Es ist in der letzten Zeit in den Berichten Ihrer Gesandtschaft verschiedentlich bemerkt worden, dass die deutsche Presse, wenigstens wenn darunter die massgebenden Blätter verstanden würden, keine Ausfälle mehr gegen die Schweiz sich zu schulden kommen lasse, dass aber andererseits die Einstellung schweizerischer Zeitungen zum deutsch-russischen Kriege stets noch Grund zu Beanstandungen gebe und eine grössere Mässigung dieser Organe in ihrer Stellungnahme zu den Kriegsgeschehnissen sich sehr empfehle. Wir können beifügen, dass wir diesen Rat auch von anderer Seite zu hören bekommen und dass wir ihn auch nach Gebühr beherzigen und, soweit es an uns liegt, ihm zur Berücksichtigung verhelfen.
Wir sind gerne bereit, zuzugestehen, dass sich im deutsch-schweizerischen Verhältnis manches gebessert hat und dass gewissen Wünschen von unserer Seite sowohl auf dem Gebiete der Presse als auch hinsichtlich der Situation der schweizerischen «Erneuerer» vermehrte Beachtung geschenkt worden ist. Diese Erfolge sind sicherlich nicht zum wenigsten der disziplinierteren Haltung unserer grossen schweizerischen Blätter zu verdanken, der gegenüber die gelegentlichen Entgleisungen der «Weltwoche», der «Nationalzeitung» oder der «Nation» nicht ins Gewicht fallen sollten. Indessen stehen leider diesen positiven Feststellungen andere Tatsachen gegenüber, die wir umsoweniger übergehen können, als sie die gegenwärtige Lage in bedeutend weniger günstigem Lichte zeigen und ein Gefühl der Beunruhigung hinterlassen.
Die Entsendung der schweizerischen Ärztemission2 hat bisher zwar für die darin zum Ausdruck kommende «individuelle» Hilfsbereitschaft Anerkennung gefunden, aber man beeilt sich, in den offiziösen Verlautbarungen hinzuzufügen, dass es abwegig wäre, daraus irgendwelche politische Rückschlüsse zu ziehen. Schon diese Äusserung beleuchtet die gegenwärtige deutsche Einstellung zur Schweiz, die durch eine grosse Reserve gegenüber unserm Lande gekennzeichnet wird, welcher Zurückhaltung eine verhaltene Glut sich verbirgt, die jederzeit wieder zur Flamme der Zwietracht entfacht werden kann. Dass diese Beurteilung nicht fehlgeht, beweisen eindrücklich genug die kürzlich im «Reich» erschienenen Auslassungen des Reichsministers Goebbels, die in der Schweizerpresse einen unmissverständlichen Widerhall gefunden haben3
. In einer Zeit, wo die Schweiz die Vertretung der deutschen Interessen in vielen Feindesländern übernommen hat4 und die Bedeutung ihrer internationalen Vermittlungstätigkeit auf diplomatischem und humanitären Gebiet in die Augen springt, ist es schwer verständlich, dass von deutscher Regierungsseite ein Aufgaben der schweizerischen Neutralität postuliert werden kann, denn eine Solidarisierung im Kampfe gegen Russland müsste notwendigerweise für unser Land zum Verlassen der neutralen Position und damit auch zum Untergang seiner internationalen Mission führen. Wir müssen uns wirklich fragen, ob die Befürworter unserer Teilnahme am Kriege gegen die U.S.S.R. sich dieser Zusammenhänge recht bewusst sind und wie schwer sie uns die Erfüllung einer Aufgabe machen, die doch auch weitgehend im Interesse des Deutschen Reiches selber liegt. Es ist uns natürlich sehr daran gelegen, dass keine neue Polemik über diese Dinge entbrennt, aber es wäre uns wohl kaum damit gedient, wenn alle Zumutungen, die an unser Land gestellt werden, stillschweigend eingesteckt würden.
Andere Umstände kommen hinzu, um die gegenwärtige Atmosphäre der deutsch-schweizerischen Beziehungen als wenig freundlich erscheinen zu lassen. Durch unsern Spionageabwehrdienst musste leider festgestellt werden, dass Beamte verschiedener deutscher Konsulate sich des unerlaubten Nachrichtendienstes schuldig gemacht haben. Der Konsulatssekretär Heilig5 in St. Gallen hat von einem schweizerischen Soldaten, der deswegen einer sehr schweren Bestrafung, vielleicht sogar der Todesstrafe entgegensieht, Pläne über militärische Stellungen und Befestigungen gegen Bezahlung zu erwerben gewusst; ferner liegt Verleitung zu Munitionsdiebstahl vor. Heilig, der geständig ist, wurde trotz des schweren Deliktes lediglich über die Grenze gestellt, und er hat sich wegen der ihm zuteil gewordenen entgegenkommenden Behandlung auch anerkennend geäussert. In der gleichen Spionagesache befindet sich der ebenfalls geständige Diener des St. Galler Konsulats noch in Haft. Ferner musste ein Beamter6 des Deutschen Konsulats in Basel, namens Bögemann, vor einigen Tagen ausgeschafft werden, da er durch einen schweizerischen Schwager, der Leutnant in unserer Armee ist und schwere Spionageverbrechen eingestanden hat, stark belastet wurde. Bögemann hat allerdings jede Schuld bestritten. Gegen weitere Beamte des gleichen Konsulats, wie anderer deutscher Konsulate, sind Untersuchungen noch im Gange, und es ist nicht ausgeschlossen, dass zu weitern Ausschaffungen geschritten werden muss. Es ist unnötig zu sagen, dass die Häufung solcher Vorkommnisse zu unerwünschten Folgen führen kann, die abzuwehren u. U. auch dem besten Willen schwer fallen könnte.
In diesem Zusammenhang verweisen wir noch darauf, dass im Jahre 1941 über 23 000 Deutsche das Visum für die Einreise in die Schweiz oder die Durchreise durch unser Land erhalten haben. Wenn man die entsprechende Zahl der deutschen Sichtvermerksbewilligungen an Schweizer daneben setzen wollte, so würde sie sich zweifellos äusserst bescheiden ausnehmen, und es ist begreiflich, dass dieser Zustand bei allem Verständnis für die aussergewöhnlichen Verhältnisse in Deutschland nicht befriedigen kann.
Mit unsern obigen Hinweisen verfolgen wir keinen ändern Zweck als Ihnen einige Aufklärungen zu geben und Sie darüber zu unterrichten, wie grosse Schwierigkeiten noch zu überwinden sind, bevor von einer wirklichen Besserung der Beziehungen zwischen Deutschland und der Schweiz gesprochen werden kann. Für alles dankbar, was Sie auch weiterhin zur Beseitigung der zahlreichen Hindernisse auf diesem steinigen Wege zu unternehmen in der Lage sind, benützen wir den Anlass, um Sie, Herr Minister, erneut unserer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.