dodis.ch/8173
Aktennotiz der ständigen Wirtschaftsdelegation1

SITZUNG DER STÄNDIGEN WIRTSCHAFTSDELEGATION VOM 10. SEPTEMBER 1952 BETREFFEND WIRTSCHAFTLICHE BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DER SCHWEIZ UND CHINA2.

Minister Hotzerteilt Minister Troendle das Wort.

Minister Troendle. Der Warenaustausch zwischen der Schweiz und China ist in den letzten Monaten zurückgegangen. Er betrug im 1. Halbjahr 1952 beim schweizerischen Import aus China 15,1 Mio. SFr. (1951: 38,5), beim Export nach China 31,7 (1951: 56,3). Importiert wurden vor allem Ölfrüchte, Därme und Seide. Beim Export haben sich die Uhrenpositionen gut gehalten. Dagegen ist die Ausfuhr an Maschinen, Farben und Pharmazeutika erheblich zurückgegangen. Die chinesischen Exportwaren werden offenbar auf polnischen Dampfern nach Rotterdam verschifft, von wo aus sie teilweise durch sowjetrussische, polnische und tschechoslowakische Vermittlung nach Westeuropa und der Schweiz abgesetzt werden. Auch der schweizerische Export nach China benützt vielfach den gleichen Weg. Die wirtschaftspolitische Verbindung mit dem Westen hält China vor allem über seine Vertretungen in London und Berlin aufrecht. Vom chinesischen Handelsattaché in Bern hört man nur wenig. Die Moskauer Konferenz hat keineswegs die angekündigten Ergebnisse gezeitigt, wenn auch schweizerische Exporteure mit der chinesischen Vertretung in Berlin einige Abschlüsse tätigen konnten. Allerdings läge es eher im schweizerischen Interesse, die wirtschaftlichen Beziehungen mit China über die Schweiz. Gesandtschaft in Peking zu pflegen. Nötigenfalls sollten die schweizerischen Interessenten – wie es kürzlich eine belgische Firma tat3 – selber Beauftragte nach China schicken. Im übrigen sollte man dem Spielraum, den die derzeitigen Richtlinien betreffend den West/Osthandel im Wirtschaftsverkehr mit dem Osten noch offen lassen, ausnützen, um nicht den USA einen Vorwand zu liefern, die jetzigen Ostkontingente noch mehr herabzudrücken. Bedauerlicherweise hat die vor einiger Zeit eingegangene chinesische Anfrage betreffend Lieferungsmöglichkeiten schweizerischer Investitionsgüter, die seinerzeit an den Verein Schweiz. Maschinen-Industrieller weitergeleitet wurde, zu keinen konkreten Ergebnissen geführt.

Besondere Sorgen bereitet der Rechtsschutz der Schweizerfirmen in China; doch hat ein durch Vermittlung des Vororts und unter Teilnahme von Vertretern des Eidg. Politischen Departements und der Handelsabteilung sowie von Generalkonsul Koch stattgefundener Meinungsaustausch der schweizerischen Chinainteressenten zu keiner einheitlichen Auffassung geführt4. Vom handelspolitischen Standpunkt aus scheint es nicht ratsam, den Abbruch ihrer Position in China zu empfehlen. Der chinesische Markt wird auch in Zukunft für die Schweiz interessant bleiben. Es fragt sich, ob die schweizerischen Firmen nicht nach neuen Wegen suchen sollten, um mit China in Kontakt zu bleiben.

Minister Hotz. Das Chinaproblem ist sehr komplex und muss vorsichtig angepackt werden. Es erscheint wohl richtig, wenn man es vorderhand den beteiligten Firmen überlässt, über ihre privatwirtschaftlichen Interessen in China zu bestimmen.

Homberger. Aktuell ist vor allem die Frage der schweizerischen Niederlassungen in China. Die Wahrung der schweizerischen Interessen (Erwirkung der Ausreisebewilligung, Liquidation der Vermögenswerte usw.) gestaltet sich schwierig. Dieser Umstand hat zu einem Malaise in der Schweizerkolonie in China geführt. Sie empfindet die durch die Heimat gewährte Hilfe bzw. deren Tempo als unzureichend und ist darüber enttäuscht. Deshalb hat, nachdem die Angelegenheit von der ständigen Wirtschaftsdelegation erörtert wurde5, der Vorort die von Minister Troendle erwähnte vertrauliche Aussprache der schweizerischen Chinainteressenten veranlasst, in deren Verlauf Generalkonsul Koch die heutige Lage in China realistisch geschildert hat. Dabei stand auch die Frage zur Diskussion, ob sich nicht die Verhältnisse zum bessern wenden würden, wenn die Schweizerfirmen eine zentrale Organisation in China schaffen würden. In der Beurteilung der Lage durch die verschiedenen Interessenten hat sich jedoch eine grosse Differenziertheit ergeben. Einige Firmen haben durchblicken lassen, dass sie gegen eine Einmischung der eidgenössischen Behörden seien. Andere haben den Standpunkt von Generalkonsul Koch geteilt, dass, wer jetzt liquidieren kann, dies auch tun soll. Für die Errichtung einer Kollektivorganisation ist nur die Geigy AG eingetreten, deren Vertreter in Shanghai, Herr Britt, ja geistiger Vater dieses Gedankens ist. Sonst lehnen die Chinafirmen zurzeit grundsätzlich eine Kollektivaktion ab. Immerhin dürften in Zukunft die Firmen in zunehmendem Masse ihre Positionen in China liquidieren wollen.

Minister Hotz. Wichtig ist, dass die wirtschaftlichen Beziehungen der Schweiz mit China in keiner Weise die allgemeinen Richtlinien betreffend den West/Osthandel durchkreuzen.

Schaffner. Tatsache ist, dass der Export nach China zu 80% über Hongkong geleitet und in diesem Ausmass somit über den Sterlingsblock abgewickelt wird, was eine schwere Hypothek der schweizerischen Position im Rahmen der EPU6 darstellt. Aus diesem Grund hat die Schweiz voriges Jahr den Export nach Hongkong bremsen müssen. –

Minister Rezzonico. La Chine est en pleine révolution. Elle n’a pas de lois ou ses lois sont appliquées de manière contradictoire par les différentes administrations. Dans ces conditions on ne peut effectuer des démarches d’ordre général, mais seulement intervenir dans la mesure du possible en faveur de cas particuliers. Un exode organisé n’est pas à conseiller; déserter, même officiellement, est contraire au caractère suisse. La Légation ne peut pas conseiller aux hommes d’affaires suisses de partir. Les entreprises intéressées devraient se dire que leurs représentations en Chine constituent une carte de visite et que le manque à gagner qu’elles entraînent fait en quelque sorte partie des frais de publicité. Si la Suisse abandonne le terrain, elle cèderait la place au Japon, à l’Allemagne, à la Tchécoslovaquie. Même la Grande-Bretagne n’envisage pas de rupture totale. Il ne faut pas oublier que les étrangers établis en Chine jugent la situation de leur perspective personnelle, c’està-dire d’une manière subjective. Le communisme chinois n’est pas le communisme soviétique. La Chine est loin d’être un pays satellite. Elle a, il est vrai, besoin politiquement de l’URSS pour faire valoir son point de vue à l’ONU. La politique occidentale, c’est-à-dire américaine, pousse la Chine à s’intégrer de plus en plus dans l’orbite économique soviétique. Cet état de choses ne correspond néanmoins pas aux désirs intimes des Chinois qui tiennent à maintenir leurs relations avec l’Occident, mais se heurtent à des difficultés (embargo). Le véritable sens de la réponse chinoise à la démarche britannique concernant la fermeture d’entreprises anglaises en Chine est que la Chine ne veut pas rompre entièrement avec l’Occident. Quant à la question d’une organisation collective, M. Britt semble envisager un «club des intérêts suisses», mais on ne voit guère comment une telle solution pourrait être réalisée. Un gros obstacle est l’individualisme suisse. Il est vrai que le monde a changé et que les exportateurs suisses doivent s’adapter à la nouvelle situation. De toutes façons les intéressés en Chine subiront des pertes en Chine; en l’absence d’un accord suisse-chinois l’exportation de capitaux sera impossible. Se pose donc seulement la question si l’on veut abandonner la partie et tout perdre à la fois ou tâcher de rester et subir des pertes successives.

Minister Hotzwürdigt die vom Vorredner angestellten staatspolitischen Überlegungen auf lange Sicht, fasst allerdings das Problem vor allem kaufmännisch auf und gelangt zur Schlussfolgerung, dass wer in China seine Position aufgeben kann, sollte es auch tun. In dieser Beziehung soll jeder selbst entscheiden.

Minister Rezzonico. La discussion aboutit à une conclusion commune: c’est à chacun à décider ce qu’il fera. La Légation et le Consulat général aideront naturellement dans la mesure du possible tous ceux qui veulent partir. Il ne faut toutefois pas s’attendre à des miracles.

Minister Zehnder. La conclusion d’un accord commercial avec la Chine aiderait-elle les maisons suisses à subsister?

Minister Rezzonico. Un accord commercial faciliterait évidemment la conclusion d’affaires, mais ne supprimerait pas les difficultés d’ordre général inhérentes aux conditions régnant actuellement en Chine. Il vaut mieux ne pas conclure d’accord pour le moment, mais attendre.

Minister Hotzwarnt ausdrücklich vor dem Abschluss irgendeines Handelsabkommens mit China zum jetzigen Zeitpunkt. Wirtschaftlich ist dies nicht notwendig und politisch wäre es bedenklich. Es ist besser, die Sache auf sich beruhen zu lassen und eine abwartende Haltung einzunehmen.

Minister Troendle. Es frägt sich, ob der Abschluss eines nur allgemein gefassten Handelsvertrages (traité de commerce), der die Meistbegünstigungsklausel zu enthalten hätte, die Lage der schweizerischen Vertretungen in China erleichtern würde? Allerdings kommt ein Vertragsabschluss jetzt nicht in Betracht. Immerhin soll die Gesandtschaft in Peking genau verfolgen, was die andern Länder tun, damit die Schweiz nicht etwa ins Hintertreffen gerät. Die Wirtschaftspolitik muss auf lange Sicht angelegt sein; schon aus dieser Überlegung soll die Schweiz den chinesischen Markt nicht aufgeben. Man darf nicht vergessen, dass bei aller Verschiedenartigkeit der sonstigen Verhältnisse die Lage Chinas in politischer Hinsicht unter Umständen eine gewisse Ähnlichkeit mit derjenigen Jugoslawiens erlangen könnte. In diesem Fall darf die Schweiz nicht zu spät kommen.

Minister Zehnder. Für einen allfälligen Vertragsabschluss würde die Frage des Zeitpunktes eine grosse Rolle spielen. Irgendein Abkommen mit China ist heute ausgeschlossen.

Homberger. Die heutige Diskussion hat im wesentlichen die Schlussfolgerungen bestätigt, zu denen man bereits auf Grund der seinerzeitigen vertraulichen Aussprache im Schosse des Vororts gelangte: Jeder Interessent soll über das weitere Vorgehen selbst entscheiden. –

1
(Kopie): E 7110(-)1967/ 32/808.
2
Anwesend waren: J. Hotz, A. Zehnder, H. Homberger, C. Rezzonico, A. Koch, M. Troendle, H. Schaffner, B. Dumont, Mlle Gougain.
3
Es handelt sich wahrscheinlich um die Firma Ateliers de construction électriques de Charleroi.
4
Vgl. DDS, Bd. 19, Dok. 12, dodis.ch/8171, insbesondere Anm. 5.
5
Über die Sitzung vom 12. Juni 1952 vgl. Nr. 12, Anm. 2, in diesem Band.
6
European Payments Union.