dodis.ch/7984
Notiz über eine Besprechung der ständigen Wirtschaftsdelegation1
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WIRTSCHAFTSVERHANDLUNGEN MIT OSTDEUTSCHLAND

Herr Minister Hotzweist einleitend darauf hin, dass die Frage der vom Eidg. Politischen Departement auf Ende Februar vorgesehenen Verhandlungen in Berlin3 vor allem wegen des West-Ost-Handels4 einer sorgfältigen Überprüfung bedürfe. Gegen Sonderbesprechungen betreffend Rechtsschutzfragen durch das Politische Departement bestünden natürlich seitens der Handelsabteilung keinerlei Bedenken. Wirtschaftlich bestünde jedoch kein Bedürfnis für ein Handelsabkommen.

Herr Minister Zehnder: Die ostdeutsche Regierung beabsichtigt zweifellos, auf dem Wege der vorgesehenen Verhandlungen zu einer Art Anerkennung durch die Schweiz zu kommen. Dagegen bestehen nach wie vor politische Bedenken. Die Verzögerungstaktik brachte das Politische Departement zum Schluss in eine gewisse Verlegenheit im Hinblick auf die Wahrung der Interessen der ca. 5000 Auslandschweizer und der nicht unerheblichen privaten schweizerischen Vermögensinteressen in Ostdeutschland5. Der Departementschef entschied Ende 1951, dass das Primat noch den Rechtsschutzinteressen zukomme. Die Entscheidungen hinsichtlich der Aufnahme von Verhandlungen im Februar wurden im Einvernehmen mit der Handelsabteilung getroffen.

Es wäre zu begrüssen, wenn die Rechtsschutzfragen nicht allein, sondern gemeinsam mit Handelsvertragsverhandlungen vorgebracht werden könnten. Voraussichtlich wird die ostdeutsche Regierung die schweizerischen Wünsche nicht erfüllen; ein Abbruch auf «freundschaftlicher» Basis ist im Grunde genommen das beste, was unter Umständen erreicht werden kann.

Wenn lediglich auf politischem Boden verhandelt wird, so werden ostdeutscherseits von vornherein die Gegenforderungen gestellt. Wäre es unter Umständen nicht möglich, durch die Einräumung einer gewissen Devisenspitze dem Verhandlungspartner handelspolitisch eine Konzession zu gewähren, um für Rechtsschutzfragen eine gewisse Plattform zu schaffen.

Herr Dr. Homberger: Ostdeutschland ist kein Objekt für Wirtschaftsverhandlungen, trotzdem der Verkehr mit diesem Lande durchaus nicht als ein «non valeur» anzusehen ist. Es ist erfreulich, dass sich der Verkehr auch unter dem vertraglosen Zustand intensiviert hat.

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Es ist nicht zu verwundern, dass z. B. die Schweizerische Gesellschaft für chemische Industrie brieflich den Vorort beauftragt, es sei das bisherige de facto-Regime aufrecht zu erhalten, was sich als weit günstiger erweise als eine formelle Clearingregelung.

Neben der materiellen Beurteilung muss das Problem auch unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Handelspolitik geprüft werden. Die Aufnahme von offiziellen Wirtschaftsverhandlungen, welche von der DDR sicherlich schon mit Begleitmusik kommentiert wird, würde uns vom Standpunkt des West-Ost-Handels aus belasten. Eine Verhandlungsdelegation zu entsenden, lediglich zum Zweck, ein negatives Resultat herbeizuführen, ist eine halsbrecherische Sache.

In der Tat ist es jedoch angesichts des fait accompli nicht leicht, sich aus der Affaire zu ziehen. Eventuell könnte ja eine Lösung darin gefunden werden, dass keine eigentliche Wirtschaftsdelegation nach Berlin reist, sondern lediglich ein Vertreter der Handelsabteilung die Delegation des Politischen Departements begleitet, um nebenbei die Warenfragen zu besprechen. Nachdem Herr Bauer bereits als Delegationschef dem Aussenhandelsministerium gegenüber bezeichnet worden ist, liegt es nahe, dass er nach Berlin fahren würde. Es würde sich dabei um informatorische Besprechungen handeln, um den status quo irgendwie festzuhalten.

Zum Schluss weist Herr Dr. Homberger noch auf das Verhältnis mit China hin, wo sich ebenfalls Rechtsschutzprobleme stellen7. Falls man à tout prix mit Ostdeutschland zu einer Verständigung zu kommen sucht, muss man auch mit China eine analoge Regelung treffen.

Herr Legationsrat Königweist darauf hin, dass nach einer telephonischen Mitteilung der Delegation in Berlin sich unter Umständen eine weitere Verzögerung der Aufnahme der Verhandlungen dadurch ergäbe, weil gegen den ostdeutschen Betrieb der Sapt8 ein Schauprozess auf Weisung der sowjetischen Kontrollkommission stattfinden soll. Man könnte ja einwenden, dass man schweizerischerseits nicht daran denke, die Verhandlungen aufzunehmen, so lange der Prozess nicht fallen gelassen werde.

Herr Minister Hotzbemerkt, dass mit der vorgeschlagenen Lösung dem Politischen Departement geholfen sei. Es würde sich also darum handeln, eine Zweierdelegation als «mission d’exploration» nach Berlin zu entsenden, sobald die formelle Schwierigkeit wegen des Schauprozesses durch das Politische Departement bereinigt ist. Je nach der weiteren Entwicklung des Problems des West-Ost-Handels, welches unter Umständen demnächst wieder in eine kritische Phase eintreten könnte, muss die Angelegenheit im gegebenen Zeitpunkt noch abschliessend geprüft werden.

Auf den Einwand von Herrn Dr. Homberger hin, es könnte lediglich durch die Tatsache des Abschlusses einer neuen Vereinbarung die Kompensationsregelung beeinträchtigt werden, erwiderte Herr Minister Hotz, dass dieses Risiko in Kauf genommen werden könnte.

Der Unterzeichnete wird beauftragt, Herrn Minister Dr. Troendle und Herrn Bauer zu unterrichten.

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Diese Notiz wurde von H. Marti redigiert und unterzeichnet. Die Besprechung fand am 8. Februar 1952 statt. Folgende Personen waren anwesend: J. Hotz, H. Marti (beide EVD), A. Zehnder, M. König (beide EPD), H. Homberger (Vorort).
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(Kopie): E 7110(-)1996/199/1.
3
Vgl. den Antrag des EPD vom 6. Dezember 1951, E 2001(E)1967/113/152 (dodis.ch/7988).
4
Zur Frage des Ost-West-Handels vgl. Nrn. 25, 84, 105, 106 in diesem Band.
5
Zur Frage der schweizerischen Interessen in der DDR vgl. Nr. 19, Anm. 3, in diesem Band.
6
Für die Tabelle vgl. dodis.ch/7984. Pour le tableau, cf. dodis.ch/7984. For the table, cf. dodis.ch/7984. Per la tabella, cf. dodis.ch/7984.
7
Vgl. Thematisches Verzeichnis in diesem Band: China – Wirtschaftsbeziehungen.
8
Vgl. E 2001(E)1967/113/400.