moment, und hätte zweifellos neue Reibungen in der Zukunft zur Folge.

Ich stelle Ihnen deshalb den Antrag, das politische Departement einzuladen, unserer Gesandtschaft in Berlin die Weisung zu erteilen, der deutschen Regierung auf geeignete Weise mitzuteilen, dass wir auf der Wiedereinführung des Visums bestehen müssen, und dem Bundesrat gemäss Ziffer 4 seines Beschlusses vom 30. August 1938 im Einvernehmen mit dem politischen Departement zu beantragen, das Visum auf 1. Oktober, d. h. auf den Tag nach Ablauf der Kündigungsfrist für alle Inhaber eines deutschen Passes wieder einzuführen.

1
Lettre (Copie): E 4300 (B) 1969/78/1. Ce document se trouve aussi dans E 2001 (D) 2/114.
2
Cf. E 2001 (D) 2/114.
3
Cf. No 368.
4
Cf. No 374.
5
Cf. No 372.
6
Cf. No 369.