dodis.ch/64861Notiz des Integrationsbüros EDA/EVD zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Ständerats1

Ständerat GPK: EWR-Informations- und Aufklärungskampagne

Frage 1a) Welche Ziele sind – belegbar – erreicht worden, welche wurden verfehlt?

Die Informations- und Aufklärungstätigkeit des Integrationsbüros EDA/EVD im Hinblick auf die EWR-Abstimmung vom 6. Dezember 19922 wurde von Beginn weg mit dem Instrument einer unabhängigen, aussenstehenden Erfolgskontrolle ausgestattet.3 Die gesamte Phase der Informationstätigkeit wurde durch das GfS-Forschungsinstitut, Bern, unter der Leitung von Claude Longchamp demoskopisch begleitet. Zu diesem Zweck wurden ca. 3,5% des Informationskredites von 5,9 Mio. Franken (Fr. 200 000.–) eingesetzt. Die folgenden Aussagen stützen sich auf diese Forschungsergebnisse,4 die Ergebnisse der Nachbefragung zur Abstimmung (Vox-Analyse)5 und die Erfahrungen des Integrationsbüros EDA/EVD.6

Zielsetzung der Informationstätigkeit

Das Ziel der Informationstätigkeit des Integrationsbüros EDA/EVD war zweigeteilt: einerseits die Kenntnisse in der schweizerischen Bevölkerung zu Geschichte, Funktion und Organisation(en) der europäischen Integration zu verbessern und andererseits das EWR-Abkommen in seinen Auswirkungen, seiner Funktionsweise und seiner Bedeutung für die Schweiz zu erklären. Dabei wurde neben dem rechtlich vorgegebenen Rahmen der faktuellen und objektiven Information auch festgelegt, dass die EWR-Information als Hol-Schuld zu konzipieren sei. Das heisst, Informationswilligen wurde ein breites Angebot an Informationsleistungen zur Verfügung gestellt, die Intiative zur Anforderung der Information musste aber vom Benutzer ausgehen.7 Information als Bringschuld von Bundesrat und Verwaltung wurde einzig im üblichen Rahmen der Erläuterungen des Bundesrates an alle Stimmberechtigten verteilt.

Erreichte und nicht erreichte Ziele

Die Informationstätigkeit von Bundesrat und Verwaltung kann nicht losgelöst von den übrigen Informationsanstrengungen beurteilt werden, da auch Parlament, Parteien, Presse, Komitees usw. einen gewichtigen Beitrag zur Informationsvermittlung beigetragen haben.

Die Informiertheit der Stimmberechtigten konnte im Vorfeld der Abstimmung eindeutig gesteigert werden und erreichte einen vergleichsweise hohen Stand. Von 10 Stimmberechtigten bezeichneten sich 3 als gut, 2 als mittelmässig, 4 als rudimentär, aber ausreichend und 1 als ungenügend informiert. Die für die Informationstätigkeit relativ kurze zur Verfügung stehende Zeit reichte zwar aus, eine erhöhte Vertrautheit mit der Materie zu erzielen, jedoch kaum, um eine prinzipielle und strukturelle Verbesserung des Informationssockels zu Fragen der europäischen Integration zu erreichen. Nachdem gemäss Vox-Analyse der Informationsstand direkt positiv mit dem Stimmverhalten korrelierte, erwies sich somit der Zeitfaktor als Hindernis.

Die allgemeine Mediennutzung war sehr intensiv und erreichte für Volksabstimmungen Spitzenwerte. Die Akzeptanz der eingesetzten Mittel war mehrheitlich gegeben.

Nicht in ausreichendem Masse konnte hingegen die eigentliche Informationsarbeit des Bundes von der Abstimmungskampagne getrennt werden, insbesondere in zeitlicher Hinsicht. Dies mag an der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit gelegen haben, jedoch auch daran, dass die Erwartungshaltung an die Informationstätigkeit des Bundes relativ hoch gewesen ist. Die vorbereitende und korrigierende Wirkung der Informationstätigkeit ist deswegen beschränkt geblieben. Die vor allem in der Deutschschweiz starke Skepsis gegenüber dem EWR-Abkommen führte dazu, dass die Information oft reaktiv eingesetzt werden musste.

Insgesamt kann die Informationsleistung innerhalb des rechtlich und politisch vorgegebenen Rahmens als gelungen bezeichnet werden.

Frage 1b) Welche Mittel erwiesen sich als wirkungsvoll, welche gingen daneben?

Insgesamt erreichten die eingesetzten Mittel nicht den Bekanntheitsgrad etwa der Erläuterungen des Bundesrates,8 was mit dem gewählten Verteilprinzip in Zusammenhang steht. Dennoch haben einige Informationsmittel einen vergleichsweise hohen, bis sehr hohen Bekanntheitsgrad erreicht, was bei der gewählten passiven Distributionsweise eine unabdingbare Voraussetzung für die Nutzung der Informationsmittel war.

Die nachfolgende Tabelle gibt weitere Anhaltspunkte:

Informationsmittel Kenntnis Nutzung Bewertung
pos. neutr. neg.
Angaben in % Stimmberechtigter
Bundesbüchlein 52 22 46 24 13
EWR-Briefkasten «Blick»* 27 7 42 33 12
Der Schweiz. Weg in die europ. Zukunft9 24 6 63 35 00
Europa mit der Schweiz 20 6 59 24 05
Ausstellung 22 5 45 35 03
Die Schweiz in Europa10 17 4 50 37 07
Europa-Telefon 34 4 46 35 12
EWR-Praktisch 10 3 75 10 10
Diskette 10 2 77 08 08

Quelle: GfS, Wirkung EWR-Informationskampagne;11 Bemerkung: Die Angaben zum EWR-Briefkasten beziehen sich (sinnvollerweise) nur auf die deutschsprachige Schweiz.


Eine qualitative Bewertung ergibt eine relativ hohe Bekanntheit und eine beachtliche Nutzung des Europa-Telefons (155er Nummer).12 Dieses Informationsmittel, wie vorher der Informationsstand an Publikumsmessen, erreichten eine vergleichsweise hohe Pressepublizität, was deren Nutzung erst ermöglichte. Die gedruckten Broschüren wurden zwar rege nachgefragt, blieben aber in der Bekanntheit etwas zurück. Die Vielfalt der angebotenen Broschüren erwies sich eher als zu gross, womit der Produktionsaufwand gemessen an der Verbreitung auf die Verhältnismässigkeit zu überprüfen ist. Die starke Konzentration der Informationstätigkeit auf die Broschürenform hat auch dazu geführt, dass die Nutzung vor allem von Interessierten im Erwerbsleben mit höherer als Grundschulbildung ausging. Gegenstück zu diesen Informationsmitteln waren die Blick-Rubrik und die Ausstellung an Messen, die ein breites Publikum erreichten.

Die Akzeptanz der Informationstätigkeit des Bundes ergibt demoskopisch folgendes Bild:

Ausmass Verteilung 1992/10
Angaben in % Stimmberechtigter
zu wenig 34
gerade recht 39
zu viel 17
unentschieden 07
keine Angabe 03

Quelle: GfS, Evaluierung EWR Informationskampagne


Frage 1c) Welche Schlüsse für das zukünftige europapolitische Informationskonzept sind gezogen worden?

Schlussfolgerungen für die Informationstätigkeit

Folgende Lehren scheinen uns für die zukünftige Europa-Information bedeutsam:

a) Verhandlungsphase13

– Bereits in der Verhandlungsphase wird das Image einer Vorlage definiert. Der EWR ist mit einem angeschlagenen Ruf aus den Verhandlungen hervorgegangen. Politische Bewertungen während der Verhandlungen oder der Einsatz der Presse als Druckmittel im Verhandlungsprozess sind im Lichte einer späteren Abstimmung mit Vorsicht vorzunehmen. Verhandlungsführung und Pressekontakte sollten deutlich getrennt werden.

b) Abstimmungskampagne14

– Informationskampagnen sind zeitlich und inhaltlich von Abstimmungskampagnen soweit möglich zu trennen. Die Information von Behördenseite sollte sehr zurückhaltend mit Werbemitteln umgehen, sofern nicht tatsächlich werberische Mittel eingesetzt werden dürfen. Die Informationstätigkeit des Integrationsbüros erhielt seitens der Gegner von Beginn weg den Stempel der Propaganda, ohne dass je propagandistische Mittel eingesetzt wurden.

– Im Abstimmungskampf wurde die EG in einem negativen Licht dargestellt (u. a. um dem EWR eine höhere Wertschätzung zu geben). Dieser Eindruck ist nach dem negativem EWR-Resultat kontraproduktiv, da alle derzeitigen Optionen der Integrationspolitik unter einer schlecht reputierten EG leiden.

– Die plakativen Aussagen der EWR-Gegner blieben relativ lange im Raum stehen.15 Plakative Pro-Argumente der Komitees kamen (zu) spät. Deshalb erschwerte eine hohe Erwartungshaltung die Informationstätigkeit des Bundes. Eine klare Aufgabenteilung zwischen Information (von Bundesseite) und Abstimmungspropaganda (der Pro- und Kontra-Komitees) war nicht zu erkennen.

Weiteres Vorgehen in der Europa-Information

Auch die EWR-Gegner haben stets betont, dass sie nicht für eine isolierte, sondern für eine weltoffene Schweiz in Europa eintreten wollen. Ob wir es wollen oder nicht, die EG ist eine Realität, die die Schweiz umgibt und die sich laufend verändert. Die politischen Kräfte des Landes, insbesondere das Volk, haben Anspruch darauf, über diese Realität informiert zu werden. Der Bundesrat hat den Alleingang als politische Zukunft für die Schweiz ausgeschlossen und eine Politik angekündigt, die alle Optionen offen hält. Um diese Optionen beurteilen zu können, sollte die schweizerische Bevölkerung einen besseren Wissensstand über das europäische Umfeld haben.

Aus diesen Gründen hat der Bundesrat in seiner am 24. Februar 1993 publizierten Botschaft über das Folgeprogramm nach der Ablehnung des EWR-Abkommens16 das Integrationsbüro EDA/EVD in Zusammenarbeit mit der Konferenz der Informationsdienste beauftragt, im ersten Halbjahr 1993 ein Informationskonzept für die weitere Europa-Information auszuarbeiten.17

1
CH-BAR#E1050.7A#1999/272#118* (122). Diese Notiz wurde von Roland Bless von der Sektion Information des Integrationsbüros EDA/EVD verfasst. Sie wurde am 26. April 1993 mit einem vom Vorsteher des EDA, Bundesrat Flavio Cotti, und vom Vorsteher des EVD, Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz, unterzeichneten Begleitschreiben an die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats (GPK-S) übermittelt, vgl. das Faksimile dodis.ch/64861. Das Thema EWR-Informations- und Aufklärungskampagne war für die Sitzung der GPK-S vom 6. Mai 1993 zur Diskussion des Geschäftsberichts des EDA traktandiert. Die GPK-S zeigte sich vom Inhalt der Notiz befriedigt und das Thema wurde nicht weiter diskutiert, vgl. das Protokoll der Sitzung der GPK-S vom 6. Mai 1993, CH-BAR#E1050.7A#1995/182#225* (421).
2
Vgl. dazu die thematische Zusammenstellung Abstimmung über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), dodis.ch/T2163.
3
Zur Kampagne vgl. die Notiz des Integrationsbüros EDA/EVD vom 30. Juli 1992 in der Beilage des BR-Prot. Nr. 1649 vom 9. September 1992, DDS 1992, Dok. 30, dodis.ch/60896.
4
Claude Longchamp: Evaluierung der bundeseigenen EWR-Informationskampagne. Schlussbericht. GfS. Bern 1993.
5
Hanspeter Kriesi, Claude Longchamp, Florence Passy, und Pascal Sciarini: Analyse der eidg. Abstimmung vom 6. Dezember 1992, VOX-Analyse Nr. 47, GfS und DSP, Adliswil 1993. Vgl. dazu auch die Beurteilung der VOX-Analyse durch das Integrationsbüro EDA/EVD in der Beilage des BR-Prot. Nr. 1305 vom 30. Juni 1993, dodis.ch/64248.
6
Vgl. die Notiz des Integrationsbüros EDA/EVD vom 11. Dezember 1992, dodis.ch/63244.
7
Für eine Auflistung der zahlreichen Informationsangebote vgl. DDS 1992, Dok. 30, dodis.ch/60896, Punkt 4.
8
Vgl. dodis.ch/66260.
9
Der schweizerische Weg in die Europäische Zukunft, herausgegeben vom Integrationsbüro EDA/EVD, Bern 1992.
10
Die Schweiz in Europa: gestern, heute, morgen, herausgegeben vom Integrationsbüro EDA/EVD, Bern 1992.
11
Vgl. Anm. 4.
12
Vgl. dazu dodis.ch/62988 und dodis.ch/61186.
13
Vgl. dazu die thematische Zusammenstellung Verhandlungen EFTAEWG über das EWR-Abkommen (1989–1991), dodis.ch/T1713.
14
Vgl. dazu die thematische Zusammenstellung Abstimmung über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), dodis.ch/T2163.
15
Für die Argumente gegen den EWR vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C2102.
16
Vgl. dodis.ch/64684.
17
Notiz des Integrationsbüros EDA/EVD vom 1. Juni 1993 in der Beilage des BR-Prot. Nr. 1305 vom 30. Juni 1993, dodis.ch/64248.