Am Sonntag, den 22. Mai, wurde Botschaftsrat Vogelbacher von der Schweizerischen Botschaft in Madrid ins spanische Aussenministerium gerufen, wo ihm Unterstaatssekretär Solano erklärte, die spanische Regierung sei über die Ereignisse und die Lage in den vier baskischen Provinzen zutiefst beunruhigt2. Sie befürchte, dass die ordentliche Durchführung der Wahlen vom 15. Juni3 in diesen Provinzen in Frage gestellt wird. Dem Begehren der baskischen Nationalisten und der baskischen Befreiungsfront ETA nach einer totalen Amnestie kann die Regierung aus politischen Gründen nicht entsprechen. Im Anschluss an den Ministerrat vom Freitag sei der Entscheid getroffen worden, alle baskischen Gefangenen freizusetzen, unter der Bedingung, dass sich diese unverzüglich ins Exil begeben. Dies erfolge unter folgenden Voraussetzungen:
Der spanische Unterstaatssekretär ersuchte die Schweizer Botschaft zu sondieren, ob der Bundesrat bereit sei, einige wegen Terrorakten gefangen gehaltene Basken in der Schweiz aufzunehmen4.
Gegenwärtig sind 23 Basken in Haft, 8 sind bereits abgeurteilt, gegen 15 weitere läuft ein Gerichtsverfahren. Es handelt sich in allen Fällen um Gewaltverbrechen, wobei nach Auskunft der französischen Botschaft in Madrid 12 Fälle besonders gravierend sind, da es sich bei den Verbrechen nach dem französischen Strafrecht um Ermordungen handelt. Soweit die schweizerische Botschaft in Madrid erfahren konnte, sind die spanischen Behörden in dieser Sache auch an die Botschaften der Bundesrepublik Deutschland, Norwegens, Schwedens und Belgiens gelangt. Es ist wahrscheinlich, dass sie auch noch mit Vertretern anderer Regierungen Kontakt aufgenommen haben5.
Belgien hat sich bereit erklärt, 5 Inhaftierten das Exil zu gewähren. Die Bonner Behörden erklären, dass sie vorerst die Länder konsultierten müssen; es ist nicht auszuschliessen, dass die bundesdeutschen Behörden Sympathiekundgebungen der terroristischen Gruppen auf ihrem Gebiet befürchten6 und deshalb einen Entschluss verzögern.
Die Situation in den baskischen Provinzen hat sich in den letzten Wochen stark zugespitzt. Die Bevölkerung hegt ein tiefes Misstrauen, wenn nicht gegenüber der Regierung, so auf jeden Fall gegenüber Polizei und Armee. Es besteht deshalb keine Gewähr, dass die Ausreise der Exilierten den von der Regierung gewünschten Beruhigungseffekt haben wird. Die Regierung will jedoch alles unternehmen, um einen Boykott der Wahlen in den baskischen Provinzen zu verhindern; nur so dürfte es möglich sein, im neuen Parlament über gültige baskische Vertreter zu verfügen, mit denen die Frage des Autonomiestatuts besprochen werden kann.
Aus der Sicht des Politischen Departements sind Massnahmen, die zur Förderung der Demokratie in Spanien beitragen, zu begrüssen. Im vorliegenden Fall sind dagegen natürlich die Gefahren der Asylgewährung an politische Agitatoren, die mit grosser Wahrscheinlichkeit an Gewaltverbrechen beteiligt waren, abzuwägen. Es obliegt dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement, diese Frage aus seinem Zuständigkeitsbereich zu beurteilen. Politische Erwägungen lassen jedoch eine Exilgewährung an 3 bis 5 inhaftierte Basken, die sich zur Unterlassung jeder politischen Tätigkeit in der Schweiz verpflichten müssen, als opportun erscheinen7.