dodis.ch/48207 Notiz für den Vorsteher des Politischen Departements, P. Aubert1

Sommerzeit2

1. Tatbestand

a) Die Bundesversammlung hat am 24. Juni 1977, gestützt auf Art. 40, Abs. 1 der Bundesverfassung und nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates über ein Zeitgesetz vom 11. Mai 19773, folgendes beschlossen:

«1 Der Bundesrat kann, um Übereinstimmung mit benachbarten Staaten zu erreichen, die Sommerzeit einführen.

3 Der Bundesrat legt jeweils den Zeitpunkt der Umstellung fest».

b) Gegen das Zeitgesetz wurde aus vorwiegend bäuerlichen Kreisen mit 83'151 Unterschriften das Referendum ergriffen.

Der Souverän wird sich gemäss Bundesratsbeschluss vom 1.2.19784 am 28. Mai 19785letztlich zu äussern haben.

Im Falle einer Annahme des Referendums wird das Gesetz nicht rechtswirksam, sondern geht zurück an den Bundesrat.

Im Falle einer Ablehnung des Referendums, was 1977 leicht wahrscheinlich gewesen wäre6, wird dem Bundesrat die Kompetenz eingeräumt, in Übereinstimmung mit den benachbarten Staaten gegebenenfalls eine Sommerzeit einzuführen.

2. Die gegenwärtige Situation im Inland

a) In Bern ist in den ersten Tagen dieses Monats ein Patronatskomitee gebildet worden (kantonale Aktionskomitees sind ebenfalls vorgesehen), das die zur Abstimmung gelangende Vorlage bekämpfen will. Nach Meinung des Landwirtschaftlichen Informationsdienstes (LID) ist eine breitangelegte Aufklärung der Bevölkerung geplant. Die Landwirtschaft sei überzeugt, dass sie auch in den andern Bevölkerungskreisen auf Unterstützung zählen könne. Die Sommerzeit bringe der Schweiz keine Vorteile, vielen Mitbürgern aber Nachteile, und zwar nicht nur den Bauern7 (Schwierigkeit, die Kinder ins Bett zu bringen, Störung des Biorythmus, etc. ...).

b) In Anlehnung an die verwaltungsinterne Kompetenzenverteilung8 vom 22.3.1977 in dieser Angelegenheit, wird das Eidg. Amt für Messwesen demnächst aufklärende Beiträge zum Thema Sommerzeit in der Presse verbreiten9.

c) Nach Auskünften des Schweiz. Fremdenverkehrsverbandes will dieser «pro-Sommerzeit» organisieren.

3. Die gegenwärtige Situation in Europa

a) Nach den bei uns vorliegenden Informationen wird die Sommerzeit 1978 in Belgien, den Niederlanden, Luxemburg, Frankreich, Portugal, Griechenland und der Türkei am 2. April beginnen. Mit Ausnahme von Griechenland und der Türkei, wo die Sommerzeit am 24. September enden soll, wird sie durchwegs am 1. Oktober enden.

In Italien wird die Sommerzeit am 28. Mai 1978 beginnen und am 1. Oktober enden. Italien ist nur bereit, sich auf die «französische Sommerzeit» umzustellen, falls dies auch die Schweiz (und die BRD) tut.

In Grossbritannien und Irland beginnt die Sommerzeit bereits am 19. März und endet erst am. 29. Oktober 1978. Langfristig sind diese beiden Staaten aber bereit, die französische Lösung zu akzeptieren, falls sich die kontinentalen EG-Staaten ihr anschliessen.

Im Nordischen Rat, der die Länder Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland und Island umfasst, wurde kürzlich beschlossen, dass ein Entscheid über die Einführung der Sommerzeit noch nicht reif sei.

In Österreich wird 1978 gemäss Beschluss des Ministerrates vom 17.1.1978 keine Sommerzeit eingeführt. Die Bundesregierung hatte zwar am 14.6.1977 beschlossen, dass die Sommerzeit vom 2.4.–30. September eingeführt werden sollte, da zu jenem Zeitpunkt seitens der BRD und der Schweiz die erklärte Absicht bestand, im Jahre 1978 die Sommerzeit einzuführen. Der Entscheid für 1979 hängt von der Schweiz und der BRD ab. Dasselbe gilt für Liechtenstein.

In der BRD wird auch 1978 keine Sommerzeit stattfinden. Eine entsprechende Zeitgesetzesvorlage vom 4.4.1977 zur Einführung der Sommerzeit sollte dem Bundestag am 15. Juni 1977 vorgelegt werden, wurde jedoch zurückgezogen. Ob der deutsche Bundestag diese Vorlage noch dieses Jahr behandeln wird, ist nach Darlegungen der Schweizer Botschaft in Bonn noch ungewiss. In der BRD spielen neben der bäuerlichen und gewerkschaftlichen Opposition noch politische Aspekte, wie die West-Berlinfrage, eine bedeutende Rolle. Im übrigen wartet Deutschland auf den schweizerischen Entscheid.

b. Eine nicht unbedeutende Rolle für die Einführung einer harmonisierten Sommerzeit kommt somit der Schweiz zu, dies insofern, als die angrenzenden Länder BRD, Österreich, Liechtenstein und Italien ihren Entscheid weitgehend von uns abhängig machen. In einer Antwort auf eine Anfrage von Herrn Berkhouwer an den Rat der Europäischen Gemeinschaften wurde u. a. dazu folgendes ausgeführt: «Der Rat macht den Herrn Abgeordneten darauf aufmerksam, dass es bei der Harmonisierung der europäischen Sommerzeit nicht um eine rein technische Frage geht. Eine solche Harmonisierung wirft nämlich sowohl auf Verwaltungsebene als auch im wirtschaftlichen und sozialen Bereich echte Schwierigkeiten auf. Dazu kommt, dass die Einführung oder Änderung der Sommerzeit eine Änderung der Rechtsvorschriften einiger Mitgliedstaaten notwendig macht. Schliesslich ist noch die Frage offen, ob die Schweiz als wichtiges Durchfuhrland für innergemeischaftliche Beförderungen bereit wäre, sich der von der Gemeinschaft beschlossenen Regelung (1979: 1.4–14.10) anzuschliessen.»

c) An einer vom schweizerischen Vertreter beim Europarat angeregten und am 5. und 6. Dezember in Strassburg durchgeführten Sitzung des «Comité ad hoc d'experts sur l'introduction de l'heure d'été en Europe10» wurde festgehalten, dass für 1979 Ansätze für eine hinsichtlich Anfang und Ende harmonisierte Sommerzeit bestehen. Ob dies allerdings realisierbar sei, hänge vor allem davon ab, ob die Regierung der BRD, auf die die überwiegende Anzahl der unentschlossenen Länder abstellt, das Zeitgesetz dem Bundestag frühzeitig, d. h. vor den Sommerferien, vorlegen werde. Eine entscheidende Wendung dürfte u. E. die Diskussion zugunsten der Einführung einer harmonisierten Sommerzeit in der BRD im speziellen und in Westeuropa im allgemeinen dann nehmen, wenn das Schweizervolk das Referendum verwerfen sollte, womit dem Bundesrat die Kompetenz zufallen würde, in Übereinstimmung mit den benachbarten Staaten, eine einheitliche Sommerzeit einzuführen. Sollte der Souverän das Referendum hingegen gutheissen, so würde die Schweiz (d. h. die schweizerische Landwirtschaft) eine gesamteuropäische Lösung über Jahre hin verunmöglichen, was nicht zu vernachlässigende aussenpolitische Folgen zeitigen könnte, dies ganz abgesehen von den wirtschaftlichen Nachteilen eines schweizerischen Alleingangs, bzw. einer nicht-harmonisierten Regelung des Problems.

4. Weiteres Vorgehen

In einer verwaltungsinternen Sitzung werden wir das weitere Vorgehen, vor allem in Anbetracht des soeben gegründeten Patronatskomitees gegen die Einführung der Sommerzeit, besprechen11. Jedenfalls sollte sich aber auch der Bundesrat demnächst darüber klarwerden, mit welchem Intensitätsgrad er in den Abstimmungskampf eingreifen will, nachdem er in der Antwort auf die Anfrage Butty (76.780) auf die negativen Auswirkungen der gegenwärtigen Lage hingewiesen hat (s. Beilage)12.

1
Notiz: CH-BAR#E7113A#1990/132#126* (777.110). Verfasst von A. Egger und unterzeichnet von F. Blankart. Kopie an A. Weitnauer, P. R. Jolles, C. Sommaruga, den Rechtsdienst der Finanzverwaltung und das Amt für Mass und Gewicht des Finanz- und Zolldepartements, das Generalsekretariat und das Amt für Verkehr des Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement, die schweizerische Mission bei den europäischen Gemeinschaften in Brüssel und den ständigen Vertreter der Schweiz beim Europarat in Strassburg.
2
Vgl. dazu auch den Bericht des Finanz- und Zolldepartements vom 25. April 1977, dodis.ch/48105.
3
Botschaft des Bundesrats über ein Zeitgesetz vom 11. Mai 1977, dodis.ch/52182.
4
BR-Prot. Nr. 132 vom 1. Februar 1978, CH-BAR#E1004.1#1000/9#852*.
5
Das Zeitgesetz vom 24. Juni 1977 wurde mit 52,1% Nein-Stimmen und von 14 4/2 Ständen verworfen. Vgl. dazu BBl, 1978, II, S. 365–368.
6
Fussnote im Originalext: Gemäss einer Meinungsumfrage im März 1977 von Isopublic im Auftrag der «Weltwoche» bei 1000 Personen vermochte sich nur die Hälfte (51%) der Schweizer für die Sommerzeit zu erwärmen: 41% waren damals noch dagegen. Mit 46 zu 45% war die deutsche Schweiz unentschieden, während sich die Westschweiz mit 66% zu 29% überwiegend für die Sommerzeit aussprach.
7
Vgl. dazu das Schreiben von F. Blankart an J.-C. Piot vom 22. April 1977, dodis.ch/48104.
8
Fussnote im Originaltext: «Vu les incidences sur le plan international et national, la proposition au Conseil fédéral sera faite conjointement par le chef du département politique [P. Aubert] et par le chef du département des finances [G.-A. Chevallaz]. La coordination sera confiée au département des finances, la surveillance de l'exécution en Suisse au Bureau des poids et des mesures, et les contacts avec l'étranger au Bureau de l'intégration. Le secrétariat général du Département des transports et communications et de l'énergie assurera le contact avec les milieux des transports et de l'énergie. L'exécution restera l'affaire des cantons». (Procès verbal de la Séance du 22.3.1977 concernant l'introduction en Suisse de l'heure d'été). Vgl. die Notiz von J. M. Virieux vom 22. März 1977, dodis.ch/52183.
9
Vgl. dazu den Bericht vom 20. April 1978, dodis.ch/48107.
10
Vgl. dazu den Bericht von A. Egger vom 28. Dezember 1977, dodis.ch/52199. Zum Europarat vgl. ferner die Notiz von F. Blankart an die Politische Direktion des Politischen Departements vom 14. April 1977, dodis.ch/48110.
11
Vgl. dazu das Protokoll von O. Piller der Sitzung vom 31. März 1978, dodis.ch/48106.
12
BR-Prot. Nr. 2144 vom 29. November 1976, dodis.ch/52193.