dodis.ch/9224
Der Chef des Volkswirtschaftsdepartements, T. Holenstein, an den Bundesrat1

KONSULTATIONEN MIT DEN USA ZUM AUSGLEICH DER UHRENZOLLERHÖHUNG; ABSCHLUSS EINES PROVISORISCHEN ANPASSUNGSABKOMMENS

Mit Beschluss vom 22. April 19552 haben Sie eine Delegation der Handelsabteilung und des Vororts des schweizerischen Handels- und Industrie-Vereins ermächtigt, Konsultationen mit einer amerikanischen Delegation zum Ausgleich der Uhrenzollerhöhung aufzunehmen. Diese Konsultationen haben in der Zeit vom 28. April bis 28. Mai 1955 in Genf stattgefunden. Das in Genf zu unterzeichnende Zusatzabkommen zum schweizerisch-amerikanischen Handelsvertrag vom Jahre 19363 sowie ein dazugehöriger Briefwechsel über allenfalls auf Grund einer schweizerischen Zolltarifrevision notwendig werdende Konsultationen liegen in englischer und französischer Sprache bei4. Dieses Zusatzabkommen ist nur provisorischer Natur. In der Einleitung wird auf den Handelsvertrag vom 9. Januar 1936 mit den inzwischen eingetretenen Abänderungen und auf den Beschluss des Präsidenten der Vereinigten Staaten5, die Uhrenzölle zu erhöhen, Bezug genommen6. Dieser Beschluss des Präsidenten der Vereinigten Staaten wird in keiner Weise irgendwie anerkannt. In Ziffer 2 wird sodann darauf hingewiesen, dass die Regierungen der Vereinigten Staaten und der Schweiz in Konsultationen eintreten, sobald die Uhrenzollerhöhung ganz oder teilweise rückgängig gemacht würde, um Lösungen zu finden, welche die Beibehaltung der im Zusatzabkommen gewährten amerikanischen Zollkonzessionen ermöglichen sollten. Dabei wird daran gedacht, dass die Schweiz entsprechende Gegenkonzessionen gewähren würde. Durch Ziffer 2 des Zusatzabkommens ist daher der provisorische Charakter dieses Abkommens ausdrücklich hervorgehoben und sodann die Möglichkeit der Rückgängigmachung des Uhrenzollentscheides in vollem Umfange gewahrt. Die schweizerische Uhrenindustrie wird deshalb den Vorwurf nicht erheben können, dass durch die Gewährung von kompensatorischen Zollermässigungen die Uhrenzollerhöhung nun definitiv geworden sei. Ziffer 3 des Abkommens enthält eine technische Bestimmung, welche verhindern soll, dass die Importeure von Waren, welche in der Liste II des Handelsvertrages vom Jahre 1936 sowie in der Zusatzliste II enthalten sind, Zollrückerstattung für die vom 9. Januar 1936 bis 11. Juli 1955 eingeführten Waren verlangen können. Das Abkommen tritt rund einen Monat nach Unterzeichnung, am 11. Juli 1955 in Kraft. Es wird voraussichtlich am 8. Juni unterzeichnet und am 10. Juni 14.00 Uhr veröffentlicht werden. Bis dahin ist der Inhalt streng vertraulich, da bei Durchsickern irgendwelcher Nachrichten über die gewährten Konzessionen die amerikanische Regierung es sich vorbehalten hat, die betreffenden Konzessionen zurückzuziehen.

Wie bereits in unserm Antrag vom 21. April 19557 erwähnt, konnte über drei wichtige Positionen, nämlich über die Baumwollgewebe, die Schuhe und das Nylonbeuteltuch nicht verhandelt werden, da die amerikanische Regierung hiezu seitens der Zolltarifkommission keine Ermächtigung erhalten hatte. Eine Zollkonzession für Farben der Basler Industrie konnte ebenfalls nicht erwirkt werden, doch haben wir hierauf auch nicht besonders gedrängt, nachdem die Basler chemische Industrie nachträglich erklärt hatte, sie hätte wegen der deutschen Konkurrenz kein Interesse an einer solchen Konzession. Für einige andere Positionen war es nicht möglich, eine volle 50%ige Zollreduktion zu erhalten.

Es konnten in Genf Zollermässigungen erwirkt werden, welche sich, am durchschnittlichen Export der letzten Jahre nach USA gemessen, auf etwa 40–50 Millionen Franken auswirken. Für Textilhilfsmittel der Basler chemischen Industrie gelang es, eine volle 50%ige Zollreduktion einzuhandeln. Das gleiche gilt für pharmazeutische Zwischenprodukte der Basler Industrie. Für photogrammetrische Instrumente, welche vor allem von der Firma Wild in Heerbrugg hergestellt werden, beträgt die Reduktion nur 5%, weil nach amerikanischer Auffassung die betreffende amerikanische Industrie kriegswichtig sei und bei einer weitern Zollermässigung der ausländischen, insbesondere der deutschen und japanischen Konkurrenz nicht Stand zu halten vermöchte. Für elektrische Zählinstrumente und andere Messmechanismen konnten die Zölle zum Teil halbiert und zum Teil um etwa 30% ermässigt werden. Dabei wurden jedoch seitens der amerikanischen Regierung für gewisse Instrumente, welche amerikanischerseits als kriegswichtig betrachtet werden, keine Zollermässigungen zugestanden. Für gestrickte und gewirkte Unterwäsche konnte der Zoll von 30 auf 20% gesenkt werden, wobei es noch gelang, die Preise derart zu umschreiben, dass die Konzession sich hauptsächlich auf schweizerische Produkte auswirken wird. Eine sehr beträchtliche Konzession, nämlich die Halbierung der Zölle, konnte für alle Hut- und Strohgeflechte der Wohlener Industrie erwirkt werden. Die Umschreibung der Position konnte so gefasst werden, dass die japanische Konkurrenz davon keinen Nutzen hat. Da die japanische Industrie im Rahmen der amerikanisch-japanischen Verhandlungen in Genf eine Zollreduktion für Papiergeflechte, welche in der Schweiz hergestellt werden, erhalten wird, ist diese Zollkonzession für die Wohlener Industrie von lebenswichtiger Bedeutung. Sie exportiert rund 70% ihrer Produktion nach USA. Eine Ermässigung der Zölle auf den japanischen Konkurrenzprodukten ohne Gleichstellung der typisch schweizerischen Produkte wäre für die Wohlener Industrie von ausschlaggebendem Nachteil. Für Stickereien gelang es, die Zölle im allgemeinen von 60 auf 45% zu ermässigen. Für bestickte Vorhänge und Blusenvorderteile wird der Zoll von 60 auf 30% gesenkt. Eine sehr wichtige Konzession konnte bei den bestickten Nastüchern erwirkt werden. Hier konnte der Zoll mit Ausnahme einer einzigen Position, welche für die Schweiz nicht von besonderem Interesse ist, auf die Hälfte reduziert werden. Schliesslich gelang es noch, eine Zollermässigung auf Filmkameras und Teilen dazu von 20 auf 15% einzuhandeln. Es darf daher die Auffassung vertreten werden, dass die im Zusatzabkommen enthaltenen Zollermässigungen für die schweizerische Wirtschaft von Bedeutung sein werden. Auf einer Reihe anderer Positionen, welche im Rahmen der schweizerisch-amerikanischen Konsultationen nicht behandelt werden konnten, wird die Schweiz auf dem Wege der Meistbegünstigung durch an Japan gewährte Konzessionen Vorteil ziehen. Es trifft dies vor allem auf die für die Firma Paillard sehr wichtige Position der Stummfilm-Vorführungsapparate und für Mikroskope der Firma Wild zu.

Es gelang uns indessen nicht, die im Hinblick auf die schweizerische Zolltarifrevision notwendig werdenden Anpassungen der im schweizerischamerikanischen Handelsvertrag vom Jahre 1936 enthaltenen schweizerischen Zollkonzessionen zu verwirklichen. Die amerikanische Delegation hat unsere Begehren der amerikanischen Zolltarifkommission und den andern zuständigen Stellen, inkl. dem Bureau des Präsidenten, zur Prüfung unterbreitet. Der Bescheid lautet dahingehend, dass die amerikanische Regierung gesetzlich verpflichtet sei, über solche Änderungen die amerikanische Industrie zu konsultieren, was nur durch sog. «Hearings» möglich sei. Diese müssten zum mindesten 30 Tage im voraus publiziert werden, und nachher brauche die Zolltarifkommission und das «Committee for Reciprocal Information» noch mindestens einen Monat zur Ausarbeitung der Instruktionen. Da jedoch die Kompetenzen des amerikanischen Präsidenten, die Zölle vom Stand 1. Januar 1945 um 50% zu ermässigen, am 11. Juni 1955 zu Ende gehen und in dieser Form nicht mehr erneuert werden, war es zeitlich nicht mehr möglich, diese «Hearings» durchzuführen. Wir versuchten deshalb, ein «pactum de contrahendo» zu vereinbaren, in dem die amerikanische Regierung sich bereit erklären würde, zu einem späteren Zeitpunkt auf Verhandlungen über die Anpassung der Liste der schweizerischen Konzessionen einzutreten. Dabei sollte die Meinung bestehen, dass diese Verhandlungen noch Teil der Kompensationskonsultationen sein sollten, da unserer Auffassung nach die Kompensationen unter keinen Umständen genügend seien. Die amerikanische Delegation erklärte jedoch kategorisch, dass die amerikanische Regierung nicht bereit sei, eine Schuldanerkennung zu unterzeichnen. Ihrer Auffassung nach seien die Kompensationen vollauf genügend. Es gelang nicht, diesen Meinungsunterschied zu überbrücken. Es wurde protokollarisch festgehalten, dass über die Frage, ob die Kompensationen adäquat seien oder nicht, die Meinungen auseinandergehen. Dagegen gelang es uns immerhin, einen Briefwechsel auszutauschen8, wonach die schweizerische und die amerikanische Regierung bereit sind, in Konsultationen einzutreten, sofern die schweizerische Zolltarifrevision eine Abänderung der schweizerischen Konzessionen notwendig machen sollte. Amerikanischerseits wurde erklärt, dass die amerikanische Regierung sich natürlich vorbehalte, dazumal ebenfalls Begehren anzumelden. Dieser Briefwechsel ist deshalb von Bedeutung, weil die im schweizerisch-amerikanischen Handelsabkommen enthaltene Ausweichsklausel9 u. E. nicht genügt, um die durch die schweizerische Zolltarifrevision notwendig werdenden Anpassungen vorzunehmen, und die amerikanische Regierung sich nachhaltig geweigert hat und sich weiterhin weigert, auf Zollverhandlungen ausserhalb des GATT einzutreten. Es wäre deshalb nur möglich gewesen, das ganze Abkommen von Jahre 1936 zu künden oder in den neuen schweizerischen Zolltarif die im schweizerisch-amerikanischen Handelsvertrag vom Jahre 1936 gebundenen Zollansätze hineinzuschreiben. Durch den erwähnten Briefwechsel wird es nun möglich sein, hierüber allenfalls auch ausserhalb des GATT und ohne Anrufung der Ausweichsklausel Verhandlungen durchzuführen.

Das Zusatzabkommen sowie der Briefwechsel sollen am 10. Juni 195510 veröffentlicht werden. Ein schweizerischer Ratifikationsvorbehalt war nicht notwendig, weil das Zusatzabkommen nur Vergünstigungen und keine Pflichten enthält und zudem nur solange in dieser Form bestehen soll, als die Uhrenzölle nicht herabgesetzt werden, also eigentlich nur provisorischer Natur ist. Ein Ratifikationsvorbehalt hätte auch das rechtzeitige Inkrafttreten des Abkommens und damit das Abkommen überhaupt in Frage gestellt, da, wie bereits erwähnt, die Kompetenzen des amerikanischen Präsidenten am 11. Juni 1955 zu Ende gehen. Dieses Risiko musste unter allen Umständen vermieden werden. Es ist vorgesehen, das Zusatzabkommen im Rahmen des nächsten Geschäftsberichtes den Räten zur Genehmigung zu unterbreiten.

Unter diesen Umständen wird es gemäss Vereinbarung am 11. Juli 1955 in Kraft treten. Auf Grund der vorstehenden Ausführungen beantragen wir Ihnen:

1. es sei von vorstehendem Bericht in zustimmendem Sinne Kenntnis zu nehmen;

2. das Zusatzabkommen mit den USA sowie den Briefwechsel zu genehmigen;

3. das Zusatzabkommen und den Briefwechsel in der schweizerischen Gesetzsammlung vom 16. Juni 195511 zu veröffentlichen12.

1
Antrag: E 1001(-)-/1/649. Ausgeteilt.
2
Vgl. BR-Prot. Nr. 712, E 1004.1(-)-/1/576.Ernannt wurden F. Halm und H. Steffen, sowie P. Aebi.
3
Vgl. den Bundesbeschluss über das Handelsabkommen zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten von Amerika (vom 23. April 1936), AS, 1936, Bd. 52, S. 241–271. Zu den Verhandlungen des neuen Handelsabkommen vgl. DDS, Bd. 11, thematisches Verzeichnis: 9.1. Etats-Unis. Négociations commerciales.
4
Nicht abgedruckt. Vgl. ferner Anm. 9.
5
D. D. Eisenhower.
6
Vgl. DDS, Bd. 19, Dok. 118, dodis.ch/9215(dodis.ch/9215).
7
Vgl. E 1001(-)-/1/648.
8
Vgl. Anm. 3.
9
Zur so genannten «escape clause» vgl. DDS, Bd. 18, Dok. 63, dodis.ch/7803(dodis.ch/7803).
10
Vgl. Anm. 9.
11
Tatsächlich erfolgte aber die Veröffentlichung am 23. Juni 1955, vgl. Zusatzabkommen zum Handelsabkommen zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten von Amerika, AS, 1955, S. 561–572.
12
Für die Annahme des Antrages vgl. BR-Prot. Nr. 1014 vom 6. Juni 1955, E 1004.1(-)-/1/ 578 (dodis.ch/9223).