dodis.ch/47469
Le Ministre de Suisse à Budapest, M. Jaeger, au Chef du Département politique, M. Pilet-Golaz1

Vertraulich

Die Kampagne der deutschen Presse gegen die in der Schweiz sich aufhaltenden Juden, Emigranten und Flüchtlinge, insbesondere der aufsehenerregende Artikel des «Völkischen Beobachters», der die Schweiz als Brutstätte der jüdischen Opposition und Intrigen gegen das Deutsche Reich hinstellte, wird Ihrer Aufmerksamkeit natürlich nicht entgangen sein. Diese Kampagne nimmt ein besonderes Gewicht an im Lichte der Nachrichten, die mir vertraulich zugegangen sind, über deutsche Bestrebungen gegen die Juden und Emigranten in Ungarn und anderswo.

In Budapest soll ein ständiger Druck, begleitet von offiziellen Demarchen, von Seiten des Reiches ausgeübt werden, der die restlose Entfernung der Juden aus dem ganzen Reichsgebiete Ungarns bezweckt, und zwar soll die Forderung anfänglich dahin gelautet haben, dass sämtliche Juden gesammelt und den Deutschen ausgeliefert werden sollten. Die Deutschen hätten den Abtransport per Eisenbahn der ungarischen Juden übernommen; sie wollten sich pro Person dazu vom ungarischen Staat noch Pengö 500.- Transportkosten bezahlen lassen, was bei der beträchtlichen Zahl der hiesigen Juden die nette Summe von über eine halbe Milliarde Pengö betragen hätte. Die Deutschen hätten die arbeitsfähigen Juden in die Ostgebiete verbracht, um sie dort zu Strassenbauten, Ameliorationen etc. etc. zu verwenden. Die nicht Arbeitsfähigen würden auf irgendwelche nicht näher bezeichnete Art zum Verschwinden gebracht werden.

Wie mir von slowakischer Seite vertraulich bekanntgegeben worden ist, sind diese Forderungen von Deutschland in der Slowakei effektiv durchgeführt worden. Sie entsprechen der von Hitler festgesetzten These, dass die Juden aus Europa ausgerottet werden müssen.

In Ungarn ist diesem Ansinnen bisher Widerstand entgegengesetzt worden. Auch der deutschen Forderung, dass die Juden in Ungarn den gelben Davidstern zu tragen hätten, ist bisher keine Folge gegeben worden. Dagegen hat die ungarische Regierung neuerlich eine Zählung der Juden vornehmen lassen und angeordnet, dass die arbeitsfähigen Juden prinzipiell zu konskribieren und in Arbeitslager einzuberufen seien, von wo aus sie von den ungarischen Behörden selber zu arbeiten hinter der Front und zu Strassen- und Feldarbeiten verwendet werden.

Wie weit in der Zukunft die deutschen Forderungen durchgesetzt werden können, hängt, wie letzten Endes alles, vom Ausgang des Krieges ab. Es ist unverkennbar, dass auch in Ungarn auf der ganzen Linie der Widerstand gegen den deutschen Druck sich verstärkt hat seit die Situation an den Fronten in Russland und in Afrika sich entsprechend verändert hat.

In diesem Zeichen des vorsichtigen Zuwartens ist die gesamte Politik Ungarns auf sämtlichen Gebieten derzeit zu werten.

Ganz vertraulich vernehme ich von finnischer Seite, dass die Deutschen an Finnland herangetreten seien mit der Forderung, ihnen die deutschen Emigranten in Finnland auszuliefern. Diese Forderung sei abgewiesen worden.

Auch dieses Vorkommnis scheint mir die volle Aufmerksamkeit der Schweiz zu verdienen.

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E 2300 Budapest 13.