dodis.ch/47605
Le Ministre de Suisse à Rome, P. Vieli, au Chef de la Division des Affaires étrangères du Département politique, P. Bonna1

Ich gelangte in den Besitz Ihres Schreibens vom 3. dies betreffend zwei im Berner «Bund» vom 3. September (Nr. 410) veröffentlichte Telegramme aus Mailand, bezw. aus Rom, wonach der ehemalige italienische Gesandte in Bern, Minister Tamaro2, kurz vor dem Sturze der Diktatur unter der Beschuldigung der Mittäterschaft bei einem Schwarzhandel mit Gold aus der fascistischen Partei ausgeschlossen worden sei und heute unter polizeilicher Bewachung stehe sowie über den Erwerb einer Villa in der Schweiz durch den früheren Staatsminister Rob. Farinacci.

Sie stellen fest, dass wir aus evidenten Gründen der Frage der Fluchtkapitalien alle Aufmerksamkeit schenken müssen, zumal, wie anzunehmen sei, die vorstehend wiedergegebenen Nachrichten in der internationalen Presse ein gewisses Echo finden werden.

Zu Ihren Ausführungen ist in allgemeiner Hinsicht zu bemerken, dass vor etwa 10 Tagen der italienischen Presse offenbar die Weisung zugekommen ist, den Finanzskandalen der ehemaligen Parteiführer einen grossen Raum in der Presse zu reservieren, während vorher darüber nichts hatte veröffentlicht werden dürfen. Es liegt auf der Hand, dass nunmehr die Presse sich dieser Skandalgeschichten mit Freude angenommen hat und dass jede Zeitung die andere mit derartigen Schauermärchen übertreffen will. Diese Meldungen sind somit, was die Einzelheiten anbelangt, mit grösster Vorsicht aufzunehmen, wenn auch in sachlicher Hinsicht keine Zweifel darüber bestehen, dass die Mitglieder der fascistischen Partei es recht gut verstanden haben, sich persönliche Vorteile zu verschaffen. Einen Beweis dafür, wie übertrieben solche Nachrichten manchmal sind, belieben Sie aus der am 3. September in der italienischen Presse veröffentlichten offiziösen Darstellung über das vorläufige Ergebnis der Untersuchung über ungerechtfertigte Bereicherungen zu entnehmen, wonach, beispielsweise was Ciano anbelangt, derselbe unter seinen vielen Gütern ein «principesco Villino» bewohnt habe. Nun trifft dies in keiner Weise zu, denn er hat in der Nähe der Gesandtschaft eine allerdings ansehnliche Wohnung gemietet, die jedoch nichts prinzliches an sich hat. Diese offiziöse Mitteilung gab sofort dem Sekretär des Grafen Ciano, seinem Onkel, die Gelegenheit, in der Presse gegen diese Anschuldigungen Verwahrung einzulegen unter Hinweis darauf, dass es mit der prinzlichen Villa nichts sei. Ich wiederhole somit, dass diese gegenwärtigen Meldungen aus Italien mit der allergrössten Vorsicht aufzunehmen sind. Dabei kann nicht darauf abgestellt werden, ob die italienische Zensur solche Mitteilungen zur Ausfuhr ins Ausland genehmigt oder nicht. Wie bereits oben erwähnt, hat sich nunmehr die Regierung entschlossen, auf diesem Gebiete der ungerechtfertigten Bereicherungen der Presse durchaus freie Hand zu lassen.

Was Herr Minister Tamaro anbelangt, so ist es selbstverständlich möglich, dass er, wie alle leitenden Personen des Fascismus, gegenwärtig unter polizeilicher Überwachung steht. Soweit ich unterrichtet bin, verkehrt er oder verkehrte er mindestens noch vor ungefähr 10 Tagen frei in der Stadt Rom. Nach meinen Erkundigungen, die ich mir bestätigen lassen werde, ist er vorläufig dem italienischen Aussenministerium zur Verfügung gestellt worden. Was den Schwarzhandel mit Gold anbelangt, so glaube ich nicht, dass etwas Wahres daran ist. Diese Angelegenheit ist wahrscheinlich in Verbindung zu bringen mit einem Zwischenfall, der sich anfangs dieses Jahres ereignet hat und wobei das italienische Aussenministerium einem Devisenschmuggel durch Vermittlung des italienischen diplomatischen Kuriers auf die Spur gekommen ist. Diese Angelegenheit hat dem Botschaftsrat der italienischen Botschaft in Berlin, Francesco della Porta, der seinerzeit auch in Bern gewesen ist, und - soweit ich unterrichtet bin - auch dem italienischen Konsularvertreter in Antwerpen die Posten gekostet. Damals hat man in Kreisen des Palazzo Chigi erzählt, dass Tamaro beinahe in die Sache verwickelt worden sei, indem offenbar aus den besetzten Gebieten die Kuriere an die Berner Gesandtschaft geleitet wurden, doch habe Tamaro nachweisen können, dass er von der ganzen Sache nichts gewusst habe.

Dass der italienische diplomatische Kurier mit der Schweiz zu Devisenschmuggel benutzt wurde, ist ja kein grosses Geheimnis und zwar in beiden Richtungen, indem offenbar gewisse Personen und vielleicht der Staat selbst, italienische Banknoten auf dem schweizerischen Markt absetzen wollten zwecks Beschaffung von Devisen, während das Personal der italienischen Gesandtschaft in Bern, das bekanntlich zum offiziellen Kurse entschädigt wird, die Gelegenheit wird dazu benützt haben, mittels des Kuriers billig erworbene italienische Banknoten nach Italien zu schicken.

Was den Fall Farinacci anbelangt, so war mir der im «Resto del Carlino» erschienene Artikel, wonach er in der Schweiz eine Villa erworben habe, nicht entgangen. Sie finden anbei einen Artikel des «Corriere della Sera» vom 6. September, wonach eingehend die einzelnen Objekte aufgezählt werden, die Farinacci erworben haben soll. Darin steht von einer Villa in der Schweiz nichts, dagegen aber von einer Reihe von Koffern, die er nach der Schweiz geschickt haben soll und von denen behauptet wird, es habe sich wahrscheinlich hier um Wertschriften gehandelt. Auch in diesem Falle werde ich versuchen, eingehende Auskünfte zu beschaffen, wobei jedoch darauf hinzuweisen ist, dass die Untersuchungen der eingesetzen Spezialkommission noch nicht zum Abschluss gebracht worden sind.

Man wird sich jedoch darüber im Klaren sein müssen, dass, wenn in der Presse nur Einzelfälle erwähnt werden, Fluchtkapitalien zugunsten von ehemaligen Fascisten jedenfalls in ganz grossem Umfange nach der Schweiz gebracht worden sind. Als Beispiel möchte ich auf den Besuch hinweisen, den einer meiner Mitarbeiter vor zwei Tagen von Seiten des liechtensteinischen Neubürgers Max Rosenberg erhalten hat. Derselbe machte geltend, dass ein Direktor der AGIP - Azienda Generale Italiana Petroli - eine Gesellschaft, die nahe Beziehungen mit der Partei hatte, von ihm im Frühling sein im Kanton Tessin gelegenes Gut habe erwerben wollen. Der fragliche Italiener habe, bevor der Kaufabschluss perfekt geworden war, auf das Konto Rosenberg bei einer Schweizerbank Fr. 400000.– einbezahlt. Auf meine Frage hin stellte Rosenberg fest, dass der fragliche Direktor der AGIP dank seiner Beziehungen mit dem Minister für Warenaustausch und Devisen - wohl damals noch Herr Raffaele Riccardi - die Ausfuhrbewilligung für die Fr. 400000.– ohne weiteres erhalten habe. In der Folge haben sich die Verhandlungen zerschlagen und Rosenberg gab dem Genannten gegen Sicherstellung von Fr. 200000.– in der Schweiz einen Kredit in italienischen Liren. Nunmehr verlangt die vorerwähnte Kommission die sofortige Rückerstattung des Frankenbetrages, wobei ihm der Gegenwert zum offiziellen Kurs in Lire zur Verfügung gestellt werden soll, was ihm jedoch nicht passen kann, da der in Lire eröffnete Kredit viel grösser war. Die Einzelheiten dieser Transaktion interessieren uns nicht in diesem Zusammenhänge, sondern nur die Tatsache, dass ein Direktor der AGIP ohne weiteres zu einem Grundstückkauf die Bewilligung erhalten konnte, Fr. 400000.– zu erwerben. Wie viele Millionen werden bei dieser Sachlage den fascistischen Parteiführern zur Verfügung gestellt worden sein! [...]

P.S.: Mit Bezug auf Herrn Minister Tamaro möchte ich noch auf einen Punkt in Ihrem Brief antworten, der in den vorstehenden Ausführungen nicht berücksichtigt wurde. Es ist richtig, dass Herr Tamaro kurz vor dem Sturze des Regimes aus der fascistischen Partei ausgeschlossen worden ist. Diese Mitteilung wurde mir von einem Bekannten des Aussenministeriums gemacht und in der Folge von Herrn Tamaro, als ich denselben einmal traf, bestätigt. Der Grund für diesen Ausschluss liegt aber nicht in irgendwelcher Mittäterschaft bei einem Schwarzhandel mit Gold. Über diesen Punkt habe ich weiter oben ausführlich berichtet. Tamaro wurde aus der Partei vielmehr wegen «Judenfreundlichkeit» ausgeschlossen und zwar im Zusammenhang mit der Angelegenheit Castiglione/L. F. Meyer3, die in der Schweiz bekanntlich ziemlich viel Staub aufgewirbelt hat. Tamaro scheint sich in der Tat schon vor zwei Jahren sehr intensiv für Castiglione eingesetzt zu haben, was offenbar in hiesigen fascistischen Kreisen Anstoss erregt hat.

1
Lettre: E 2300 Rom/48. Pilet-Golaz a mis ce document en circulation parmi ses collaborateurs le 16 septembre 1943. Lors de sa séance du 17 septembre 1943, à la suite d’un exposé du Chef du Département politique, le Conseil fédéral décide d’autoriser Pilet-Golaz à faire revenir, pour rapport, le Ministre de Suisse à Rome (cf. PVCF ° 1655, E 1004.1 1/437).
2
Cf. E 2001 (E) 1/38.Cf. aussi E 2001 (E) 1967/113/436.
3
Cf. E 2001 (D) 3/261.