dodis.ch/7644
BUNDESRAT
Beschlussprotokoll der Sitzung vom 29. April 19521

762. SCHAFFUNG EINES MILITÄRATTACHÉPOSTENS IN WARSCHAU

In seiner Sitzung vom 13. Dezember 19372 beschloss der Bundesrat die Schaffung der Posten von Militärattachés bei den Schweizerischen Gesandtschaften in Paris, Berlin und Rom. Die Gründe, die damals dazu führten, diese Neuerung zu schaffen, dürften zu bekannt sein, als dass es heute noch nötig wäre, darauf zurückzukommen. In allen drei Hauptstädten konnten die Militärattachés ihre Tätigkeit zu Beginn des Jahres 1938 aufnehmen und die Erwartungen, die in die Tätigkeit dieser Militärattachés gesetzt worden waren, gingen in jeder Beziehung in Erfüllung. Mit Kriegsausbruch machte sich die Notwendigkeit geltend, wenn möglich auch in England einen Militärattaché akkreditieren zu können. Am 24. Januar 19413 beschloss der Bundesrat die Schaffung eines Militärattachépostens in London. Mit fortschreitender Entwicklung des Krieges sah sich der Bundesrat genötigt, ebenfalls in Washington und Ankara Militärattachéposten zu errichten4. Im Interesse der Aufrechterhaltung unserer Beziehungen zu den Nordstaaten und um Erfahrungen sammeln zu können über die Kriegsführung in den unsern schweizerischen alpinen Verhältnissen nahe kommenden skandinavischen Staaten, beschloss der Bundesrat am 7. Januar 19435, Militärattachés nach Stockholm und Helsinki zu entsenden. Der zeitweiligen Verlagerung des Krieges in die Balkanländer Rechnung tragend, beschloss der Bundesrat, auch in Budapest6 einen Militärattaché zu akkreditieren.

Es bestanden deshalb bis zur Beendigung der Feindseligkeiten Militärattachéposten bei den Gesandtschaften in Paris, Berlin, Rom, London, Washington, Ankara, Stockholm, Helsinki und Budapest. Mit der Beendigung des Krieges ergaben sich wesentliche Verschiebungen im Bestande der Militärattachés. So fielen nach und nach die Militärattachéposten in Helsinki, Budapest, Rom und Berlin dahin.

Seither hat der Bundesrat den Beschluss vom 24. November 19487 betreffend die Schaffung eines Militärattachépostens in Belgrad und Sofia gefasst, ausserdem den Militärattaché in Stockholm auch in Kopenhagen und Oslo akkreditieren lassen8, den nach dem Zusammenbruch in Italien aufgehobenen Posten von Rom wieder besetzt9 und den Militärattachéposten von Ankara nach Teheran10 unter gleichzeitiger Akkreditierung in Damaskus und Bagdad verlegt. Heute bestehen deshalb noch Militärattachés bei den Schweizerischen Gesandtschaften in Paris, London, Washington, Rom, Stockholm, Teheran, zu denen in letzter Zeit auch noch Madrid11 hinzugekommen ist.

Schon seit längerer Zeit bestanden Bestrebungen, auch in osteuropäischen Staaten einen Militärattaché akkreditieren zu lassen12, einerseits um ein Gleichgewicht schaffen zu können gegenüber den Posten, die bei Weststaaten schon seit längerer Zeit bestanden und andererseits, um in einem Gebiet, von welchem aus notwendigerweise eine Aktion gegen Westeuropa gestartet werden müsste, einen militärisch geschulten Beobachter zu wissen. Dieser Wunsch auf Akkreditierung eines Militärattachés bei osteuropäischen Staaten wurde umso dringender, als der erst im Jahre 1948 geschaffene Posten von Sofia und Belgrad der dortigen Verhältnisse wegen wieder aufgehoben werden musste13.

Heute zeigt sich nun die Möglichkeit, einen Militärattachéposten bei der Schweizerischen Gesandtschaft in Warschau ins Leben zu rufen, da die Polnische Regierung durch ihre Gesandtschaft in Bern um die Zustimmung der Einsetzung eines Militärattachés nachsuchte und bereit ist, volles Gegenrecht zu halten14. Das Militärdepartement glaubt deshalb, dass von dieser lang erwarteten Möglichkeit Gebrauch gemacht werden sollte. Die von der Polnischen Regierung gegebenen Zusicherungen lassen erwarten, dass ein Militärattaché bei der Schweizerischen Gesandtschaft in Warschau die für unsere Armee wichtige Funktion eines Bindegliedes zur polnischen Armee erfüllen könnte. Es würde sich damit auch erstmals die Möglichkeit bieten, in einem Gebiete, das bisher unserer Aufmerksamkeit entging, einen offiziellen Vertreter der Armee zu haben. Die Erfahrung lehrt, dass auch weitgehende Sicherungsmassnahmen nicht verhindern können, dass geübte Beobachter Anzeichen militärischer Entschlüsse und Bewegungen feststellen können, wie sie sich durch Vermehrung oder Wegfall des Militär in den Strassen, durch Verschwinden einberufener Reservisten, Veränderung in der fliegerischen Belegung des Luftraumes, Wegfall von Zugsverbindungen, Sperrung von Strassenzügen und andere derartige Verbotsmassnahmen feststellen lassen. Es handelt sich hierbei um durchaus erlaubte Beobachtungen des täglichen Lebens, die oft wertvoller sind als Berichte zweifelhafter Agenten, sofern sie von einem Offizier stammen, der unser volles Vertrauen besitzt und über grosse Erfahrung im Nachrichtendienst verfügt.

Ausschlaggebend für die Einsetzung eines Militärattachés ist die militärische Lage. Wenn es an sich auch wünschbar wäre, in allen Staaten, die Durchgangs- und Sammelstellen für eine vorbereitete Aktion gegen den Westen sein können, einen militärischen Beobachter zu haben, so zwingen finanzielle Gründe doch zu einer Auswahl. Die Wahl fiel auf Polen, da dieses Land doch die Haupttransitstelle für Truppenverschiebungen nach Ost-Deutschland bildet, wobei man immerhin vorsehen kann, den Militärattaché gleichzeitig auch in Prag zu akkreditieren. Bei den Militärattachéposten handelt es sich niemals um eine Repräsentation, sondern immer um eine lagebedingte Einrichtung mit dem Endziel der Sicherheit unseres Landes gegen Überraschungen.

In seinem Mitbericht bemerkt das Finanz- und Zolldepartement, dass mit der Errichtung dieses 8. Postens über diese Zahl nicht mehr weiter hinausgegangen werden sollte. Bei Änderungen in der Zuteilung von Militärattachés zu den Gesandtschaften sollte der Ausgleich innerhalb der 8 Militärattaché-Posten gesucht werden.

Das Politische Departement stimmt ebenfalls dem Antrage zu, möchte aber davon absehen, dass der Militärattaché in Warschau gleichzeitig in Prag akkreditiert werde.

Das Militärdepartement gibt in seiner Vernehmlassung die Zusicherung ab, dass über eine Zahl von 8 Militärattachés insgesamt nicht hinausgegangen werden soll, wogegen veränderte Verhältnisse in der weltpolitischen Lage im Rahmen dieser Gesamtzahl allenfalls gewisse Änderungen bedingen. Auch dem Vorbehalt des Politischen Departementes stimmt das Militärdepartement zu.

Demgemäss wird

beschlossen: 1) Der Entsendung eines Militärattachés zu der Schweizerischen Gesandtschaft in Warschau wird zugestimmt. 2) Es wird davon abgesehen, den Militärattaché in Warschau gleichzeitig in

Prag zu akkreditieren. 3) Von der Zusicherung, dass über eine Zahl von 8 Militärattachés insgesamt nicht hinausgegangen werden soll, wird Vormerk genommen.

1
E 1004.1(-)-/1/540.
2
Vgl. BR-Prot. Nr. 2026 vom 13. Dezember 1937, E 1004.1(-)-/1/368.
3
Vgl. BR-Prot. Nr. 108 vom 24. Januar 1941, E 1004.1(-)-/1/405.
4
Vgl. BR-Prot. Nr. 1147 vom 7. Juli 1942, E 1004.1(-)-/1/423.
5
Vgl. BR-Prot. Nr. 27 vom 7 Januar 1943, E 1004.1(-)-/1/429.
6
Vgl. BR-Prot. Nr. 60 vom 11. Januar 1944, E 1004.1(-)-/1/441.
7
Eigentlich wurde dieser Entscheid am 24. Februar 1948 gefasst. Vgl. BR-Prot. Nr. 475 vom 24. Februar 1948, E 1004.1(-)-/1/490.
8
Der schweizerische Militär- und Luftattaché in Stockholm wurde am 13. Februar 1946 in gleicher Eigenschaft bei der schweizerischen Gesandtschaft in Kopenhagen und im März 1946 bei der schweizerischen Gesandtschaft in Oslo ernannt. Vgl. E 2001(E)1968/83/113.
9
Vgl. auch die Notiz von R. Frick an L. de Montmollin vom 1. November 1948, E 27/9778 (dodis.ch/6741). Der seit März 1944 vakante Posten wurde 1949 wiederbesetzt. Vgl. E 2001(E)1968/83/112.
10
Betreffend die Abkommandierung eines Militärattachés in Iran, Irak, Syrien und Libanon mit Sitz in Teheran vgl. das Schreiben Kommandierung eines Militär- und Luftattachés nach Teheran von K. Kobelt vom 30. Januar 1951, E 2001(E)1968/83/113.
11
Vgl. das Schreiben Kommandierung eines Militär- und Luftattachés nach Madrid von K. Kobelt vom 12. September 1951, E 2001(E)1968/83/112.
12
Die Ausbaupläne des Generalstabes, die im Schreiben von L. de Montmollin an K. Kobelt vom 20. Februar 1951, E 5001(F)-/6/ R 3467 (dodis.ch/7648), festgehalten wurden, stiessen auf den Widerstand des EPD. Vgl. das Schreiben von M. Petitpierre an K. Kobelt vom 18. Mai 1951, ebd. (dodis.ch/7646).
13
Gegen die Meinung des EMD und der Stellungnahme des EPD folgend, entschied der Bundesrat, auf den Militärattachéposten in Sofia praktisch zu verzichten. Vgl. das Verhandlungsprotokoll der 92. Sitzung des Bundesrates vom 28. Dezember 1950, E 1003(-)-/1/ R 3104. Vgl. auch die Notiz von A. Zehnder an M. Petitpierre vom 20. Dezember 1950, E 2001(E)1968/83/112 (dodis.ch/7423).
14
Vgl. E 2001(E)1968/83/113.