dodis.ch/58462Gespräche des Vorstehers des EVD, Bundesrat Delamuraz, und des Vorstehers des EDA, Bundesrat Felber, mit dem argentinischen Aussenminister1

Besuch des argentinischen Aussen- und Kultusministers Guido di Tella2

Am 12. April 1991 weilte der argentinische Aussenminister Guido di Tella (T) zu einem offiziellen Arbeitsbesuch in Bern, wobei er von den Bundesräten Jean-Pascal Delamuraz (CFD) und René Felber (BRF) empfangen wurde. Während des Besuches bei Bundesrat Delamuraz wurden ein Investitionsschutzabkommen,3 das dritte bilaterale Umschuldungsabkommen im Rahmen des Club de Paris4 sowie eine Absichtserklärung zur Weiterführung der Verhandlungen über ein Doppelbesteuerungsabkommen unterzeichnet.5

Der Besuch wurde durch einen von der schweizerisch-argentinischen Handelskammer organisierten Vortrag mit anschliessender Fragestunde eröffnet. [Di Tella], von Haus aus Ökonom, war für die anwesenden Vertreter der in Argentinien interessierten Schweizer Industrie ein äusserst kompetenter und in zahlreichen Gebieten versierter Gesprächspartner, der alle Fragen über die derzeitigen Wirtschaftsliberalisierungsmassnahmen sowie die Versuche der argentinischen Regierung, den Anschluss an die Weltwirtschaft wiederzuerlangen, zur vollen Zufriedenheit des Publikums beantwortete. Dabei kamen vor allem Themen im Rahmen des kürzlich erlassenen Herbstplanes zur Sprache: Fixierung des Dollarkurses, Desindexierung der Wirtschaft und volle Deckung der Geldmenge durch die Zentralbankreserven.

Bei den Gesprächen zwischen [Bundesrat Delamuraz] und [di Tella] kamen hauptsächlich die bilateralen und internationalen wirtschaftlichen und finanziellen Themen zur Sprache. [Di Tella] umriss in kurzen Worten die Ende der 80er Jahre initiierten politischen und wirtschaftlichen Reformprozesse in Argentinien.6 Das nach innen gekehrte dirigistische Importsubstitutionssystem mit seinen protektionistischen Wirtschaftsmassnahmen und populistischen Regierungsprogrammen sei endgültig zu Grabe getragen worden. Man hoffe nun, dass mit den in Gang gesetzten graduellen wirtschaftlichen Anpassungsmassnahmen, der Anschluss ans Weltwirtschaftssystem wiederzuerlangen sei, so wie dies vor 50 Jahren noch der Fall war.7 Diese gegenwärtig stattfindenden Umwälzungen sowohl im politischen als auch im wirtschaftlichen Bereich seien jedoch nicht nur isoliert in Argentinien feststellbar, sondern ähnliches geschehe auf dem ganzen lateinamerikanischen Subkontinent.8 Überdies zeigte sich [di Tella] sehr überzeugt, dass das am 26. März 1991 in Asuncion unterzeichnete Abkommen mit Brasilien, Uruguay und Paraguay über die bis 1994 zu erfolgende Bildung eines Freihandelsgebietes des Mercosur9 ebenfalls mithelfe, die künstlichen internen Stützungsmassnahmen abzubauen, ohne dass man dabei das Welthandelssystem im Sinne des GATT aus den Augen zu verlieren gedenke. Schliesslich soll mit dem Abbau der internen Zollschranken auch eine Senkung der Aussenzölle des Mercosur einhergehen. [Di Tella] äusserte sich höchst befriedigt über die durch die drei Abkommen mit der Schweiz erreichte Verbesserung der bilateralen Rahmenbedingungen und gab der Hoffnung Ausdruck, dass man schon bald mit der Aushandlung des Doppelbesteuerungsabkommens weiterfahren könne.10 Des weiteren versicherte [di Tella], dass im September dieses Jahres ein neues Gesetz betreffend das geistige Eigentum ausgearbeitet werden sollte, damit auch diese flankierende Massnahme zum Investitionsanreiz abgedeckt sei.11

[Bundesrat Delamuraz] im Gegenzug beglückwünschte den Willen der Regierung Argentiniens, die Wirtschaft weiter zu öffnen und unterstrich die Bedeutung der Abkommen sowohl was die bilateralen Beziehungen als auch die Binnenwirtschaft Argentiniens angehe.12 Zudem sollte diese Stärkung der bilateralen Beziehungen auch den Willen der Schweiz unterstreichen, die Aufmerksamkeit von der zur Zeit dominierenden eurozentristischen Haltung abzuwenden und die Präsenz im Welthandelssystem zu stärken.13[Bundesrat Delamuraz] nutzte die Gunst der Stunde, indem er [di Tella], einem Repräsentanten der CAIRNS-Gruppe der Agrarexportländer,14 nahelegte, auch von ihrer Seite den Goodwill im Bereiche der Forderungen im Agrardossier aufzubringen, damit die Uruguay-Runde gut ausgehen werde.15 Auch im Bereiche der Dienstleistungen wäre die Schweiz erfreut, wenn die Argentinier sich etwas flexibler zeigten, ähnlich, wie sie dies beim geistigen Eigentum bereits demonstrierten.16 [Di Tella] äusserte sich dahingehend positiv, indem er festhielt, dass die Welt eins sei, demnach der Handel ebenfalls als eine Einheit angesehen werden müsse und man deshalb unbedingt nach global akzeptierten Lösungen im Welthandel suchen müsse, damit dieser aufrechterhalten werden könne. Was den Regionalismus anbelangt, so prangerte [Bundesrat Delamuraz] die von zahlreichen aussereuropäischen Staaten befürchtete mögliche Bildung einer wirtschaftlichen «Festung Europa» an und versicherte, dass die Schweiz eine solche Entwicklung in keiner Weise zu unterstützen gedenke. [Di Tella] hob in diesem Zusammenhang das Schuldenproblem [hervor], ohne Lösung desselben es in absehbarer Zeit keine Entwicklung gäbe.17 Mit der Unterzeichnung des 3. Umschuldungsabkommens und der Einhaltung der Verpflichtungen Argentiniens (post cut-off date Forderungen sowie solche aus den beiden vorgängig unterzeichneten Abkommen) wäre die Schweiz ihrerseits wieder in der Lage die vorläufig für langfristige Kredite geschlossene Exportrisikogarantie erneut zu öffnen, was zweifelsohne positive Effekte auf die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und Argentinien zeitigen würde.

In der Unterredung mit [Bundesrat Felber] unterstrich [di Tella] die erreichten und wohl kaum redimensionierbaren Fortschritte im Bereiche der Demokratisierung und politischen Öffnung Argentiniens in Richtung der Industrienationen, was die Teilnahme am Golfkonflikt dokumentierte.18 [Di Tella] unterstrich die heutige Notwendigkeit einer pragmatischen Problemlösung anstelle der wie bis anhin betriebenen dogmatischen. Auch gegenüber[Bundesrat Felber] betonte [di Tella] nochmals die Wichtigkeit und Vorteile eines offenen Welthandelssystems gegenüber demjenigen einzelner regionaler Wirtschaftsblöcke.19

1
CH-BAR#E2010A#2001/161#1694* (B.15.21(4)). Diese Notiz wurde von Hans-Peter Egler, dem stv. Chef der Sektion lateinamerikanische Entwicklungsländer im Bundesamt für Aussenwirtschaft des EVD, verfasst und am 23. April 1991 mit einer von Sektionschef Jean-Jacques Maeder unterzeichneten Übermittlungsnotiz versendet. Die hier edierte Kopie ging an die Politische Abteilung II des EDA, das zugehörige Begleitschreiben wurde vom stv. Abteilungschef François Chappuis visiert. Weitere Kopien gingen an diverse Amtsstellen und Personen des EDA, des EFD und des EVD. Für die Verteilerliste vgl. das Faksimile dodis.ch/58462.
2
Der Besuch Guido di Tellas setzte einen vorübergehenden Schlusspunkt hinter die schweizerischen Bemühungen, einen Vertreter der argentinischen Regierung nach Bern einzuladen. Nachdem im Rahmen des World Economic Forum 1990 kein Treffen mit dem argentinischen Präsidenten Carlos Menem zustande gekommen war (für das bundesrätliche Ansinnen vgl. dodis.ch/54583), musste auch die ein Jahr später geplante Visite aufgrund des argentinischen Engagements im persischen Golf abgesagt werden, vgl. dazu dodis.ch/60302. Hinzu kam, dass Wirtschaftsminister Antonio González, der den Besuch vom 30. und 31. Januar 1991 ursprünglich anstelle des verhinderten Präsidenten wahrnehmen wollte, kurzfristig zurücktreten musste.
3
Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Argentinien über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Investitionen vom 12. April 1991, AS, 1999, S. 1598–1606.
4
Für das Umschuldungsabkommen vgl. das BR-Prot. Nr. 617 vom 19. März 1990, dodis.ch/56069. Für die vorbereitende Gesprächsnotiz zum Investitionsschutz- und dem Umschuldungsabkommen vgl. dodis.ch/59927.
5
Zu den Verhandlungen über ein Doppelbesteuerungsabkommen mit Argentinien vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C2089.
6
Vgl. dazu dodis.ch/54838.
7
Zur wirtschaftlichen Situation Argentiniens vgl. dodis.ch/58789 und dodis.ch/59506.
8
Vgl. dazu bspw. die Situation in Mexiko, DDS 1990, Dok. 4, dodis.ch/56233 und in Brasilien, DDS 1990, Dok. 26, dodis.ch/56121.
9
Der Vertrag über das Freihandelsgebiet Mercosur trat am 29. November 1991 in Kraft. Das erste Gipfeltreffen des Mercosur fand am 17. Dezember 1991 in Brasilia statt, vgl. dazu den Bericht der schweizerischen Botschafterin in Brasilia, Catherine Krieg, dodis.ch/58869.
10
Vgl. Anm. 5.
11
Das geistige Eigentum stellte einen fundamentalen Aspekt der industriellen Zusammenarbeit der Schweiz dar und war auch Bestandteil von Verhandlungen mit anderen lateinamerikanischen Ländern. Vgl. dazu die Zusammenstellung dodis.ch/C2048.
12
Zum Stand der schweizerisch-argentinischen Beziehungen vgl. den Schlussbericht des schweizerischen Botschafters in Buenos Aires, Karl Fritschi, vom 3. Januar 1991, dodis.ch/58412.
13
Der Hinweis auf die Universalität der schweizerischen Aussenpolitik und die Idee, dass die Schweiz ihre Beziehungen nicht auf ihre europäischen Partner beschränken sollte, findet sich in zahlreichen Dokumenten zu bilateralen Besuchen der Schweiz, vgl. DDS 1990, Dok. 4, dodis.ch/56233 (Mexiko), Dok. 26, dodis.ch/56121 (Brasilien) und DDS 1991, Dok. 10, dodis.ch/57647 (Südkorea und Singapur); Dok. 21, dodis.ch/57590 (China); Dok. 47, dodis.ch/57398 (Indien).
14
Die Cairns-Gruppe konstituierte sich kurz vor Beginn der Uruguay-Runde des GATT 1986 und setzt sich aus 19 Agrarexportnationen zusammen. Zum Ablauf der Agrarverhandlungen im Rahmen der Ministerkonferenz vom 3. bis 7. Dezember 1990, vgl. DDS 1990, Dok. 57, dodis.ch/54822, Punkt 3.1.
15
Zur Uruguay-Runde des GATT vgl. DDS 1991, Dok. 5, dodis.ch/58864 und die thematische Zusammenstellung Uruguay-Runde (1986–1994), dodis.ch/T1419.
16
Zur schweizerischen Haltung vgl. die vorbereitende Gesprächsnotiz vom 22. Januar 1991, dodis.ch/59928.
17
Für die Situation der argentinischen Auslandschulden vgl. dodis.ch/58461.
18
Zur aussenpolitischen Neuorientierung Argentiniens vgl. den Politischen Bericht Nr. 7 des schweizerischen Botschafters in Buenos Aires, Adolf Lacher, vom 25. Oktober 1991, dodis.ch/60306.
19
Für eine Zusammenfassung des Gesprächs vgl. die Notiz von Aldo de Luca von der Politischen Abteilung II des EDA vom 14. Mai 1991, dodis.ch/58463.